Samstag, 30. April 2011

Hitopadesa

Bildquelle: Wikipedia

Trishnân chhinddhi, bhaja kshamân, tyaja madan, pâpe ratin mâ krithâh;
satyan brûhy-anuyâhi sâdhupadavîn, sevasva vidvajjanân;
mânyân mânaya, vidvisho ‘pyanunaya, prachchhâdaya svân gunân,
kîrtin pâlaya, dushkhite kuru dayâm, – etat satân lakshanan°
(Bhartrihari I. Jahrh. vor Chr.)

Still‘ den Durst, üb‘ die Geduld und lass den Hochmuth; sünd’ger Freude fröhne nicht;
Sprich die Wahrheit, geh‘ den Pfad des Rechts und an die Wissenschaft gewöhne Dich;
Wer’s verdient, den ehre, liebe selbst den Feind und schätz‘ gering die eigne Kraft!
Guten Namen schütze, Kummer bringe Lindrung: Das ist’s, was der Edle schafft!
(Übers. August Boltz)

Wie die gesammte indo-europäische Sprachenfamilie auf eine gemeinsame Ursprache zurückweist, so deuten auch die ersten Spuren der Fabeln und Märchen auf den Orient zurück.
Die älteste Sammlung solcher Fabeln und Märchen, die einen sehr bedeutenden Einfluss auf die ganze Literatur des Morgenlandes und somit auch auf die unseres Mittelalters ausgeübt hat, ist die unter dem Namen Bidpay oder Pilbay seit mehr als 2000 Jahren im ganzen Orient bekannt gewordene …
Als die letzte Quelle dieser Fabeln und Erzählungen hat sich … das Panchatantra herausgestellt, dessen ursprünglicher Text zwar gewaltige Veränderungen und Zusätze erlitten hat und nicht mehr sicher herzustellen ist, dessen Existenz aber für das 6. Jahrh. v. Chr. gesichert ist, wo es auf Befehl des Nushirvan, des berühmten Sasaniden, in in das Pehlvi übersetzt ward … Der Name Bidpay oder Pilpay scheint eine persiche Umgestaltung des indischen Vidyapriya (= Freund der Wissenschaft) zu sein, und dürfte somit mehr die Sache selber als eine historische Person bezeichnen.
Von jenem großen Sammelwerke Panchatantra ist der Hitopadesa (hita + upadesa, freundiche Unterweisung …) ein in Palibothra am Ganges zusammengestellter Auszug, der minder den Zweck der Erzählung, als den der Belehrung in’s Auge fasste, da die in die Fabeln eingeflochtenen Sprüche uralter Weisheit, die Moral der Geschichte, hier recht eigentlich Hauptsache sind.
Über die vielfachen Bearbeitungen dieser Sammlung in allen möglichen Sprachen Asien’s und Europa’s giebt das Brockhaus’sche Conv.-Lex. II. 666. recht ausführlichen Nachweis. In Deutschland wurde sie zum ersten Male durch Veranstaltung des würtembergischen Herzogs Eberhard im Bart im Jahre 1480 unter dem Titel „Buch der Byspel der alten Weisen“ bekannt, die damals nach einer lateinischen Übersetzung des Johannes von Capua gefertigt worden war, der wiederum di ehebräische Version des Rabbi Joel zu Grund gelegen hatte. Erst im Jahre 1844 gab Max Müller, Professor zu Oxford, die erste vollständige Übersetzung in deutscher Prosa heraus, und dabei könnte es nun sein Bewenden haben.
Die Natur des Buches aber bringt es mit sich, dass es, wie es da ist, einen grösseren Leserkreis sich kaum erworben haben dürfte. Abgesehen von dem Einschachtelungssystem der ersten Compilatoren, die eine Fabel in die andere schoben, so dass man den Hauptfaden und mit ihm die Geduld oft ganz verliert, so verlangt auch die Fabel eine naive metrische Behandlung, wenn sie Volkseigenthum werden soll.
Bei der grossen literarhistorischen Wichtigkeit dieser Fabeln, auf die so viele der unter den jüngeren Völkern eurisirenden zurückweisen, schien es mir der Mühe werth, einen solchen Versuch zu wagen.
Die ersten Proben meiner Übersetzungen, die ich – nebst Sanskrittext in lateinischer Umschrift – mehreren bedeutenden Journalen einsandte, wurden gern aufgenommen, und so fühlte ich mich ermuthigt, mit meinen Versuchen fortzufahren.
Hauptzweck war und blieb mir stets fast wörtliche Treue, weshalb ich auch hier den Sanskrittext in lateinischer Umschrift und möglichster Trennung der Wortgruppen Zeile für Zeile danebenstellte. Die oberflächlichste Vergleichung wird zeigen, wie weit mir das in vielen Fällen geglückt ist, was jedoch die nachhelfende Hand für die Zukunft nicht ausschliesst.

