Sonntag, 31. Juli 2011

Die Fabel

Die Göttin in dem Reich der Sitten,
Die Fabel hatte viel erlitten,
Die Wahrheit kam mit ihr in Noth,
Aesop und Phaedrus waren todt;
Ihr Tempel wurde ganz entehret,
Und durch den Lügenschwarm zerstöret.
Sie saß verlassen und betrübt,
So sehr sie auch die Menschen liebt,
So heftig ward sie nun gehasset,
Auf ihren Dienst nicht mehr gepasset,
Ihr Reich blieb lange Zeit verworrn,
Bis Gellert und von Hagedorn,
Zwey große, zwey lehrreiche Dichter,
Als unpartheysche Schiedesrichter,
Der Göttin ihre Unschuld sehn,
Und sie zu vorger Macht erhöhn;
Nun herrscht sie wieder auf der Erden
Und wird stets angebethet werden.

Neue Fabeln und Erzehlungen in gebundener Schreibart
Hamburg, verlegts Conrad König, 1749

Freitag, 29. Juli 2011

Friedrich Karl von Moser

Bildquelle: Wikipedia

Friedrich Karl von Moser wurde am 18. Dezember 1723 in Stuttgart als ältester Sohn Johann Jacob Mosers in einer alten, württembergischen Familie geboren. Er erhielt eine pietistische Erziehung und begann 1743 nach dem Jurastudium in Jena als Gehilfe seines Vaters juristische und diplomatische Erfahrungen zu sammeln. Über Frankfurt (1751-67) kam er nach Wien, wo er von 1767 bis 1770 Reichshofrat war. Ludwig IX. von Hessen-Darmstadt berief ihn 1772 zu seinem ersten Minister mit dem Auftrag, die durch Kabinettschulden desolat gewordenen Staatsfinanzen zu sanieren, was Moser durch eine Schuldenregelung auch erreichte. Er gründete in dieser Zeit die erste deutsche Ökonomische Fakultät in Gießen. Moser erreichte viel, war aber nicht unumstritten, da er rigide und selbstherrlich vorging. 1780 nahm er seinen Abschied, 1782 wurde er gar wegen Untreue und Eigenmächtigkeit des Landes verwiesen. Der Rechtsstreit daraus wurde allerdings 1790 mit Mosers Rehabilitierung beigelegt. Von 1783 bis 1790 lebte Moser in Mannheim und zog dann nach Ludwigsburg, wo er am 11. November 1798 starb.

Als Schriftsteller war Moser recht umfangreich tätig. Neben seinen juristischen Schriften, entstanden auch zeitkritische Schriften, so Der Herr und der Diener, geschildert mit patriotischer Freiheit (1759) und Der Hof in Fabeln (1761).

Horst-Dieter Radke

Donnerstag, 28. Juli 2011

Die Logic der Wölfe


XXXVIII.

Der beständigen Verfolgungen müde, beschlossen die Schaafe, eine Deputation an die Wölfe zu schicken, um die wahre Ursache des ewigen Haßes zu erforschen und, wo möglich, einen erträglichen Vergleich zu stifften. Ein ehrbarer Hammel und eine trächtige Schaaf-Mutter thaten, als Abgeordnete, den Vortrag, berufften sich auf ihr gleiches Schöpfungs-Recht, auf ihre Unschuld und daß sie mit allen andern Thieren in Friede und Eintracht lebten. Mich zur Rede zu stellen, sprach der Wald-Tyrann, ist das größte eurer Verbrechen, ihr mißbraucht, sehe ich wohl, meine Gedult und Großmuth, euer Tod, hier fiele er über sie her, sey die Strafe eurer Vermessenheit.
Friedrich Carl von Moser
Der Hof in Fabeln
Leipzig 1762

Mittwoch, 27. Juli 2011

Hundelîn und esel


II.

Hivor ein herre zôch ein kleines hundelîn.
es prang âuf in und tet im sîner liebe schîn:
er streichet es und gab im sîner spîse.
Der esel sprach „du wilt ouch trîben solche list:
sind das du nutzer und ouch baz geborn bist,
wer weiz ob im gevalle dîne wîse.“

Eins tages er den herren sach:
er sprang ûf in und snapte im nâch dem munde.
die tôrheit ungelucke rach:
dô er sich glîchen wolde dem hunde,
der herre rief die diner an,
daz si in machten von dem esel frîe.
im wart dô slege vil getân.
er sprach „verfluchet sî die eselîe!
ich missevalle, sich ich wol, dâmit ich wolde behagen:
mîn herre: der engibt mir nicht
durch solche schicht“.
ein ôder sin in gîticheit, muz schanden borden tragen.


