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Freitag, 8. März 2019

Der böse Basilisk

Der böse Basilisk aus hellem Spiegel seuget
Zu eigenm Untergang selbst seiner Augen Gifft.
Wer Bosheit anzuthun dem Nechsten ist geneiget,
Ist billig daß ihn selbst sein Mörder-Anschlag trifft.

Eduard Mörike

Mittwoch, 4. November 2015

Zum Herbst: Fabel


Ein jüngst noch dick belaubter Baum
Sah seines Wipfels Pracht erbleicht zu seinen Füssen,
Und, wie des Bodens runder Raum,
Den die so angenehm begrünten Schatten
So oft geschützt, so oft bedecket hatten,
Den lieben Kinderchen zum Kirch-Hof werden müssen.
Es riß der kalt' und rauhe Nord
Den dünnen Ueberrest noch immer mit sich fort,
Sie taumelten recht Schaaren-weis' herab,
Und suncken in das finstre Grab.

Er schien, in dunckler Farb', ihr sterben zu betrauren,
Und, in der Kinder Fall, sich selber zu bedauren.
Dieß heimliche Geseuftz, dieß still' und bange Klagen
Vermochten einige der Blätter, die noch grün,
Und deren frische Farb' fast unverwercklich schien,
Nicht zu vertragen.

Sie sprachen: Traure nicht! wir wollen bey dir bleiben,
Uns wird kein Wind, kein Frost vertreiben.
Sieh nur, wie grün wir noch, wie frisch; wir fühlen nicht,
Daß uns, an Kraft, an Schönheit, was gebricht.

Allein, fast in derselbigen Secunde,
Erstarrt' ihr kühnes Wort in ihrem kleinen Munde.
Ein kalter Hauch den Eurus von sich bließ,
Der ihnen seine Stärck', und ihre Schwäche wies,
Griff ihren zarten Leib so grimmig an,
Daß ihnen Leben, Muth, und alle Kraft
Vergieng, entwich, zerrann.
Es stockt ihr Lebens-Saft;
Es schrumpft ihr Cörper ein; sie zittern jämmerlich;
Ein ängstlich Seufzen scheint ihr lispelndes Gezische;
Sie beben, und sie krümmen sich:
Es scheint, als ob man sie recht von den Zweigen wische.
Sie hielten bloß darüm, dieweil die Reih
Sie etwas später traff, sich fast vom welcken frey.

Lasst diese Blätterchen, ihr noch gesunden Alten,
Bey euch des Lehrers Amt verwalten!
Ein Augenblick stürtzt sie herab:
Ein Augenblick stürtzt euch ins Grab.

Berthold Heinrich Brockes
1680-1747

Montag, 11. Mai 2015

Rapunzels Albtraum


Rapunzels Albtraum

Im Turm, im Turm
ich weiß es genau
da darbt und schmachtet
eine junge Frau.

Ihr Haar wächst lang
und immer länger
doch wird ihr dabei
auch immer bänger.

Denn was, so sagt sie
soll all dies Mühn.
wenn kein Fenster da ist
es heraus zu tün?

Kein junger Mann
wird kommen und schrein
dein Haar, herunter.
So lässt sie es sein.

HDR

Mittwoch, 29. April 2015

Zitronenfalter im April



Grausame Frühlingssonne,
Du weckst mich vor der Zeit,
Dem nur in Maienwonne
Die zarte Kost gedeiht!
Ist nicht ein liebes Mädchen hier,
Das auf der Rosenlippe mir
Ein Tröpfchen Honig beut,
So muss ich jämmerlich vergehn
Und wird der Mai mich nimmer sehn
In meinem gelben Kleid.


Eduard Mörike (1804-1875)

Dienstag, 1. Januar 2013

Neujahrs-Epistel

an
meinen Freund Weinhändler


Das alte Jahr ist nun entflohn,
Der alte Wein ist meist vertrunken;
In deinen leeren Fässern nisten schon
Die Spinnen und die Keller-unken:
Doch in den vollen braußt ein junger Most, der nicht
Den schlimmsten Elbler dir verspricht.