Frankfurt a.M., Mai 1868
Aug. Boltz

Freitag, 29. April 2011

Käfer


Die Aufmerksamkeit dieser Insekten auf ihre Eyer ist so ausgezeichnet, daß sie in den frühesten Zeiten bemerkt und schon von alten Schriftstellern angeführt wurde, aber mit Hinzuthat mancher Fabel, als: sie wären alle männlichen Geschlechts, sie würden wieder jedes Jahr jung, sie wälzten die kugeln, in denen ihre Eyer, täglich von Sonnen-Aufgang bis Sonnen-Niedergang, und das achtundzwanzig Tage lang ohne Unterlaß u. dl.g … Es gibt aus dieser Familie einen Käfer (Aleuchus ascer), dessen Abbild man sehr oft unter den Hieroglyphen der Aegypter findet, denen er ein Sinnbild der Welt, der Sonne, und des muthigen Kriegers gewesen …


aus:
Ueber die Sorge der Insekten für ihre Jungen
Morgenblatt für gebildete Stände,
Siebzehnter Jahrgang 1823, S. 1035

Mittwoch, 27. April 2011

Fabelgewebe

das F., ein Gewebe, eine Geschichte von fabelhaften Erzählungen.

Theodor Heinsius
Vollständiges Wörterbuch der deutschen Sprache …
Wien 1828

Eine Fabel


Frühling war’s im Land geworden
Und der Winter ward vertagt,
Ohne daß den Herrenorden
Gott noch lange drum befragt.

Jenen packt beß Zorn und Trauer,
Und er ruft: „Der Lenz gilt nicht!
Nimm ihn nicht, du dummer Bauer,
Er ist klares Höllenlicht.“

„Diese Sonne ungeladen
Dring‘ zu mir nicht frevelnd ein!“
Ruft’s und schließt den Fensterladen,
Hüllt sich in die Wildschur ein.

Aber ruhig strahlt die Sonne,
Und es keimt die Saat mit Lust,
Bürger, Bauer, dankt in Wonne
Gott dafür aus tiefer Brust.

Aber hinter’m Ofen sitzen
Bleibt der Herr und schimpft und flucht:
„In der Wildschur will ich schwitzen,
Ich hab‘ keinen Lenz gesucht!“

Wüthend mit den Füßen stampft er:
„Wer ihn lobt ist schlecht‘ und dumm!“
Und aus seiner Pfeife dampft er
Blauen Dunst um sich herum.

Doch der Bauer, schlicht und wacker,
Ruft: „O Herr! Ihr wißt es nicht!
Was schon längst gebrach dem Acker,
Daß ist eben dieses Licht!“

„Will euch dieses Licht nicht frommen,
Nun! So schließt vor ihm das Haus;
Aber, Herr! Wem es willkommen,
Den laßt ungeschimpft hinaus!“
Andreas Justinus Kerner

Sonntag, 17. April 2011

Der Bock und der Bär


Ein junger Bock, schnell als ein Reh,
Verließ aus Lüsternheit die Heerde,
Und stieg mit witziger Geberde
An den Gebirgen in die Höh’.

Hier fand sich eine tiefe Höhle,
In diese wagte sich der Thor,
Und plötzlich fuhr ein Bär hervor,
O wie erschrak des Geisbocks Seele!

Was thust du hier?  so sprach der Bär
Ich lief, versetzt der Bock, voll Schrecken,
Mich vor dem Löwen zu verstecken,
Und seht, da kömmt er selber her.

Der Bär erschrak, und lief zurücke,
So schüchtern ist ein Bösewicht!
Der Geisbock lief mit gleichem Glücke
Ins Thal. Nothlügen schadet nicht.

