Donnerstag, 28. März 2019

Der Dichter und der Fuchs

Herr Dichter, sprach ein Fuchs, der an der Kette lag,
Ich bitte, laßt mich los! ich will ein Stückchen machen,
Ihr sollt darüber lachen;
Nur heut' auf einen Tag!

Auf einen Augenblick
Dürft es nur sein, du Schalk! so lachtest du der Kette.
Ja! wer von dir nicht schon so manches Schelmenstück
Gehöret und gelesen hätte!
Du bist so schlau, so schlau! so listig, daß man dich
Fest hält, wenn man dich hat; die Kunst ist, dich zu kriegen!
Darum, du Vogel, du! wer klug ist, tröstet sich
An seiner Kette selbst, und bleibt geduldig liegen.

Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Ausgewählte Werke, Leipzig 1885, S. 111.

Dienstag, 26. März 2019

Einsicht

Eine schneeweiße Pfauentaube saß mit dem Tauber auf dem Dach. Sie glänzten in der Sonne und schnäbelten sich zärtlich.
»Das ist stark«, sagte das Truthuhn, das seinen Kopf ganz schief halten mußte und dazu blinzeln um hinaufzusehen. Es wollte weiter reden; aber da ging der Truthahn vorbei, kollerte und blähte sich, und das Truthuhn warf sich platt auf die Erde, verliebte und demütig. Es sah mit seinen blöden Augen zu dem stattlichen Tier empor, das mit Rasseln und trommeln dafür dankte und sich aufblies wie ein Luftballon.
»Daß man einen Tauber anbeten kann!«, kreischte das Truthuhn.
»Einen kleinen, unbedeutenden, farblosen Vogel, der keinem Geschöpf Respekt einzuflößen imstande ist.« Es lag nun flach da, wie ein breiter, bräunlicher Eierkuchen. Dem Truthahn schwoll der rote Zierrat an Kopf und Hals. Er wurde purpurrot.
»Daß er die Zärtlichkeit der Taube überhaupt für voll nimmt«, kollerte er. »Daß er so wenig Einsicht hat und glaubt, was die Kleine da oben girrt.« Er schüttelte isch. Das Truthuhn vor ihm wurde noch flacher.
»Er ist ein Tauber«, sagte es verächtlich. »Kein Herrscher, kein König unter seinesgleichen, kein …« Es konnte nicht weiter, und schnappte nach Luft. Sein bläuliches Köpflein bewegte sich vorwärts und rückwärts. Es schloß die Augen und wartete, ob der Truthahn seine Ergebenheit belohnen werde. Aber er rauscht weiter. Wie dunkles Gold glänzte sein Gefieder. Er wußte, daß er der Stolz des Hühnerhofes war.
Der große, weiße Hahn hatte dem Zwiegespräch zugehört. Er schwieg. Stolz drehte er den gebogenen Hals, und gravitätisch ging er seinen Hühnern voran durch den großen Hof. Eine der Hennen sagte, daß sie sich wundere, daß der Truthahn sich mit der dummen Dinde abgeben möge, die Verehrung und Zärtlichkeit heuchle. »Und er glaubt das alles«, sagte ein braungesprenkeltes Huhn, und trippelte zum Hahn. Der hob sich, schüttelte sich und krähte. Alle Hühner sahen sich an.
»So wie du, kräht keiner«, sagte eines.
»Wer hat dien stolzes Auge?«, fragte ein anderes, und gab der Nachbarin einen Hieb, denn sie hatte ihm eine Mücke vor dem Schnabel weggeschnappt.
»Wessen Schwanzfedern wölben sich wie die deinen?«
»Wer ist so weiß wie du?«
»Wer könnte uns beschützen, wie du es tust?« Der Hahn schwieg. Er war klug. Aber er stolzierte durch den Hof, schlug mit den Flügeln und krähte, daß alle Hähne der Nachbarschaft antworteten.
Der Enterich, de am Zaun in der Sonne lag, hatte mit seinen beerenschwarzen ›Augen dem allem zugesehen. Er war aber zu faul, um zu sagen, was er dachte. Er wippte nur mit dem Schwänzlein und schnatterte ganz leise. Seine beiden Enten konnten sich nicht genug wundern, daß der Hahn solche grobe Schmeicheleien glaube. Sie sahen hinüber zum Hahn und schnatterten empört und verächtlich. Dann begannen sie gleichzeitig den Enterich zärtlich zu lausen. Er ließ es sich gefallen.
Warum auch nicht?