Er halte dir, was er versprach!
Von Schwefel rein, von Hausenblas‘ und Kreide,
Werd‘ er dein Lieblingsfaß, und nach und nach
Dein Ehrenwein, als deiner Kundschaft Freude!
Gott Bacchus schenk euch beyden manches Jahr,
Stets feurig und gesund, auch immer hell und klar!

Hier hast du nun ein Neujahr-Angebinde
Aus meinem Musenfaß.
Doch, wenn nun auch in dir, zum Gegenangebinde
ein christlich feiner Wunsch entstünde,
Und, Freund du wüßtest nicht gleich was? –
So zapf‘ ein Epigramm aus deinem Mutterfaß!


Karl Friedrich Kretschmans
sämtliche Werke
Sechster Band
Fabeln, Allegorien und neueste Gedichte
Leipzig 1799

Montag, 17. Dezember 2012

Indische Sprüche

230.

Nicht mag mit Luft die Krähe sich dem Lotus nahn;
Nicht hält sich gern im Brunnenwasser auf der Schwan;
Von einer Löwenhöhle wird kein Hund beglückt,
Von einem Thron kein niedriges Gemüth entzückt;
Es freut sich nicht ein schlechtes Weib am braven Mann,
Ein niedrer und gemeiner steht ihr besser an:
Uns loszumachen von dem Wesen, das Natur
Uns anerschuf, vermögen wir mit Mühe nur.


Indische Sprüche
Aus dem Sanskrit metrisch übersetzt
von Ludwig Fritze
Leipzig 1880

Donnerstag, 6. Dezember 2012

Die Fliege


Dem Menschen lebt, dünk' er sich edel auch
Und gut, im Busen ein Vernichtungstrieb,
Wie ja der Schöpfer, dessen Ebenbild
Er sich berühmt, was er erschaffen, auch
Dem Tode weiht.
Am Fenster stand ich heut
Und blickte müßig auf den See hinaus,
Der aufgestürmt, mit weißen Kämmen wild
Die Flut ans Ufer trieb. Im Zimmer doch
War's heimlich, denn im Ofen knisternd sang
Des Ölbaums grünes Holz. Und wie ich stand,
Nichts denkend, sah ich eine Fliege, kaum
Erwacht zum Leben, die am Fensterglas
Behaglich sacht hinaufkroch, wohl gleich mir
Der Wärme froh. Und wie zur Sommerszeit,
Wo nur zu sehr der kleinen Näscher Schwarm
Uns lästig wird, auch jetzt zerdrückt' ich sie
Mit plumpem Finger. Doch sogleich in mir
Sprach eine Stimme: O du Grausamer!
Konntst du das kurze bischen Leben ihr
Nicht gönnen? War die Welt nicht weit genug
Für dich und sie, und hätt' ihr Summen dir
Den Schlaf gestört?
So sprach mein bessres Ich.
Und von dem Ort der Untat, wo, gestreckt
Die zarten Füßchen, an der Scheibe hing
Die kleine Tote, trat ich rasch zurück,
Sehr unzufrieden mit mir selbst.
Ach wohl!
Gedankenlose Mordlust lebt in uns,
Und schämen sollte sich der Mensch vorm Tier,
Das nur aus Notwehr tötet, oder weil's
Der wilde Hunger zwingt. – – –

Paul Heyse
(1830 - 1914)

Freitag, 30. November 2012

A. de Nora: Das lockende Blut


Keine Fabeln, aber fabelhafte Erzählungen und Gedichte hat der heute leider zu Unrecht vergessene Münchner Arzt und Schriftsteller A. de Nora (1864 - 1936) (Pseudonym für Anton Noder) geschrieben. Den Nationalsozialisten war er nicht genehm, weil er sich all zu offen gegen den Antisemitismus gestellt hatte. Nach dem Krieg waren die Jungen nicht mehr an den alten Schriftstellern interessiert und da er nicht mehr lebte, wie manch anderer Angepasste, konnte er sich auch nicht mehr in Erinnerung bringen. Sein Verlag – L. Staackmann - kümmert sich heute nur noch um das Werk Peter Roseggers sowie vor allem um Sachliteratur (Naturheilkunde, Geschenkbücher u.a.).