Magnus Gottfried Lichtwer

Freitag, 15. April 2011

Die Hunde und der Vogel

Zwei ehrliche Hühnerhunde, die, in der Schule des Hungers zu Schlauköpfen gemacht, alles griffen, was sich auf der Erde blicken ließ, stießen auf einen Vogel. Der Vogel, verlegen, weil er sich nicht in seinem Element befand , wich hüpfend bald hier, bald dorthin aus, und seine Gegner triumphierten schon; doch bald darauf, zu hitzig gedrängt, regte er die Flügel und schwang sich in die Luft: da standen sie, wie Austern, die Helden der Triften, und klemmten den Schwanz ein, und gafften ihm nach.

Witz, wenn du dich in die Luft erhebst: wie stehen die Weisen und blicken dir nach!

Heinrich von Kleist

Montag, 11. April 2011

Die 38. Fabel: Von zween Raben


Eine persianische Fabel


Zweene Raben wollten einstmals mit einander in Schwägerschaft treten. Der eine hatte einen Sohn, und der andere eine Tochter; die Parthie war auf beyden Seiten gleich. Sie handelten nur darüber, was die Tochter zur Mitgift mitbringen sollte. Ihr Vater versprach darauf, sein Schwiegersohn sollte zehn wüste Dörfer zur Aussteuer erhalten. Dieses Versprechen gefiel dem anderen Raben, aber er fragte ihn: woher er so viel aufbringen könnte? Der Vater der Tochter sagte darauf: Wenn Gott unserm gnädigen Herrn, den Sultan Machmud, leben lässet, so werden wir niemals an wüsten Dörfern Mangel leiden.

Diese Fabel erfordert keine Erläuterung; denn sie erkläret sich selbst.

Moralische Fabeln mit beygefügten Erklärungen einer jeden Fabel
Aus dem Dänischen des Herrn Barons von Holberg 
übersetzt durch J.A.S.K.D.E.
Leipzig 1752

Freitag, 8. April 2011

Die geschminkte Rose


An seinem Fenster pinselte
Ein Maler eine Rose je,
Und weil sie nicht bestellet war,
Gelang die Ros' ihm wunderbar:
Nun war er fertig, nahm den Hut,
Ging seines Weg's, und dachte: – gut!

Und eine weisse Rose, die
Am Fenster blühte, sah es, wie,
So schön das Roth der Schwester fand:
Den Vorzug sie gar tief empfand.
Sie faßte Neid, schalt ihren Topf,
Zergrämte sich und hing den Kopf.

Als nun der Maler wieder kam,
Und wahr der Rose Trauern nahm,
Da trat er mit dem Spritzkrug hin,
Zu Hülf' der armen Kränklerin;
Allein die Rose sträubte sich,
Und klagte bitter: Lasset mich!

Was hilft mir euer Wasserkrug?
Ich bleibe doch wie Leichentuch!
So roth, wie die dort, werd' ich nie,
Und bin doch auch so gut, wie sie.
Das Wasser bleicht mich nur noch mehr:
Nehmt lieber euern Pinsel her,
Und gebt mir auch so schönes Roth;
Ich bin ja sonst so blaß, wie Tod.

Der Maler dacht' in seinem Sinn,
Du eitle Närrin! nahm Karmin,
Und strich ihr roth die Blätter all',
Das dankte sie ihm tausendmal;
Allein kaum war die Farbe d'ran,
So fieng sie auch zu welken an.

Das Roth verdarb den Lebenssaft,
Zerfraß der zarten Fibern Kraft,
Gelbrothe Flecken zeigten sich,
Zusammenschrumpften jämmerlich
Die Blätter alle, und ihr Duft
War Odem einer Leichengruft.

Der Maler kam, und sah, und roch:
Gott, rief er, das die Rose noch,
Die gestern so den Text mir las,
Heut' stinkend, wie ein faules Aas? –
Er riß die Rose von dem Stock,
Im Hut sie über's Fenster flog.

Hört, Mädchen, was die Fabel spricht,
Und malt die weisse Rose nicht.

