6. §. Die Fabeln des Pilpay sind mit den vorigen fast einerley, nur die Ordnung und Einrichtung ist etwas anders. Hier ist 1. des Königs Dabschelin und Pilpays Historie nebst fünf Fabeln. Hernach kömmt das Werk selbst in 4 Capiteln. Das erste zeigt durch sechs und zwanzig Fabeln, wie man sich vor Schmäuchlern und Verläumdern zu hüten habe. Im II. sieht man in zehn Fabeln, was es mit boshaften Staatsbedienten endlich für ein Ende nehme. Das III. lehret in 8 Fabeln, wie man sich gute Freunde erwerben könne, und was ihr Umgang nütze. Endlich zeiget das IV. durch zwölf Fabeln, daß man seinen Feinden nie trauen dörfe. Ob wir eine deutsche Uebersetzung davon haben, weis ich nicht. An französischen fehlt es nicht. La Motte hat in der Vorrede zu seinen Fabeln nicht gar zu vortheilhaft davon geurtheilet; aber ihm vieleicht unrecht gethan. Bey den Alten muß man nicht alles so genau nehmen; gesetzt, daß die Allegorie nicht jederzeit ganz richtig wäre. Pilpay soll ein Bramin, oder Brachman gewesen seyn, der unter dem Könige Dabschelin, das Ruder der Staatsgeschäffte in Händen gehabt. Dieser hätte nun alle seine Weisheit in dieß Buch geschlossen, und die Könige von Indien hätten es als einen Schatz aller Einsicht und Gelehrsamkeit aufbehalten; bis der persische König Anuservan davon gehöret (so nennet ihn Huetius, in seinem Tr. vom Ursprunge der Romane), der es durch seinen Leibarzt übersetzen lassen. Der Kalife Abujafar Almansor hätte es ins Arabische bringen lassen, daraus er abermal ins Persische übersetzet worden. Wenn indessen dieser An uservan der König Chosroes ist, der um Kaiser Justinians Zeiten gelebet hat: so ist diese Sammlung von Fabeln bey weitem so alt nicht, daß sie dem Aesopus vorgezogen zu werden verdiente.
Johann Christoph Gottsched
Versuch einer critischen Dichtkunst,
Des I. Abschnitts II. Hauptstück
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