Bekehrung

Ich liebt‘ einmal ein Mädel
Ein jung‘ frisches Weib,
Gold’ne Gedanken im Schädel
Ein golden‘ Herz im Leib.

Da sind die Pfaffen gekommen
Und haben der armen Dirn‘
All, all ihr Gold genommen
Aus Herzen und Hirn.

Und haben dem süßen Geschöpfchen
Die Seele erfüllt mit Nacht
Und in das lustige Köpfchen
Gott und den Teufel gebracht.

Nun wird sie ja wohl erwerben
Die himmlische Seligkeit,
Und muß sie auch vorher sterben
An irdischem Herzeleid.

(aus: Stürmisches Blut, 1924)


Einige Erzählungen und Gedichte von A. de Nora habe ich in einem E-Book zusammen gestellt, das im Kindle Shop zu finden ist.


Montag, 22. Oktober 2012

Herbst 2012


Der Herbst ist dieses Jahr so spröde
Mal kommt er bunt, dann doch nur wieder nebelgrau
So bin ich wie im Frühjahr einfach müde
Und selten lockt die Sonne mich mal aus dem Bau.

Was Spinnen spinnen ist mir nicht so wichtig
Ich spinne selbst, doch kann man das nur selten sehn
Das meiste davon mach‘ ich doch nicht richtig
Das was ich tu, ist meistens, um mich selber drehn.

Und nächste Woche soll es schneien
Von Berg bis weit hinunter in das Tal
Jetzt im Oktober, ach, ich könnte schreien
Es ist ja nicht das allererste Mal

Das Wetter nicht so ist, wie wir es wünschen
Berechenbar, und immer so wie es grad passt
Die Sonne, wenn es uns beliebt zu plantschen
Den Regen, wenn der Garten wieder welchen fasst.

Der Herbst ist dieses Jahr so spröde
Die letzten Jahre Wetter - der gleiche Mist,
Davor die Jahre auch, bin ich denn blöde
Das mir das bislang noch nie aufgefallen ist?


Horst-Dieter Radke

Mittwoch, 27. Juni 2012

Sperling in der Hand

Der satte Reichtum hat’s ausgemacht,
dass Armut niemandem Schande macht.
Die Schlemmer lehren am vollen Tisch,
wie Salz und Brot hält die Wangen frisch.
Die Tauben gurren vom Dachesrand:
„Nehmt lieber den Sperling in die Hand!“ …
Und die Dummen fassten den Mehrheitsbeschluss,
dass stets der Klügere nachgeben muss.

Oscar Blumenthal (1852 - 1917)

Sonntag, 6. Mai 2012

Der Vogel Greif


Ohne Wolken steht der Himmel,
Ohne Welle ruht das Meer,
Doch viel schreckliches Gewimmel
Rührt sich um das Schifflein her.

Grimme Haye, Ungeheuer,
Leichen wittern sie am Bord,
Und die Raben wie die Geier
Suchen Atzung an dem Ort.

In dem Schiff‘ am Felsenstrande
Liegen bleich und starr und stumm
Fern von Rettung, fern vom Lande
All‘ die Männer rings herum.

Unter ausgeleerten Kisten
Sucht der Steuermann nach Brod,
Will das zähe Leben fristen
Um ein Stündlein herber Noth.

Heinrich wickelt ein die Leichen,
Senkt sie in des Meeres Grab,
Macht des heil’gen Kreuzes Zeichen,
Möchte stürzen mit hinab.

Seine Augen zugedrückte
Liegt er nun im schweren Traum;
Plötzlich fühlt er sich entrücket
Hoch empor zum Himmelsraum.

Flügelschläge hört er schallen,
Rauschen langen Federschweif,
Und er ruht in Eisenkrallen,
Und ihn trägt der Vogel Greif.

Himmelhohe Felsen ragen,
Heinrich Hält den Schwertknauf fest,
Hat den Greif sammt Brut erschlagen
Mitten drin in seinem Nest.

