Mittwoch, 29. April 2009

Delphine und Walfische


Delphine hatten Fehde mit den Walfischen:
Da wollt’ ein Krebs sich zum Vermittler aufwerfen.
Doch dem entgegnet einer von den Delphinen:
»Wir wollen doch noch lieber uns zu Grund’ richten
Einander, als dich haben hier zum Schiedsrichter.«

Babrios
Ü: Johann Adam Hartung
Leipzig, 1858

Dienstag, 28. April 2009

Die 192. Fabel: Der Hochmuth des Maulwurfs


Ein Maulwurf fragte einen Biber, der eine Bedienung bey Hofe hatte, was man von ihm an dem Hofe des Löwens spräche? Der Biber antwortete darauf: ich habe nicht merken können, daß am ganzen Hofe jemand weiß, daß solche Thiere, die man Maulwürfe nennet, in der Welt sind.

Baron von Holberg
Moralische Fabeln mit beygefügten Erklärungen einer jeden Fabel
Aus dem Dänischen übersetzt durch J.A.S.K.D.E.
Leipzig 1752

Montag, 27. April 2009

Kiss & Ride - aber nicht für Jede/n?


Was soll das nun heißen? Kurzzeitparken zum Knutschen erlaubt – aber Menschen mit Handycap dürfen das nicht? Die müssen abseits auf einen Parkplatz? Welche Sorge hatte der Beamte, der diese Schilder platzierte?

Horst-Dieter Radke

Sonntag, 26. April 2009

Der feigherzige Praler


Eine Maus fand ein öligtes Papier, worauf eine Kaze gemahlet war. Sie erschrak anfänglich und wollte fliehen; als sie aber keine Bewegung bey diser Kaze gewahr ward, stärket sie sich, und fieng an, an dem Papier zu nagen. Hernach rief sie den andern Mäusen, und sprach: Kommet hervor, und sehet die erste Maus, die eine Kaze unter sich gebracht und zerrissen hat! Eine alte Maus erwiederte: Ja, wir sehen es, daß du eine gemahlte Kaze umgebracht hast; dein Feind war von Papier.

Lessingische, unäsopische Fabeln
Enthaltend die sinnreichen Einfälle und weisen Sprüche der Thiere
Nebst damit einschlagender Untersuchung der Abhandlung Herrn Lessings
von der Kunst Fabeln zu verfertigen

Zweyte Auflage
Zürich, bey Orell, Geßner und Comp. 1767

Freitag, 24. April 2009

Die Eule und die Fledermaus


E Ogel aa e Flaggermus

»Hvorfor ve Do da aa olti hoold Dei te di Möss«, so e Ogel te e Flaggermus, »aa saadant olti kryff omkring i old e Kjolddergaef, do est jaa en Faul lisom vi, brugg kun Din Vinger te aa flöi op i e Luft ma, wenn ed blyver mörgt – lisom a; vi ar ja da begge Ratsauel.«
E Flaggermus kamm hen te e Ogel i e Mörkning, aa e Ogel sak en te aa flöi ma sei op i et stuurt Taarn, hvor en ho sin Riie.
Men e Mus kamm it tebag te sit Kjoddergaff.

Die Eule und die Fledermaus

»Warum willst Du Dich noch immer zu den elenden Mäusen halten?« sagte die Eule zur Fledermaus, »und, wie sie, in den Kellerlöchern herumwühlen. Du bist ja ein Vogel, so gut, wie wir. Gebrauche nur Deine Flügel, wie ich, zum nächtlichen Fluge, den wir zusammen in den freien Lüften machen wollen. Beide sind wir ja Nachtvögel.«
Die Fledermaus kam in der Dämmerung zur Eule geflogen; und diese brachte sie nach ihrem erhabenen Neste auf den Thurm, wo sie die weiteste Aussicht hatten.
Aber ich sah sie nachher nicht wieder in ihrem Kellerloche.

Fabel in nordschleswigscher Mundart
Übersetzung von Dr. Gottlieb
Husum 1844

Donnerstag, 23. April 2009

Der scharfe Essig


Prr! wie sauer muß der Wein

Schon im Faß gewesen seyn,
Der so scharfen Essig gab!
Sprach zur Mutter einst ein Knab.

Nein, er kam vom beßten Wein -
Fiel die Mutter lächelnd ein.

Liebes Frizchen, merk’ es dir!
Rief der kluge Vater hier:
Aus dem allerbeßten Freund
Wird der allerärgste Feind.

Johann Ferdinand Schlez, 1787

Mittwoch, 22. April 2009

Die erst fabel von dem fuchs und dem truben.