Lisa Wenger
Amoralische Fabeln
Zürich, 1920

Sonntag, 17. März 2019

Apfel und Birne

„So rot und prächtig möchtest du wohl auch einmal aussehen“ sagte der Apfel stolz zur Birne. „Schau einmal, wie ich glänze und alle anlache, die mir entgegen treten. Dagegen hängst du unproportioniert und mit dickem Bauch am Baum und hast allenfalls eine verschämte Röte zu zeigen.“
„Aber so saftig und süß innen drinnen wie ich wirst du wohl nie sein. Vorher frisst dich die Fäulnis auf!“ konnte die Birne gerade noch antworten, bevor eine Kinderhand sie vom Baume riss und an den bereits geöffneten, erwartungsvollen Mund hob.
Horst-Dieter Radke

Freitag, 8. März 2019

Der böse Basilisk

Der böse Basilisk aus hellem Spiegel seuget
Zu eigenm Untergang selbst seiner Augen Gifft.
Wer Bosheit anzuthun dem Nechsten ist geneiget,
Ist billig daß ihn selbst sein Mörder-Anschlag trifft.

Eduard Mörike

Donnerstag, 7. März 2019

Fabeln über Paradiesvögel

Bildquelle: Wikipedia


Die merkwürdigsten sind die Paradiesvögel (Paradisea) von denen man mehrere Arten kennt, welche hier zum Theil ausschließend einheimisch sind. Nicht bloß der Pracht ihrer Federn und Farben wegen, sondern auch durch wunderliche Mährchen, die von ihnen erzählt und geglaubt wurden, sind diese Vögel bei den Naturforschern und Sammlern berühmt worden. Dahin gehört die Fabel, daß sie ohne Beine geboren würden, nie die Erde berührten, ihr ganzes Leben hindurch in der Luft schwebten, und als ächte Kinder des Paradieses bloß vom Thaue des Himmels lebten. Man findet in den Schriften der älteren Naturforscher erbauliche Betrachtungen, über den Endzweck des Schöpfers bei dem Bau dieser erhabenen übersinnlichen Vögel. Die Fabel hat eine einfache Veranlassung. Bei dem Zuge der Vögel bringt bisweilen ein heftiger Windwechsel ihre langen Schulterfedern in Unordnung; dies hindert sie im Fliegen, und sie sollen entweder ins Meer, oder auf den Erdboden, wo sie nicht sogleich wieder auffliegen können, weil sie, bei dem eigenen Bau ihrer Federn, sich hierzu auf einem Baume oder sonst auf einem erhabenen Gegenstande befinden müssen. Die Einwohner fangen sie nun leicht, schneiden ihnen die Füße ab und tragen sie als Zierathen auf ihren Turbans. Einige wurden den Holländern auf den Gewürzinseln verkauft, welche entweder selbst glaubten, daß die abgeschnittenen Füße von der Geburt an fehlten, oder welche in ihrem ehrlichen Speculationsgeiste es einträglicher fanden, in Europa solche Wundervögel zu verkaufen.

Eine andere Fabel erzählt von den Königsvögeln (Paradise regia Lin.) daß sie ihrem Könige oder Anführer mit eben dem Gehorsam und der Ehefurcht gehorchen, wie ein Unterthan seinem Monarchen. Wenn eine Schaar zum Wasser oder an einen Platz kommt, wo sich Nahrung findet, so soll kein Vogel eher das Wasser oder Futter anrühren, bis der König getrunken oder gefressen hat. Dieses, in Indien als unläugbare Wahrheit geglaubte Märchen hat keinen anderen Grund, als daß diese Vögel bei ihren Zügen einem folgen, der vorausfliegt, was auch andere Zugvögel zu thun pflegen.

Neueste Länder- und Völkerkunde.
Ein geographisches Lesebuch
Sechszehnter Band. Australien.
von Dr. L. Lindner
Weimar, 1814