Ueber Berge, durch die Wüste
Zog der Held zur heil’gen Stadt,
Und er betete und büßte,
Wo der Herr geduldet hat.

aus dem Zyklus: Heinrich, der Löwe
von Julius Mosen
Gedichte, Leipzig, 1836

Samstag, 7. April 2012

Mattn Haas

Lütt Matten, de Has´,
de maak sick een Spaß
he weer bi´t Studeern
dat Danzen to lehrn,
un danz ganz alleen
op de achtersten Been.
Keem Reinke de Voss
un dach: dat´s een Kost!
un seggt:"Lüttje Matten,
so flink op de Padden?
un danzst hier alleen
op dien achterste Been?
Kumm laat uns tosam!
Ik kann as de Daam!
De Krei, de speelt Fidel,
denn geit dat kandidel,
denn geit dat man scheun
op de achtersten Been!
Lütt Matten geev Poot,
de Voss beet em dood.
Un sett sick in´n Schatten,
verspies de lütt Matten.
De Krei, de kreeg een
vun de achtersten Been.
Klaus Groth (1819 - 1899)

Samstag, 3. März 2012

Der treue Hund

Schnuppernd schlich sich um die Schaafe
Rings der Wolf mit schlauem Blick,
Ob wohl Spitz, der Wächter, schlafe,
Und die Schäfchen flohn zurück.

Eng gedrückt auf einen Haufen,
Zittern sie von ihm bedroht;
Eilen sich ihm zu entlaufen,
In der größten Angst und Noth.

Und er spricht mit List zu Spitzen:
»Ei! wie möcht' ich doch wie du,
Bei den dummen Schaafen sitzen,
So in träger fauler Ruh.«

»Komm mit in den Wald spazieren,
Kühl ists dort, nicht heiß, wie hier.
Laß dich, Freundchen, von mir führen,
Steh nur auf und folge mir.«

Aber Spitz weißt ihm die Zähne,
Heisset ihn bei Zeiten gehn,
Wenn er etwa sich nicht sehne,
Noch der Schaafe Herrn zu sehn.

Nimm, o Kind! vom Spitz die Lehre,
Folge ja dem Heuchler nicht,
Der, damit er dich bethöre,
Mit verstellten Worten spricht.

Karoline Stahl
Fabeln, Mährchen und Erzählungen für Kinder
Nürnberg 1821

Mittwoch, 15. Februar 2012

Die Giraffe

Das Thieß mit klafterhohem Fuß,
Sonst Giraff, das die Musen hassen,
Weil man den Namen stümmeln muß,
Um ihn in einen Vers zu passen. –

Dies Monstrum des Parnasses stand
Vor einem Wald, steif wie die Zeder:
So steht ein finstrer Doktorand
Auf seinem staubigten Katheder.

Ein Esel sah es, während er
Mit einem Fuchs auf einer Wiese
Mittagsruhe hielt, von vorneher
und rief: „Sieh, Bruder, welch eine Riese!“

„Laß uns ein Eckchen in den Wald
Auf jenem Steinpfade gehen,“
Versetzt der Fuchs, „so wirst du bald
Den Riesen auch von hinten sehen.“

Gesagt, getan. Das Wunderthier,
Das kurz vorher als Ries’ erschienen,
War itzt ein Zwerg. „Gibt’s Hexen hier?“
Schrie Langohr mit bestürzten Mienen.

„Verbanne, Nachbar, deinen Graus;
Um einen Mann für groß zu achten,
Mußt du zuvor,“ rief Reinhard aus,
„Von allen Seiten ihn betrachten.“