Heinrich von Müglin
aus: Fabeln und Minnelieder
Herausgegeben von Wilhelm Müller
Göttingen, 1847

Dienstag, 26. Juli 2011

Der verschwenderische Jüngling und die Schwalbe

„Hömma, wat willze denn mit die dünnen Lappen“, sarich, als unse Hilde mitti Minirock und die enge Tishört ankam.
„Wieso“, sacht Hilde, „gezz ist doch Frühlink. Da geh ich doch nich in Wintamantel aufn Fest.“
Mitti Fraun kannze nich gescheit reden, wennse sich ma wat in Kopp gesetzt ham. Also sint wa losgezogen. Inne Nacht aba, allz wa aufn Heimwech waan, da konnze die Hilde bibbern sehn in ihrn kurzen Röckchen und mittn dünnen Hemt. Dat schmale Jäckchen, dat se dann noch ausse Handtasche gezogen hat, war auch nich wirklich am helfen tun.
„Kannze ma sehn“, sarich, „dat de olle Äsop auch da ma wieda schon allet gewusst hat.“
„Wieso“, sacht Hilde. „Wa der au aufe Vaanstaltung gewesen?“
„Vielleicht. Aba Idioten hat es au dammals schon gegeben, die den Wintamantel zu früh am wegtun gewesen waan. Oda wie die Englända sagen tun: Wan swallo das not mäk a samma.“

Äsop
ins Ruhrdeutsche übersetzt von
Horst-Dieter Radke

Sonntag, 17. Juli 2011

Der Leser sieht das Bild …

Der Leser sieht das Bild, und lacht des Fuchses List:
Merkt aber schamroth oft, da er getroffen ist.

Die Charaktere der Thiere sind bestimmt. Auch dieses trägt nicht wenig zum Vergnügen, oder zu dem Unterzweck der Fabel bey. Der Esel ist dumm, der Fuchs schlau: der Löwe muthig, der Hase feig: der Wolf grausam, das Lamm sanft etc.  Aus dieser Bestimmtheit der Charaktere läßt sich auf einen moralischen Satz ein eben so sichere, als angenehme Anwendung machen. So wird durch die Fabel die ganze Natur belebt, und alle Wesen, wenn man sie mit Äsops Augen ansieht, werden eben so viele unterhaltende Lehrer. Ich sagte schon oben, daß die Moral der Philosophen oft zu versteckt und finster ist; aber in der Fabel lernet man seine Pflichte, die Wahrheit, die Schönheit der Tugend, die Häßlichkeit des Lasters ohne Anstrengung wie spielend, kennen. Die zu nackte Wahrheit blendet, im Fabelschleyer ist sie doppelt reizend. …

Fabulae Aesopiae
Phädrus in deutschen Reimen
von Xaver Weinzierl
Wien und Triest, 1817
aus dem Vorwort

Donnerstag, 14. Juli 2011

Ein Dunkeltier

Ein Maulwurf, gefräßig wie alle, die seines Geschlechtes sind, war auf einem Raubzug begriffen. Er wurde von einem Füchslein beobachtet, das ihn nach einer Weile fragte:
„Warum gehst du immer nur der Nase nach? Mache doch die Augen auf!“
„Werde mich wohl hüten,“ erwiderte der Maulwurf, „es könnte mir ja Licht hineinfallen!“

Marie von Ebner-Eschenbach

Mittwoch, 13. Juli 2011

Die ungehorsamen Mäuschen


Die Mäuschen schmauseten so gern
Konfect und Zuckerwaaren;
Und, merkten Süsses sie von fern,
Gleich liefen sie in Schaaren,
Aus allen Löchern flink herzu,
Um schnell davon zu naschen;
Und flüchteten sich auch im Nu,
Wenn man sie wollte haschen.