Ain fuchs lieff für ain hohe winreben und sach dar an hangen zytig truben deren begeret er zeessen /
a suchet magezlay weg wie inm die truben werden möchten /
mit klimmen und spungen aber sie stunden so hoch /
dz sie im nit werden mochten. wo er das merket /
lieff er hin weg /
und verhöret syne anfechtug un lust zu den truben in fröd und sprach. Nun synt doch die truben noch suwr. Ich ölte sie öch nit essen. ob ich sie wo möchte erlange.
Die fabel bedütet /
dz ain wyser ma /
sol sich lassen bdunken /
er wölle und mug des nit /
dz er nit gehaben mag.

aus:
Aesopus; vita et Fabula.
Uß latin von Heinrico Stainhoewel
schlecht und verstentlich getütscht,
nit wort uß wort sunder sin uß sin.

Ulm 1476

Dienstag, 21. April 2009

Der Philosof

Verzug schadet selten

Lehre meinem Kanarienvogel, sprach ein Tyrann zu einem Philosofen, den Homer, daß er ihn auswendig hersagen kann, oder geh aus dem Lande; unternimmst du es, und es gelingt nicht, so mußt du sterben.
Ich will es ihm lehren, sprach der Weise, aber ich muß zehn Jahre Zeit haben.
Warum warst du so thöricht, fragten ihn hernach seine Freunde, und unternahmst etwas Unmögliches? Lächelnd antwortete er: In zehn Jahren bin ich oder der Tyrann oder der Vogel gestorben.


Novalis

Fabelwahn

meint den in einer »Sage« waltenden Irrtum.

Montag, 20. April 2009

Vorzüglich kann zum echten Sinne …

… Vorzüglich kann zum echten Sinne der Fabel Archäologie, und Kenntniß der Sitten und Gebräuche, welche die Griechen und Römer hatten, vieles beytragen. So gesteht der große Addison, daß er die Fabel: Vulpis ad personam tragicam, erst dadurch richtig verstanden habe, weil er auf seiner Reise in Italien so eine Theater-Larve sah, die einem Helme glich, und durchaus geschlossen war.


Xaver Weinzierl
aus: Phädrus in deutschen Reimen
Wien und Triest, 1817

Sonntag, 19. April 2009

Ein Froschpfuhl trocknet aus


Ein Froschpfuhl trocknet aus;
Die Herren müssen wandern
Und finden keinen andern.
Sie kommen an ein tiefes Brunnenhaus.
»Da wär' ein Schmaus!
Laßt uns hinein!« »Du Narr, und wie heraus?«

Schlepp immer mit jetzt, kleiner Schwanz
Der großen Allianz!

Johann Gottfried Herder

Die Tulpe und die Nachtviole


Ei, wie bist du doch so schön,
Tulpe! in dem bunten Röckchen,
Und geputzet wie ein Döckchen,
O, so prächtig anzusehn!

Und wie mögt ihr Grauen da
Zu den Schönen her euch setzen,
Die das Auge so ergötzen?
Euch komm ich gewiß nicht nah.

Komm, du schöne Tulpe, du!
Sicher hauchst du süsse Düfte
In die milden Frühlingslüfte;
Hauche mir auch jetzt sie zu.

Aber wie? Kein Wohlgeruch
Düftet mir von dir, o Blume!
Das gereicht dir nicht zum Ruhme,
Schön nur seyn, ist nicht genug.

Nein, das hätt' ich nicht gedacht!
Ohne sonst noch was zu taugen,
Blendet Tulpe bloß die Augen,
Durch der Farben bunte Pracht.

Und, wer hätte das gemeint!
Diese garstige zur Seiten,
Duftet lieblich schon von weiten,
Wie so häßlich sie auch scheint.

Schön nur seyn, genüget nicht;
Kurze Zeit täuscht bloßer Schimmer,
Das Verdienst nur bind't auf immer,
Leistet mehr als es verspricht.

Freitag, 17. April 2009

Ob er Fabeln machen könne?

Des Prinzen von Preußen Königliche Hoheit fragten im Jahre 1754 den Verfasser dieser Fabeln:

Ob er Fabeln machen könne?

Nein! war die Antwort; es ist nichts schwereres, als eine Fabel machen.

