Mittwoch, 30. November 2016

Der Wanderer und der Vielfraß

Ein Wandrer ruhte unter einem Baume, auf dem sich ein Vielfraß befand. Der Wandrer erblickte das Thier, sprang von der Erde auf, und lief davon.
»Halt!« rief der Vielfraß; »Komme zurück, und fürchte mich nicht.« Der Wandrer kehrte um, und fragte:
»Was bist du für ein Thier?« »Ich bin der Vielfraß«, war die Antwort, »und fresse ein Pferd oder Rennthier auf ein Mahl, ohne davon satt zu werden.« »Das ist viel«, versetzte der Wandrer, »da du nur so groß, als ein MetzgerHund bist.«
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Gibt es nicht auch gewisse Menschen unter uns, die ganze Häuser verschlucken, Wiesen und Felder verdauen, und ganze Herden verzehren, ohne davon – satt zu werden?

Joseph Krause
Fabeln für unsre Zeiten und Sitten
Strasburg und Mainz, 1801

Freitag, 25. November 2016

Die zween Füchse

Die zween Füchse

Zween Füchse giengen lange mit einander auf den Raub aus, endlich wurden sie in einer Falle gefangen.

Besorgt um ihr Leben sassen sie in dem Gefängniß, und unterhielten sich mit einem tröstenden Gespräche. Unter andern sagte der ältere Fuchs zu dem jüngern: Beyde werden wir ja doch nicht um das Leben kommen, und wenn einer von uns davon kömmt, welcher meinst du, Bruder! würde es wohl seyn?

Ich zweifle nicht, du wirst es seyn, erwiederte der jüngere Fuchs; den du bist ein größerer und älterer Dieb als ich.

Heinrich Brauns
Versuch in prosaischen Fabeln und Erzählungen
München 1772
zu finden bey Joahnn Nepomuk Fritz,
und Augspurg bey Iganz Anton Wagner,
Buchhändlern.

Montag, 21. November 2016

Der Bettler und der Tod

Ein elender Bettler rief oft den Tod, und der Tod hörte ihn nicht.
Endlich überfiel er ihn von ohngefähr, und fragte ihn: was willst du?
Herr! antwortete der Bettler, daß ich reicher werde, und zu leben habe.

Heinrich Brauns
Versuch in prosaischen Fabeln und Erzählungen
München 1772
zu finden bey Joahnn Nepomuk Fritz,
und Augspurg bey Iganz Anton Wagner,
Buchhändlern.

Montag, 14. November 2016

Der Nagel


»Ewig halte ich Euch schon«, sagte der Nagel zu den Brettern. »Ich bin es nun leid.« Damit lockerte er sich, die Bretter brachen auseinander und der Nagel fiel zu Boden. Er rollte in eine Ritze, versteckte sich, und seufzte erleichtert auf, nun bar aller Verpflichtungen zu sein. Doch die Erleichterung schwand mit der Zeit. Feuchtigkeit machte sich in der Ritze breit, Rost fraß an ihm. Mehr und mehr spürte er seine Vergänglichkeit. »Bretter, wo seid ihr?« rief er. »Ich komme zurück und halte euch wieder!« Doch seine Rufe verhalten ungehört. Die Bretter hielt längst ein anderer Nagel.

Horst-Dieter Radke

Dienstag, 8. November 2016

Ein fabelhaftes Angebot


Weihnachten naht! Unerbittlich. Wer in Panik gerät, wenn die Gedanken auf die Geschenke kommen, kann sich jetzt beruhigt zurücklehnen. Es gibt ja »Puff und Poggel«, die Krimireihe aus den 1950er Jahren. Alfred Poggel, Kriminalkommissar und seine Zimmervermieterin Anna Puff ermitteln - im Schmwarzmarktmilieu, unter Falschmünzern, in katholischen Kinderheimen und in der boomenden Autobranche. Drei Bände gibt es bislang, alle sowohl als Druck- wie als E-Book-Ausgabe zu haben.

Ich habe beim Sutton-Verlag für die ersten beiden Bände jeweils ein kleines Kontigent mit günstigem Autorenrabatt locker gemacht. Wer also die Bücher nicht kennt oder gerne weiterverschenken will, kann sie für eine kurze Zeit bei mir für 5 Euro inklusiv Versandkosten bekommen (solange der Vorrat reicht). Auf Wunsch auch mit Signatur (Signatur von beiden Autoren allerdings mit Aufschlag von 1 Euro, weil ein Postweg mehr dazu kommt). Damit sich die Autoren auch wieder die Butter für die Brötchen leisten können, ist ein schneller Abverkauf erwünscht.

Also, per Mail (blog[at]hd-radke.de), Chat oder Anruf bei mir melden, wer ein oder mehrere Exemplare haben möchte. Wer sich ersteinmal gründlich über Puff & Poggel informieren möchte, bekommt gegen 1 Euro eine informative und spannende Überraschungssendung.