Gottlieb Konrad Pfeffel

Montag, 9. Januar 2012

Storch und Falke

Ein junger Storch sah im Vorüberflug
Den Falken, den ein Fürste trug,
Wenn er zur Reigerbeitze ritte,
Und sprach: Es braucht nur eine Bitte
Bey der Dianen Majestät,
So werd ich ach im Rang erhöht;
Ich bin ohn daß schon hochgebohren,
Und zu der Jägerei erkoren.
Ich spieß Eideren, Frosch und Schlangen,
Was will man mehr von mir verlangen?
Drauf kam er, supplicando, ein,
Man mögt ihm auch ein Amt verleihn,
Und ein Diploms drüber schreiben,
Daß er getitelt könnt an ihrem Hofe bleiben.
Diana sprach: Was sucht der Geck?
Wenn er die Torheit will bezahlen,
So lasset ihm zwo güldne Frösche mahlen,
Im grünen Feld. Zwo Storch an jeder Eck,
Und außen her zwo wilde Katzen,
Als Wappenhalter dran, mit aufgehabnen Tatzen.
Sein künftger Tittel sey: Freiherr von Schlangenreuter,
Erbherr auf Klapperndorf, genannt von Reisignest,
In, und  zu Schnabelheim, etcetera, so weiter:
Wir wollen, daß man ihn dafür paßiren läßt.

aus:
Neue Fabeln und Erzählungen in gebundener Schreibart
Hamburg, verlegst Conrad König, 1749

Sonntag, 1. Januar 2012

Ein Jahr ist nichts …

Ein Jahr ist nichts, wenn man's verputzt,
ein Jahr ist viel, wenn man es nutzt.
Ein Jahr ist nichts, wenn man's verflacht;
ein Jahr war viel, wenn man es ganz durchdacht.

Ein Jahr war viel, wenn man es ganz gelebt;
in eigenem Sinn genossen und gestrebt.
Das Jahr war nichts, bei aller Freude tot,
das uns im Innern nicht ein Neues bot.

Das Jahr war viel, in allem Leide reich,
das uns getroffen mit des Geistes Streich.
Ein leeres Jahr war kurz, ein volles lang:
nur nach dem Vollen misst des Lebens Gang,
ein leeres Jahr ist Wahn, ein volles wahr.
Sei jedem voll dies gute, neue Jahr.

Hanns Theodor Wilhelm Freiherr von Gumppenberg
(1866-1928)

Montag, 12. Dezember 2011

Der Hühnerhund

Des kranken Mopses gutes Leben
Begeht der neidische Bellin,
Bellin, vor dem die Hasen beben,
Das Rebhun fällt, die Füchse fliehn.

Da sieht man, wem das Glücke grünet!
Sehe, spricht er, diesen Broddieb an,
Zeit Lebens hat er nichts gethan,
Doch wird er wie ein Abt bedienet.

Das Brod vom schönsten Waizenkorne
Und Lerchenbrüste nähren ihn;
Seht, wie sich Herr und Frau bemühn,
Da ist Mops hinten, Möpschen vorne.

Ich bin gesund. Was ist mein Dank,
Wenn ich Feld, Busch und Thal durchkrochen?
Des Tages Prügel, Abends Knochen,
Warum bin ich nicht gleichfalls krank?

Es hat, nach des Fontaine Lehren,
Das Glücke zu gewisser Zeit
Die grausame Gefälligkeit,
Der Thoren Wünsche zu erhören.

Bellin ward krank und Mops gesund,
Sobald der Hausherr es vernommen,
So ließ er seine Jäger kommen,
Und sprach: Erschießt den Hünerhund.

Der arme Hund erschrack sich heftig.
Als er den Todesspruch empfieng,
Und dieser Schrecken war so kräftig,
Daß ihm sein ganzes Weh vergieng,
Er säumte nicht, davon zu scheiden.
*
Sieh! Neid, wie thöricht du verfährst,
Du kannst im Elend uns beneiden,
Darinn du längst versunken wärst.

Magnus Gottfried Lichtwer



Sonntag, 20. November 2011

Der Knabe und der Wiedehopf

(Eine Fabel)

Es sang ein Vogel im grünen Wald,
Der Knabe lauschte im Hinterhalt
Und sprach: Dich muß ich kriegen!
Der Vogel sang: Du Tropf, du Tropf!
Ich bin ja der Vogel Wiedehopf
Und kann gar hurtig fliegen.

Der Vogel flog von Ast zu Ast
Der Knabe lief ihm nach mit Hast
Zu einer alten Eiche.
Da flog der Vogel in ein Loch;
Der Knabe sprach: Ich fang dich doch,
Gleich werd’ ich dich erreichen.

Und als er kam zum selben Loch,
Wo sich der Vogel drin verkroch,
Tat sich der Knabe freuen.
Da sprach der Vogel: Laß ab, du Tropf!
Ich bin ja der Vogel Wiedehopf,
Das wird dich noch gereuen.

Und du bist der Vogel Wiedehopf,
So fass ich dich doch gleich beim Schopf,
Mir ist vor dir nicht bange. -
Er tappt in des Vogels Nest hinein,
Er hielt den Vogel bei dem Bein,
Doch hielt er ihn nicht lange.

Er schrie: O weh! Ich dummer Tropf!
Du bunter Vogel Wiedehopf
Du hast dich gut verkrochen.
Du hast dein Nest mit arger List
Gebaut aus purem Schweinemist!
O weh, das hab’ ich gerochen!

O Konrad, bunter Vogel du!
Wenn ich dich ferner ließ in Ruh’,
Das schiene mir das Beste;
Denn niemals faßt man gern beim Schopf
Den bunten Vogel Wiedehopf
In seinem saubern Nests.

Wilhelm Busch

Sonntag, 13. November 2011

Die Truhe

 
Gar häufig kommt uns vor der Fall,
daß man mit vielem Wissensschwall
sich quält, wo’s nur gilt, ohne Zagen
die Sache selber zu befragen.

Vom Schreiner brachte man zu jemand eine Ruh’.
Das saubre Stück war eine rechte Augenweide,
und jeglicher hat daran seine Freude.
Ein Jünger der Mechanik tritt hinzu;
der sieht die Truhe an und ruft: »Ah, ein Geheimnis!
Jawohl, sie hat kein Schloss –
nun, nun, ich öffne sie Euch ohne Säumnis.
Seht mich nicht an so groß!
Ich find’ es schon heraus, ich öffne Euch die Truhe,
in der Mechanik habe ich was los – das lässt mir keine Ruhe.«

Er macht sich an die Truhe flugs,
er späht nach allem wie ein Luchs,
zerquält sien Hirn, o Jammer,
drückt auf ‚nen Nagel bald und bald auf eine Klammer.
Wer so sein Tun erblickt,
hält ihn für halb verrückt,
man flüstert und man lacht,
er aber murmelt immer sacht:
»Hier nicht, so nicht, da nicht.« Sein Eifer wächst,
er schwitzt und schwitzt und meint, er sei verhext.
Doch wie die Kraft zu Ende geht,
lässt er die Truhe, wie sie steht.
Die saure Mühe konnt’ ihn wohl verdrießen:
die Truhe war nicht zum Verschließen.

Iwan Andrejewitsch Krylow
Fabeln, Leipzig 1874
Original: St. Petersburg 1843
Übersetzer: Ferdinand Löwe

Sonntag, 30. Oktober 2011

Falter und Schnecke

Falter haben keine Tugend –
            geb ich zu;
Sie genießen ihre Jugend
            ganz schmasu!
Rauben allen Blumenseelchen
            Glück und Ruh,
halten selbst in Lilienkelchen
            Rendezvous.

Aber denkt, ein Falterleben,
            liebe Leut‘,
Ist ja nur ein kurzes Schweben,
            überm Heut‘.
Darum laßt sie doch genießne,
            wie sie’s freut,
Alles was in Wald und Wiesen
            schnell sich beut.

Freilich, besser hat’s die Schnecke,
            der – nach Brehm –
Auch der Aufenthalt im Drecke
            angenehm;
Sie genießt das Leben gründlich
            und bequem,
tugendhaft sowohl als sündlich –
            je nachdem.

Doch erregt ihr wüstes Schleimen
            nie Skandal,
Denn sie tut es im Geheimen
            allemal;
Nur der Falterflug, der kecke,
            macht ihr Qual,
Weil er „offen buhlt“ … Die Schnecke
            hat Moral!

A. De Nora
aus: Ruheloses Herz