Johann Wilhelm Ludwig Gleim

Donnerstag, 16. April 2009

Der Zeisig


Ein Zeisig, der sein Nest nur eben angelegt,
Versang an einem heitern Morgen
Den Schlaf, die Bau- und Nahrungssorgen.
Ihm wuchs sein kleines Herz, durch West und Lust erregt.
Sein Waldgesang verehrte Licht und Sonne,
Denn ihn begeisterte des schönen Himmels Wonne;
Und, wie ein Fröhlicher oft gern zu schwatzen pflegt,
So wollt' auch er sich recht beredt erweisen,
Der Lerche diesen Tag vor allen anzupreisen.
Der Mittag kömmt umwölkt. Die grauen Möwen fliehn
Mit bangem Flug, und schrein, und nähern sich dem Lande:
Allein und unglücksvoll spaziert im trocknen Sande
Die dunkle Kräh', und scharrt; Gewitter, die verziehn,
Ruft sie mit Krächzen her. Tief um das Schilfgras streichen
Die Erdschwalb' und der Spatz: der Häher sucht die Eichen,
Der Reiher hohe Luft, sein Bette Hirsch und Thier:
Mit aufgewecktem Hals schnauft der beklommne Stier:
Die Pferde treiben sich, die Ställe zu erreichen.
Schnell überwältiget ein Wirbelwind den West,
Der Hain erbebt, und heult: auf Ficht' und Tanne schossen
Verwüstend der Orcan, der Regen und die Schlossen;
Und so verlor der Zeisig auch sein Nest.
Der müde Sturm hört auf zu toben.
Der nasse Sänger hüpft zu seiner Lerche hin,
Die ihm recht zugehört, der guten Nachbarin.
Zum Glück war er bei ihr ganz sicher aufgehoben.
Wißt, sprach er, daß ich schon durch Schaden klüger bin:
Man muß den schönsten Tag nicht vor dem Abend loben.

Friedrich von Hagedorn

Der Schmetterling und die Biene


Die Biene ließ den Schmetterling
Einst, ihre fetten Speicher sehen.
Schön, rief der bunte Gast; doch muß ich dir gestehen
Ich tauschte nicht mit dir. »Warum nicht, dummes Ding,
Was hast denn du? Laß sehn, wir wollen inventiren!
Ich hab ein volles Haus.«.... und ich – nichts zu verlieren.

Gottlieb Konrad Pfeffel

Mittwoch, 15. April 2009

Von einer Fliegen


Es fiel ein flieg in ein fleischtopf,
Daß sie ward naß an bauch und kopf.
Da sie lang in der brü geschwummen,
Sah, daß dem tod nit mocht entkommen,
Sie sprach: »Ich hab nun geßen sat,
Getrunken und mich wol gebadt,
So stirb ich hie in disem schlauch
Mit freuden und mit vollem bauch.«

Wer ein unglück nit meiden kan,
Der gee nur frisch mit freuden dran:
Das leit, so man mit freud annimt,
Dest leichter in dasselb ankümt.

Burkhard Waldis
aus: Esopus
Entstanden in dreieinhalbjähriger Rigaer Gefangenschaft
von 1536–1540. Erstdruck: Frankfurt am Main 1548.

Dienstag, 14. April 2009

Froschmeuseler - Das I. capitel


Kurze summa und inhalt des ganzen buchs.

Das hofhalten, die feind und macht,
Das blutbad und erschrecklich schlacht
Der manhaften frösch und meushelden
Wil ich in disem buch vermelden.
Got verleih dazu rat und gnad,
Das es zur ler und lust gerat.
Ihr freien schulkünst algemein,
So der poeten musae sein,
Tret auch herzu und steht mir bei,
Das ich, was nütz und lieblich sei,
Weislich bedenk, künstlich aufzeich,
Das euch zu eren auch gereich.
Denn weil ihr seid jungfreulein zart,
So bleibt ihr stets frölicher art,
Seht nicht ernstlich saur alle stund,
Sagt oft war mit lachendem mund.
Damit im scherz die gute ler
Bei der jugend schaff desto mer,
Lasset die auch etwas weisheit
Allhie lesen in frölichkeit,
Und an fröschen und meusen sehen,
Wie es pflegt in der welt zu gehen,
Wie kans besser sein, denn das Musen
Einmal reden von frosch und meusen?
Und ihr junge lustige knaben,
Die lust zu erbar kurzweil haben
Und suchet gern bei allen sachen,
Das ihr in freuden habt zu lachen,
Wollet den reimen on beschweren
Mit gutem nachdenken zuhören,
Sol euch on zweifel mer nutz schaffen
Denn alles narrenspil der affen,
Der man auch zu lachen pflegt,
Obs gleich nicht vil in beutel tregt.
Die alten aber, die ihr ler
Mit ernstem pochen machen schwer
Und keine scherz mer leiden wollen,
Dismal ihr urlaub haben sollen,
Ein wenig treten überseit,
Wollen sie hören ander zeit,
Wenn uns die nasn auch werden blaue
Und har und bart geferbet graue,
Odr noch wol eh, zu guter stund.
Wermut ist nicht immer gesund,
Man trinkt auch wol ein neuen wein
Und leckt ein frischen honigseim,
Damit sich die natur verneue.
Was teglich ist, bringet abscheue,
Wie auch der alten meister trutz.
Der wechsel ist vol lust und nutz
Und macht zur arbeit munter herzen:
Dazu dienet dis unser scherzen,
Das wir in gottes namn anfangen.
Also ist der handel angangen.