Aloys Blumauer

aus: Sämmtliche Gedichte. München 1830

S. 216ff


Donnerstag, 7. April 2011

Vergangenheit


Dass die Vergangenheit
Einfach so am Wegrand
Gestapelt liegt,
Taugt leider nicht nur
Zur Erinnerung.

Oft genug
Wird sei einfach
Verheizt.

Horst-Dieter Radke

Dienstag, 5. April 2011

DIDAKTISCHE POESIE



Es haben mehre das didaktische Gedicht ebenso verdächtig gemacht, wie das beschreibende; aber anstatt wegen mislungener Gedichte dieser Art die ganze Gattung zu verwerfen, hätten sie an diesen nun zeigen sollen, wie man es nicht anzufangen habe, um bei didaktischem Vortrag den Zweck der Poesie nicht zu verfehlen. Sie würden dann drei Regeln daraus gezogen und zur Warnung aufgestellt haben: 1) keinen Stoff zu wählen, der blos den verstand beschäftigen kann, 2) einen streng wissenschaftlichen Vortrag zu vermeiden und 3) nicht zu glauben, daß mit dem sogenannten ornatus poeticus alles abgethan sei, denn es ist auch hier weniger um Poesie des Stils, als um den Stil der Poesie zu thun.
Wahrheiten sind im Allgemeinen der Stoff zu deinem didaktischen Gedichte … Dieses Stoffes aber muß sich die Einbildungskraft bemächtigen und Begeisterung für ihn bewirken, um eine ästhetische Stimmung des Gemüths dadurch hervorzubringen. Bei der Darstellung muß daher eine andere Methode, als die Lehrmethode des Verstandes, befolgt werden, und der Ausdruck darf des poetischen Colorits nicht ermangeln. Verstand und Vernunft sollen durch die Einbildungskraft auf das Gefühl wirken. An eine bestimmte Form ist das didaktische Gedicht dabei nicht gebunden, es kann dazu die epische, die dramatische und die lyrische gewählt werden. Dagegen hat die didaktische Poesie besondere Arten von Einkleidung, den Spruch (Gnome), den Brief, den Dialog; ja es sind für ihren Zweck eigenthümliche Dichtungen erfunden, die allegorischen: die Allegorie, die Parabel und die äsopische Fabel.

aus:
allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Künste
1833, Leipzig
S. 522

Montag, 4. April 2011

Ein Mädchen will hoch hinaus

Bildquelle: Wikipedia

Alt-indische Parabel

Ein schönes, aber etwas einfältiges Mädchen aus der Candalakaste, der niedrigsten und verachtetsten aller Kasten hatte sich vorgenommen, den mächtigsten Freier auf Erden zu heiraten. Eines Tages erblickte sie den König, der an der Spitze seines Gefolges durch die Stadt zog. Sie folgte ihm mit dem Vorsatz, ihn zu heiraten. Da stieg der König von seinem Elefanten und warf sich vor einem Büßer in den Staub. »Der Büßer steht höher als der König«, dachte das Mädchen überrascht und folgte nun dem Büßer auf Schritt und Tritt. Als der Priester an einem Tempel Shiwas vorbeikam, ging er hinein und warf sich dem Bild Shivas zu Füßen. »Der Gott ist höher als der Büßer«, dachte das Mädchen und beschloss, die Braut des Gottes zu werden. Da kam ein Hund in den Tempel, hob das Bein und pinkelte die Götterstatue an. Von nun an folgte das einfältige Mädchen dem Hund. Auf diese Weise kam es in die Hütte eines jungen Candalas. Als sie sah, dass der Hund ihm die Füße leckte, wählte das Mädchen zufrieden diesen jungen Mann als Gatten.

Toren wollen oft hoch hinaus, fallen dann aber in ihren Stand zurück.

Horst-Dieter Radke
nacherzählt nach einer Erzählung
aus dem alten Indien

Freitag, 1. April 2011

Aprillsnarr

aprillsnarr, m. poisson d'avril, engl. april's fool, aprilfool: selbst die übrigen, die man hier als lächerlich hintergangne aprilsnarren (dupes) bezeichnet. Göthe 46, 161. im nördlichen England sagt man aprilgouk, aprilsgauch, kukuk. Brand popular antiquities ed. Halliwell. Lond. 1848. 1, 139

Deutsches Wörterbuch
von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm