Dienstag, 6. Dezember 2011

Daß ein Mord selten verschwiegen wird

Der Jude und der Mörder

Einsmals ein Jude wollte gähn
Durch einen Wald, da Mut er han,
Geleite, wann der Wald war voll
Mörder, as Wut der Jude wol.
zu dem Könige er da kam
Und bat Geleiet; das sollt er han,
Sprach der König, und gebot
Seinem Schenken auf den Tod,
Daß er ihn sollt geleiten wol.
Das thu ich, als ich billig soll,
Sprach der schenke; da zuband
Nahm er den Juden an sein Hand
Und führt ihn auf die Straße,
Der Jude trug unmaße
Viel Goldes auf derselben Fahrt.
Der Schenke deß wol inne ward,
In seinem Muht er sehre sacht,
Weil Stunt und Statt viel Diebe macht,
Wie er dem Juden thät den Tod.
Er gedacht: du kommst aus aller Not,
Wird dir das Gold; wer will es sagen,
Oder wer mag auf dich denn klagen?
Du bist allein, hab guten Muht,
Um diesen Mord dir Niemand thut.
Und da der Jude das ersach,
Viel tief er seufzet und sprach:
Ich zweifle nicht und weiß es wol,
Daß diesen Mord Gott öffnen soll;
Eh daß er würd verschwiegen gar,
Die Vögel machen ihn offenbar,
Die hier fliegen, so mir Gott!
Das dünkt dem schenken gar ein Spott.
Da er das Schwert hatt ausgezogen,
Und wollt schlagen, da kam geflogen
Ein Rebhuhn aus dem Holze dar;
Da sprach der Mörder: Jude, nimm wahr,
Den Tod, den ich dir will antun,
Den wird offnen das Rebhuhn.
Er tödtet den Juden und nahm das Gut,
Und ging heim und hatt’ hohen Muht.
Darnach nicht lange ward gespart,
Daß manch Rebhuhn gesendet ward
Dem König, und wurden schön bereit;
Der Schenk ein Rebhuhn, als man seit,
Trug vor seinen Herren dort;
Da gedacht er an des Juden Wort,
Das er an seinem Tode sprach,
Da er das Rebhuhn fliegen sach.
Viel sehr er lachen begann,
Deß mocht er sich nicht überhan.
Und da der König das ersach,
viel sänftiglich er zu ihm sprach:
Sag an, Schenk, was meinest du,
Daß du hast gelachet nu,
Da du ansahst das Rebhuhn?
Er sprach: Herr, das will ich Thun,
Und sagt ihm, wie er hat getan
Dem Juden, mit dem er sollte gähn,
Und ihn geleiten durch den Wald,
Da sei Untreue war mannichfalt.
Also ward offenbar der Mord
Dem Könige durch desselben Wort,
Der den Mord hatt gethan,
Deß mußt er an den Galgen gahn.
Hätt er das Rebhuhn nicht gesehen,
Des Mordes hätt er nicht verjehen.
Er ward erhängen, das was wol.
Durch Gut man Niemand morden soll.
Wer Unrecht thut durch Geistigkeit,
wird der erhängt, wem ist das leid?
Von Schulden der verderben soll,
Deß herz Verrätherei ist voll,
Wer durch Gut will Übel Thun,
Den soll melden das Rebhuhn,
Als diesem Schenken ist geschehen,
Das war viel wol, deß muß ich jähen.
Keinen Mord Gott ungerochen lat,
Wer böslich thut, seinen Lohn empfaht
Hie der Mensch oder dort,
Als uns lehrt das heilige Wort

Ulrich Bonner (1324 − 1349)
aus: Bonners Edelstein in hundert Fabeln
Herausgegeben von Johann Joachim Eschenburg
Berlin 1810

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