Georg Rollenhagen

Montag, 13. April 2009

Der Hase und die Frösche


In grünem Lager träumt ein Hase.

Gewiß, es träumt sich schön im Grase,
Doch unsern Hasen quält es nur.
Er lag betrübt, von Angst gehetzt,
Und sinnend sagte er zuletzt:
»Tiere, die furchtsam von Natur,
Unselig sind sie, denn sie wissen
In Ruh zu essen keinen Bissen.
Nie reine Freude, ewige Hatz –
So ist mein Leben. Bangigkeit
Treibt fort und fort von Platz zu Platz,
Daß nicht einmal der Schlaf gedeiht:
Mit offnen Augen muß ich liegen.
›Soändre dich,‹ vielleicht ein Weiser zu mir spricht.
Ja, läßt sich Furcht denn je besiegen?
Ich glaub sogar mit Zuversicht,
Daß selbst die Menschen so dem Fürchten unterliegen.«
Also philosophierte unser Hase,
Stets auf der Wacht mit Aug und Nase.
Ein Hauch, ein Schatten läßt Gefahr ihn wittern,
Ein Nichts macht ihn erzittern.

Das arme Tier, voll Qual
Nachhängend diesen Dingen,
Vernahm ein leis Geräusch; das war ihm ein Signal,
Aus dem Versteck emporzuspringen,
Zu flüchten bis zum Teich im Tal.
Da! Frösche, die ins Wasser hüpfen,
Frösche, die schnell in ihre Grotten schlüpfen!
»Oh,« sprach der Has, »ich richte hier
Dasselbe an, was man bei mir
Anrichtet. Meine Gegenwart
Verursacht Schrecken gleicher Art,
Verbreitet Aufruhr weit und breit.
Wie kommt mir diese Tapferkeit?
Man zittert, fege ich durchs Feld.
So bin ich also doch ein Held!«

Ich aber sag zum guten Ende,
Was ihr wohl selber wißt:
Kein Feigling, der nicht einen fände,
Der nicht noch feiger ist!

Jean de Lafontaine

Sonntag, 12. April 2009

A Little Fable

The other day, two good friends - a lawyer and a mathematician - happened to meet in a remote part of London, in front of a cheap book-shop. The stall outside the shop presented a row of novels, offered at half price.

Having exchanged the customary expressions of pleasure and surprise, and having made the necessary enquiries on the subject of wives and children, the two gentleman relapsed into a momentary silence. Perceiving in his friend signs of mental pre-occupation, the lawyer asked what he was thinking of. The mathematician answered, »I was looking back along the procession of small circumstances, which has led me from the starting-point of my own door to this unexpected meeting in the street.«

Hearing this, it occurred to the lawyer to look back, on his side. He also discovered that a procession of small circumstances had carried him, by devious ways, to the morsel of pavement on which he then stood. »Well,« he said, »and what do you make of it?«

»I have led a serious life,« the mathematician announced, »for forty years.«

»So have I,« the lawyer said.

»And I have just discovered,« the other continued, »that a man in the midst of reality is also, in this strange life of ours, a man in the midst of romance.«

The lawyer pondered a little on that reply. »And what does your discovery amount to?« he asked.

»Only to this. I have been to school; I have been to college; I am sixty years old - and my education is not complete. Good morning.«

They parted. As soon as the lawyer's back was turned, the mathematician retraced his steps to the book-shop - and bought a novel.

The lawyer looked round at that moment. A strong impression was produced on him. He walked back to his friend. »When you have done with that book,« he said, »lend it to me.«

Wilkie Collins
zu Lebzeiten unveröffentliches Schriftfragment,
zuerst von der »Wilkie Collins Society« im Juli 1996 veröffentlicht.