Montag, 7. November 2016

Wildschwein und Frosch schwimmen um die Wette

Lambo, das Wildschwein, begegnete eines Tags am Rande eines Reisfeldes Boketra, dem Frosch. Der Große sah auf den Kleinen herab und sagte: »Verhalte dich ruhig und plantsche nicht im Wasser, wenn du dabei soviel Lärm machen mußt!« – »Mein Lieber,« antwortete Herr Boketra, »ist's auch schon recht, daß du der Große bist, so verbitte ich's mir doch ernstlich, so anmaßend zu mir zu sprechen. Bist du wirklich so stark wie du scheinst? Laß uns einmal unsere Kräfte im Schwimmen messen.« – »Halt den Mund und belästige mich nicht obendrein. Ich nehme es mit hundert deinesgleichen auf.« – »Gewiß, sehr wohl! Ich weiß, daß du sehr kräftig bist. Aber vielleicht bin ich dir doch im Schwimmen über.« – »Schön, einverstanden! bei Neumond treffen wir uns wieder, jeder bringt seine Angehörigen mit, die dann dem Austragen des Wettstreites in der Großen Lagune in Amparihilara zuschauen sollen.«

Vor dem Kampfe dachte sich nun Boketra eine List aus. Er bat mehrere andere Frösche, sich hier und dort in der Lagune, wo die Schwimmer vorbei mußten, zu verstecken, und etwa von Herrn Lambo gestellte Fragen richtig zu beantworten.

Als die beiden Gruppen beieinander waren, hielten ihre Führer einen Rat ab, um zu beschließen, was mit dem Besiegten geschehen sollte. Man kam überein, daß er mit seiner ganzen Familie hinzurichten wäre. Dabei darf man nicht vergessen, daß die Wildschweine durchaus nicht glaubten, daß eine Niederlage ihres Kämpen überhaupt möglich war.

Die Schwimmer starteten also. Der eine verließ sich allein auf seine Kraft; er schwamm mit kräftigen Stößen vorwärts, und das Wasser spritzte um ihn hoch auf; der andere hielt sich zurück. Herr Lambo befand sich bald mitten im See. Seine Verwandten feuerten ihn durch Zurufe an. Doch fühlte er sich plötzlich matt und matter werden; er wandte den Kopf nach rechts, nach links, um zu sehen, wieviel er wohl seinem Gegner voraus war. Sofort rief ihm ein Frosch zu: »Na, noch ein bißchen und du hast ihn um ein gutes Stückchen überholt.« – »Wo steckt denn mein Gegner?« fragte das Wildschwein. »Hier bin ich!« antwortete hinter ihm ein anderer Frosch. Da begann das Schwein mit verstärkter Anstrengung wieder weiter zu schwimmen.

Ein wenig später wiederholte sich das gleiche Spiel. Als der erschöpfte Herr Lambo den Mund öffnete, um sich nach seinem Gegner zu erkundigen, drang ihm das Wasser in den Schlund, und er ertrank.

Die anderen Schweine, die am Ufer zurückgeblieben waren, wurden durch den plötzlichen Tod aufs höchste überrascht. Wütend über die Frösche, die dem Sieger zujubelten, wollten sie sich auf die kleinen Kerle stürzen, um sie zu verschlingen; doch die sprangen sämtlich ins Wasser und entkamen so ihren Feinden. Seither sind Frösche und Schweine keine Freunde mehr gewesen.

Hambruch, Paul:
Malaiische Märchen aus Madagaskar und Insulinde.
Jena, Eugen Diederich, 1922.

Mittwoch, 2. November 2016

Der kreißende Berg

Der kreißende Berg

In dem Innern eines Berges vernahm man einst ein fürchterliches Getöse. Alle benachbarten Leute liefen voller Neugierde herbei, um die Ursache dieses Lärmens zu entdecken, und vermuteten nichts weniger, als dass der Berg noch einen andern gebären würde. Aber wie sahen sie sich getäuscht, als es nach einer Weile wieder ruhig wurde, und sie eine Maus erblickten, welche aus dem Berg hervorkam. »Also einer Maus wegen,« - riefen die Zuschauer lachend – »hat der Berg diesen schrecklichen Lärm gemacht?« und ihn verspottend, entfernten sie sich.

Anwendung

So wie der Berg machen es viele Prahler, die vorher von ihren Projekten und Plänen so große Dinge sprechen, daß sie die Neugierde und Erwartung aller Zuhörer auf’s höchste spannen, und am Ende nur etwas sehr Geringfügiges oder gar Erbärmliches an den Tag bringen, wodurch sie sich verdienterweise Spott und Gelächter zuziehen, und von sich sogar sagen lassen müssen, daß sie viel Geschrei gemacht und nichts Erhebliches hervorgebracht haben.

Äsop