Die Mutter sprach: »es thut nicht gut
Das allzuofte stehlen;
Der Mensch, so sorglos er auch thut,
Weiß seine Zeit zu wählen.
Drum rath ich euch, nascht nur mit Maas,
Daß es ihn nicht verdrieße.
Treibt nicht zu weit, noch arg, den Spaß,
Und meidet mir das Süße.«

Doch ach! die Mäuschen hörten nicht
Auf ihrer Mutter Lehre,
Die ihrer Naschsucht widerspricht,
Daß sie sie nicht bethöre.
Sie schmausen in dem Zuckerbrod
Ein Gift, für sie verborgen.
So fanden alle schnell den Tod
Ach, schon am andern Morgen.


Karoline Stahl
Fabeln, Mährchen und Erzählungen für Kinder
Nürnberg 1821

Montag, 11. Juli 2011

Der Esel …


Den Esel macht seine Ähnlichkeit mit dem Pferde nur desto lächerlicher, aber das Pferd wird nicht lächerlich durch den Esel.


Georg Christoph Lichtenberg

Sonntag, 10. Juli 2011

Das Johanniswürmchen

Ein Johanniswürmchen saß,
Seines Demantscheins
Unbewußt, im weichen Gras
Eines Eichenhains.

Leise schlich aus faulem Moos
Sich ein Ungetüm,
Eine Kröte, her und schoß
All’ ihr Gift nach ihm.

»Ach! Was hab’ ich dir getan?«
Rief der Wurm ihr zu.
»Ei!« fuhr ihn das Untier an,
»Warum glänzest du?«

Gottlieb Conrad Pfeffel

Samstag, 9. Juli 2011

Der Kraken und der Schiffer


Ein Kraken hob sich allmählig aus dem Meer empor. Ein Schiffer, der in die Nähe kam, hielt ihn für festes Erdreich und landete auf solchem. Wie erschrack er, als plötzlich dieser Boden unter ihm entwich, und er sich mühsam durch Schwimmen auf sein Schiffgen rettete.

Kaum war er geborgen, als er sah, was ihn bethört hatte; und eine Fluth von Flüchen gegen den betrüglichen Fisch ausstieß.

»Du fluchst mir würklich sehr zur Unzeit«, antwortete dieser; »da du mir danken soltest. Ein Mann, der in ein so unsichres Element auf schwachen Brete sich wagt, solte nie dem blosen Scheine trauen; oder thut er’s einmal, so sey er froh, wenn er mit durchnäßten Kleidern und einem kleinen Schrecken davon kömt, weil er dadurch vielleicht sich Klugheit für die Zukunft holt.«

Würklich giebt es gewisse kleine Betrüger, denen man sich noch obendrein verbunden zu seyn achten sollte, weil sie uns durch nicht allzuschädliche Erfahrung iene Klugheit lehren, die man nie aus der Theorie allein erlernt.

Fabeln nach Daniel Holzmann
weiland Bürger und Meistersänger zu Augspurg
herausgegeben von A.G. Meißner
Carlsruhe, bey Christian Gottlieb Schmieder, 1783
Holzmanns Veröffentlichung stammt aus dem Jahre 1571

Freitag, 8. Juli 2011

Der gute Rath eines Dervis

Ein Dervis klagt einmal bey einem seiner Brüder,
Ihn quälten Reich und Arm, und überliefen ihn,
Dem ward, wie Sadi schreibt, der gute Rath verliehn:
Freund, gieb den Armen nichts; so kommen sie nicht wieder:
Von Reichen suche Geld; so werden sie dich fliehn.

Friedrich Hagedorn
aus: Versuch in poetischen Fabeln und Erzehlungen

Donnerstag, 7. Juli 2011

Fäbeln

das Fä., etwas Fabelhaftes sagen, erdichten; irre, unsinnig reden; besonders von kranken oder irren Menschen (phantasieren).

Theodor Heinsius
Vollständiges Wörterbuch der deutschen Sprache …
Wien 1828

Dienstag, 5. Juli 2011

Der Vater und der Sohn

Ein Vater sprach oft seinem Sohne zu; Sohn! begieb dich mit allem Fleiße auf die Künste und Wissenschaften; denn durch diese mußt du dein Glücke machen.

Lieber Vater! antwortete der Sohn, wie gerne wollte ich alles dieß thun! – Wenn ich nur nicht immer die Dummen und Unwissenden höher steigen sähe, als die Gelehrten und Künstler.

Heinrich Brauns
Versuch in prosaischen Fabeln und Erzählungen
München 1772
zu finden bey Joahnn Nepomuk Fritz,
und Augspurg bey Iganz Anton Wagner,
Buchhändlern.