Eine deutsche Fassung gibt es hier

Samstag, 11. April 2009

Die Grille und die Ameise


Die Grille musizierte
Die ganze Sommerzeit –
Und kam in Not und Leid,
Als nun der Nord regierte.
Sie hatte nicht ein Stückchen
Von Würmchen oder Mückchen,
Und Hunger klagend ging sie hin
Zur Ameis, ihrer Nachbarin,
Und bat sie voller Sorgen,
Ihr etwas Korn zu borgen.
»Mir bangt um meine Existenz,«
So sprach sie; »kommt der neue Lenz,
Dann zahl ich alles dir zurück
Und füge noch ein gutes Stück
Als Zinsen bei.« Die Ameis leiht
Nicht gern; sie liebt die Sparsamkeit.
Sie sagte zu der Borgerin:
»Wie brachtest du den Sommer hin?«
»Ich habe Tag und Nacht
Mit Singen mich ergötzt.«
»Du hast Musik gemacht?
Wie hübsch! So tanze jetzt!«

Jean de Lafontaine

Freitag, 10. April 2009

Tragödie und Fabel

Denken wir uns jetzt das eine grosse Cyklopenauge des Sokrates auf die Tragödie gewandt, jenes Auge, in dem nie der holde Wahnsinn künstlerischer Begeisterung geglüht hat - denken wir uns, wie es jenem Auge versagt war, in die dionysischen Abgründe mit Wohlgefallen zu schauen - was eigentlich musste es in der »erhabenen und hochgepriesenen« tragischen Kunst, wie sie Plato nennt, erblicken? Etwas recht Unvernünftiges, mit Ursachen, die ohne Wirkungen, und mit Wirkungen, die ohne Ursachen zu sein schienen, dazu das Ganze so bunt und mannichfaltig, dass es einer besonnenen Gemüthsart widerstreben müsse, für reizbare und empfindliche Seelen aber ein gefährlicher Zunder sei. Wir wissen, welche einzige Gattung der Dichtkunst von ihm begriffen wurde, die aesopische Fabel: und dies geschah gewiss mit jener lächelnden Anbequemung, mit welcher der ehrliche gute Gellert in der Fabel von der Biene und der Henne das Lob der Poesie singt:

»Du siehst an mir, wozu sie nützt,
Dem, der nicht viel Verstand besitzt
Die Wahrheit durch ein Bild zu sagen«

Friedrich Nitzsche
aus: Die Geburt der Tragödie

Fabel als ideale Naturgeschichte


3360. Wollen wir die Würmer mit der Wurzel, die Krabben mit dem Stengel zusammenstellen; so werden wir die Drosselthiere das Laub nennen müssen. Ihre Flügel sind gefiederte Blätter, und unter den Schricken (orthopteren) kommen manche vor, die sowohl in der Form des Leibes als der Flügel so eben vom Schmetterlingsbaum sich losgelöst zu haben scheinen. Die Fabeln, daß Blätter sich in der heißen Zone in Insecten verwandeln, sind nicht ohne Sinn, wie denn die Fabel nichts anderes ist, als die ideale Naturgeschichte.

Lorenz Oken
Lehrbuch der Naturphilosophie
Jena, 1831

Donnerstag, 9. April 2009

Flattermann-Casting

Zum gestrigen Posting:

Silke schrieb:

»Das Bild ist ja genial!!!«

Meine Antwort:

»Aber - es ist gestellt :-|

Ich habe dem (schon etwas heruntergekommenen) Perlmuttfalter etwas vergorenen Honigsaft versprochen, wenn er sich für das Foto da mal hinsetzt. Der alte Schluckspecht hat das gemacht und ist nachher vollgetankt abgezogen und gleich den jungen hübschen Dingern hinterhergeflattert :-)«

Mittwoch, 8. April 2009

Knabe und Schmetterling


Knabe:
Schmetterling,
Kleines Ding,
Sage, wovon du lebst,
Daß du nur stehts in Lüften schwebst?

Schmetterling:
Blumenduft, Sonnenschein,
Das ist die Nahrung mein.

Der Knabe, der wollt' ihn fangen,
Da bat er mit Zittern und Bangen:
»Lieber Knabe, tu' es nicht.
Laß mich spielen im Sonnenlicht.
Eh' vergeht das Abendrot,
Lieg' ich doch schon kalt und tot.«

Wilhelm Hey

Wilhelm Hey


Der Pfarrerssohn wird am 26.3.1789 in Leina bei Gotha geboren. Nach dem frühen Tod der Eltern wächst er bei seinem Bruder Karl auf, besucht das Gymnasium in Gotha und studiert in Jena und Göttingen Theologie. Er arbeitet danach als Hauslehrer in Holland, wirkt als Lehrer in einen Gothaer Internat und wird 1818 Pfarrer in Töttelstädt bei Gotha. 1827 wird er zum Hofprediger berufen und 1832 als Pfarrer, Superintendent und Bezirksschulinspektor nach Ichtershausen in Thüringen versetzt. Hey vertritt eine menschenzugewandte Theologie, setzt sich für arbeitende Mütter und Handwerkerlehrlinge ein und bekommt von der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg 1847 die Ehrendoktorwürde zuerkannt. Er stirbt am 19. Mai 1854 in Ichtershausen.

1833 erschienen seine »Fünfzig Fabeln für Kinder«, die mit «Noch fünfzig Fabeln für Kinder« 1837 eine Fortsetzung fanden. Außerdem veröffentlichte er Predigten, trat als Übersetzer in Erscheinung (The Course of Time von Robert Pollock, 1830) und schrieb Gedichte (1816) und Lieder, von denen einige heute Volkslieder geworden sind. Die bekanntesten sind: Weißt du wieviel Sternlein stehen und Alle Jahre wieder.

Horst-Dieter Radke

Dienstag, 7. April 2009

Schmetterling


»Schmetterling, kommst du schon wieder
Mit deinem bunten Gefieder,
Flatterst mir immer näher ans Licht?
Vögelchen, armes hörst du nicht?
Wirst dir die schönen Flügel verderben,
Wirst dich verbrennen und elend sterben.«

Dem Kinde, tat's um den Vogel leid,
Es fing ihn noch eben zur rechten Zeit
Es setzt' ihn zum Fenster hinaus ganz sacht
Da war's ihm erst frostig die ganze Nacht,
Doch am Morgen die Sonne schien rein und hell,
Da regt' er sich, flatterte fort gar schnell.

Wilhelm Hey

Montag, 6. April 2009

Der Schmetterling und die Biene


Ein Schmetterling und eine Biene flogen
Zugleich auf eine Blum', und sogen,
Die Biene Honig! Was der Schmetterling?

Was saugst denn du, du buntes Ding?
Wollt' ich den kleinen Flattrer fragen,
Allein er flog davon; die Biene blieb und sog.

Kannst du, du Fleißige, fragt' ich die Biene, sagen,
Ob dieser Schmetterling, der eben weiter flog,
Auch Honig aus der Blume sog?

Ja! Honig! aber nur für seinen lieben Magen!

Johann Wilhelm Ludwig Gleim

Sonntag, 5. April 2009

Der Adler und der Schmetterling


Ein Sonnenadler, den sein Flug
Bis an die höchsten Wolken trug,
Ward durch den Wald von tausend Zugen
Als aller Vögel Fürst besungen.
Lob zeigt den Neid, ein Schmetterling,
Ein kleines, aber stolzes Ding
Vermaß sich ohne Scheu dem Adler gleich zu fliegen,
wo nicht, ihm annoch obzusiegen.

Der Adler nahm den Wettstreit an,
Als man ihm solches kund gethan,
Und ließ dem Wolkendiebe sagen,
Es morgen früh mit ihm zu wagen.
Der Adler war schon lange da,
Eh sein Bestreiter kam, der auf der kurzen Reise
auf manches Blümchen flog, und da und dorthin sah,
nach aller Schmettelringe Weise.
So kam er an, und gleich darauf
Erhob der Adler sich zu den sphgirnen Höhen,
Der kleine Harlekin rafft sich nun gleichfalls auf,
Und läßt die bunten Flügel gehen.

Allein er war nicht weit, als schon ein Wirbel kam,
Der ihn vor aller Augen nahm,
Und rücklings mit herunter brachte:
Es war kein Vogel, der nicht lachte.

***

Ihr kleinen Dichter, merkts, und wagt euch nicht zu viel
Gebietet eurer Eigenliebe;
Sonst gehts euch, wie dem Wolkendiebe,
Aus einem Bav wird kein Virgil

Magnus Gottfried Lichtwer

Freitag, 3. April 2009

Die Raupe und der Schmetterling


In einer grün bewachsnen Hecke
Sah einstens eine träge Schnecke,
Daß oben eine Raupe hing,
Die nun damit zum Werke gieng,
Sich nach Gewohnheit einzuspinnen, Ein anderer Leben zu beginnen.

Wie übel, sprach sie, geht es dir!
Du mußt dir selbst dein Grab bereiten,
Und kömmst, nach dir bestimmten Zeiten,
In anderer Gestalt herfür;
Dein erstes Wesen wird zerstöret,
so Farb als Bildung ändert sich;
Doch ich bin unveränderlich,
Und werde nicht, wie du verkehret;
Denn wenn ich mich auch gleich verstecke,
Verbleib ich doch stets eine Schnecke.

Freund! dieses ist ein falscher Wahn,
Ließ sich die Raupe drauf vernehmen;
Ich find unbillig, mich zu grämen;
Mein Tod gebiert mir neues Leben,
Und setzt mir leichte Flügel an,
Daß ich mich von der Erden heben
Und nach der Höhe schwingen kann;
Du aber bleibest für und für
Verächtlich an dem Staube kleben,
Und bist ein niederträchtig Thier;
Drum sieh, wie gütig und geneigt
Mein weises Schicksal mit mir handelt,
Da es mein Wesen so verwandelt,
Daß es verbessert aufwärts steigt.

***
Das Sterben bringt viel minder Schaden,
Als man aus Furcht zu glauben pflegt;
Wir werden von der Last entladen,
Die uns zur Erden niederschlägt;
Drum soll man sich darum nicht quälen,
Daß man nicht länger leben kann;
Der Tod setzt gleichsam unsern Seelen
Zur Ewigkeit die Flügel an.
______
Die alten Aegyptier, Griechen und andere Völker pflegten daher einen Schmetterling oder Zweyfalter, als ein Sinnbild der befreyten Seele, auf ihre Leichensteine und todtengefäße eingraben oder malen zu lassen, vermuthlich, weil im Griechischen ein Wort sowohl die Seele, als ein verwandelte Raupe oder Schmetterling bedeutet. Siehe etwas hiervon in des Spons Recherches curieuses d’Antiquite, am Ende, wo ich mich recht besinne. Demnach hat diese Fabel wirklich einigen Grund in der Antiquität.

Daniel Wilhelm Triller
Neue aesopische Fabeln

Donnerstag, 2. April 2009

Der Gärtner und der Schmetterling

Nicht der erste dieses Jahr, den ich gesehen habe,
aber der erste, der sich fotografieren ließ.

Ach gönne mir das Glück, mein Leben frey zu enden!
So bat ein Schmetterling in seines Fängers Händen,
Noch wenig Tage sind zum Fliegen mir erlaubt,
Was hilft die Grausamkeit, die mir auch diese raubt?
Du weißt, der Blumen Schmuck wird nicht durch mich versehret,
Ein unvermißter Saft ist alles, was mich nähret.

Dein Flehen bringt mich nicht zu unbedachter Huld,
Sagt ihm der Gärtner drauf, stirb jetzt für alte Schuld;
Wollt' ich der Raupe That dem Schmetterling vergeben,
So wird sie hundertfach in deinen Jungen leben.

Auch bey der Bessrung Schein befiehlt des Bösen Tod
Das Uebel, das er that, und mehr noch, das er droht.

Anmerkung:
Daß die Schmetterlinge Raupen gewesen sind, und Eyer legen, aus denen wieder Raupen auskriechen, ist vielleicht zu Erläuterung dieser Fabel eine nöthige Anmerkung für manche witzige Köpfe, die sich eine Schande daraus machen, sich um solche Kleinigkeiten, wie die Wunder der Insekten sind, zu bekümmern. Eben diese sollen auch wissen, daß die Insekten sich noch stärker vermehren, als die reimreichen und reimlosen Dichter, und auch noch den Vorzug haben, daß sie meistens besser gerathne Kinder sind.

Abraham Gotthelf Kästner

Mittwoch, 1. April 2009

Der Hänfling des Papstes Johannes des dreiundzwanzigsten

Zwei Dinge haben sich noch nie verbinden können:
Ein Weib und recht verschwiegen sein.
Abt Grecourt sagt's. Ich muß ihn nennen,
Um mich Unschuldigen vom Argwohn zu befrein,
Als fiele mir dergleichen ein.
Ihm will ich stets den Haß verschwiegner Damen gönnen.
Zum spöttischen Beweis erzählt er ein Gedicht.
Ihr Schönen, was erzählt man nicht?

Der fürchterliche Papst, der durch den Blitz des Bannes
Dem fünften Ludewig, dem Bayern, widerstand,
Der dreiundzwanzigste Johannes
War, wie Franzosen sind, bei Nonnen recht galant:
Galant; doch wie ein Papst, ohn' Abgang seiner Würde.
Er sprach zu Frontevaux sehr oft den Schwestern zu,
Theils zur Erleichtrung seiner Bürde,
Theils zur Befördrung ihrer Ruh'.
Dies Kloster war der Sitz geweihter Schwätzerinnen.
Die suchten alles auszusinnen,
Durch ihrer Zungen Fertigkeit
Den Schutz und die Gewogenheit
Des Oberhirten zu gewinnen;
Und die Hochwürdigen gewannen seine Huld.
Sie war kaum reichlicher, noch schöner anzulegen.
Was gab er ihnen nicht! Bald Ablaß, bald Indult,
Und bald, verschwendrisch, seinen Segen.
War ihnen das genug? O nein.
Wann weiß der Mensch vergnügt zu sein?

Sie ließen sich gar von dem Wahn bethören,
Den Männern beichten, sei nicht recht,
Und von dem weiblichen Geschlecht
Sollt' eine stets der andern Beichte hören:
Und dieses einzusehn, sei auch der Päpste Pflicht.
Er kömmt auch kaum ins Kloster wieder,
So wirft vor ihm sich die Aebtissin nieder,
Küßt zärtlich seinen Fuß, und spricht:
O heil'ger Vater, hör' ein Flehen;
Laß bei dem Priester uns nicht mehr zur Beichte gehen!
Wir alle schämen uns, ihm alles zu gestehen.
Im Wachen und im Schlaf gibt's manche Kleinigkeit,
Die, Männern zu vertraun, sich jede Nonne scheut.
Laß künftig uns einander beichten.
Wir sind weit fähiger, die Sünden zu beleuchten.

Den Papst befremdet sehr der Bitte Dreistigkeit.
Wie? sagt er: ihr wollt Beichte sitzen?
Ihr guten Kinderchen könnt sonst der Kirche nützen.
Wißt: Dieses Sacrament erheischt Verschwiegenheit.
Die ward euch nicht zu Theil. Ihr denkt schön und erhaben,
Und ihr, Geliebteste, besitzet viele Gaben:
Doch eine nicht, die Zuverlässigkeit.
Allein, ich nehm' es in Bedenken.
Vielleicht weiß Frontevaux sich klüglich einzuschränken.
Ist die Aebtissin nicht verständig wie ein Mann?
Zur Prüfung will ich hier noch heut' ein Kästchen senden.
Das überliefre sich nur ihren keuschen Händen!
Wenn sie, nichts ist so leicht, mir's wiedergeben kann;
Doch uneröffnet, merkt dies an!
So bin ich ganz geneigt, euch alles zuzuwenden.

Das Kästchen kömmt. Die Ankunft wird bekannt,
Und jeder Nonne Blick und Hand
Will, darf und muß es sehn, betasten und recht kennen.
Sie reißen sich darum. Die Eifernden zu trennen,
Kömmt die Aebtissin, und die Nacht.
Das schöne Kästchen wird vorjetzt nicht aufgemacht.
Der Vorwitz quälet oft mehr, als der Alp der Sorgen.
Die Nonnen flieht der Schlaf: auch die Aebtissin wacht,
Voll reger Ungeduld, bis an den müden Morgen.
Die Messe geht nun an. Gebet, Gesang und Chor
Geräth erbärmlich schlecht; man zischelt sich ins Ohr,
Und singt nicht, sondern schwatzt, und fragt sich, und will wissen,
Warum sie nichts eröffnen müssen?
Die weibliche, verschleierte Clerisey
Versammlet sich noch vor der Mittagsstunde,
Und stimmet, als aus Einem Munde,
Gehorsamst der Aebtissin bei,
Daß man, obgleich der Papst es nicht erlauben wolle,
Das Kästchen untersuchen solle.
Selbst unserm Arbrissel stand etwas Vorwitz frei.
Es bleibt ja unter uns; wir alle können schweigen.
Das eben soll, uns selbst, jetzt die Eröffnung zeigen.
Auch kein Concilium erräth,
Daß wir im mindsten nur am Deckelchen gedreht.
Doch damit lassen wir die Frau Aebtissin schalten.
Die nimmt den Deckel ab. Ein Hänfling fliegt heraus.
Ein Wunderwerk hat ihn erhalten.
Er flattert, singt, entwischt, setzt sich aufs nächste Haus.
Da mag für ihn der Vögel Schutzgeist walten.

Man klopft gebietrisch an. Wer war's? ... Der Papst war da.
Er kam. Sobald er nur den frommen Haufen sah,
Wollt' er sein schönes Kästchen schauen;
Denn, sprach er, es enthält, was ihr so sehr begehrt,
Die Bulle selbst, die euch den Beichtstuhl schon gewährt.
Allein! ... darf man auf Weiber bauen?
Ihr zaudert, wie mich däucht. Gebt her! ... Was seh' ich jetzt?
Ist eure Bulle schon entflogen?
Das schönere Geschlecht ist sinnreich und verschmitzt,
Doch zum Geheimniß nicht erzogen.
Dem Priester nur geziemt, daß er euch Beichte sitzt.

Ein junges Nönnchen war dem alten Brauch gewogen,
Und sagt': Ich liebe nicht dergleichen Neuerung!
Mein Beichtiger ist mir schon gut genung.

Friedrich von Hagedorn