Freitag, 28. April 2017

Zeus und der Esel

Bist du mit deinem Stande zufrieden, sagte Zeus zu dem Esel.

Immer zufrieden, antwortete der Esel, immer will ich gerne ein Esel seyn, laß mir nur die Gabe der Unwissenheit bey meinem Stande, damit ich es nicht weiß, daß ich ein Esel bin.

Heinrich Brauns
Versuch in prosaischen Fabeln und Erzählungen
München 1772
zu finden bey Joahnn Nepomuk Fritz,
und Augspurg bey Iganz Anton Wagner,
Buchhändlern.

Mittwoch, 19. April 2017

Ein Mann besaß einen Wolfsgürtel

Ein Mann besaß einen Wolfsgürtel, d.h. er hatte die Fähigkeit, sich in einen Wolf (Wehrwolf) zu verwandeln. Einst veranstalteten die Jäger eine Fuchsjagd und hatten ein todtes Pferd als Köder für den Fuchs in den Wald gelegt. Der Wehrwolf begab sich dahin und fraß von dem Pferde. Dabei wurde er von den Jägern überrascht und angeschossen. Er entfloh, und als man in das Haus des Mannes trat, der im Verdacht stand, ein Wehrwolf zu sein, fand man ihn im Bette mit der Schußwunde.

Karl Bartsch
Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2
Band 1
Wien 1879/80

Sonntag, 16. April 2017

Wie das Schaf den Wolf fängt

Vor langer Zeit, als die Gegend bei dem Dorfe Eichel am Main noch mit Wald bedeckt war, kam ein Mann mit einem Schafe zu der Wallfahrtskapelle »Maria zur Eiche«. Er band das Schaf an die Kirchentür und ging hinein, sein gebet zu verrichten. Mittlerweile kam aus dem Wald ein Wolf, um das Schaf zu rauben. Dieses riß sich aber los und sprang in die Kirche, der Wolf ihm nach. Da lief das Schaf zur Tür zurück, faßte mit dem Maul den Strick, der an der Tür hängen geblieben war und riß die Tür zu. Der Wolf war nun eingesperrt und wurde getötet.

Karl Hofmann

Dienstag, 11. April 2017

Der Basilisk zu Memmingen

Melchior Lorck: "Basilischus" (Basilisk), Radierung 42 x 62 mm, aus dem Jahr 1548
Bildquelle: Wikimedia

An ama Haus henter'm Engel z'Memmenga sieht mã an geala Basilischka mit era fuirothe Zonga. – Dau haut mã amaul d'Magd in Keller na g'schickt und haut g'wahtet und g'wahtet, aber s'ischt koĩ Magd meh rauf komma. Do haut mã eppen andersch na g'schickt, aber s'ischt wieder nemad rauf komma, denn sobald's der Basilischk angucket haut send se g'schtorba. Am End gaut oiner her, nemmt an Schpiegel und laut da Basilischka neĩ gucka, und sobald se der sell drenn g'sẽ a haut, ischt er uf der Schtell verreckt. –
Wenn a Gockeler reacht alt wird, so legt er an Oi, bruatets aus, und us dem wird denn a Basilischk.

Alexander Schöppner
Sagenbuch der Bayer. Lande
München 1852–1853

Montag, 3. April 2017

Das Rebhuhn

Talus oder Pardix, des Dädalus Schwester Sohn, erlernte bei seinem Vetter die Bildhauerkunst. Als ein denkender Kopf erfand er die Töpferscheibe, die Säge, das Drechseleisen, den Zirkel und andere nützliche Dinge. Dädalus, welcher fürchtete, Talus möchte es ihm dereinst an Ruhme weit zuvor tun, stürzte ihn aus Neid von Minvervens heiliger Burg, von dem Schlosse zu Athen, herab, vorgebend, daß er von selbst gefallen.

Doch Pallas, dem Genie hold, fing ihn auf, machte ihn zu einem Vogel und umhüllte ihn mitten in den Lüften mit Gefieder. Seines Geistes Kraft und Schnelligkeit ging in Flügel und Füße über; sein Name aber blieb der vorige. Jedoch steigt dieser Vogel niemals hoch, noch nistet er auf Bäumen in hohen Wipfeln. Er fliegt immer nahe am Boden hin und legt seine Eier in niedere Hecken. Seines alten Falles eingedenk, fürchtet er die Höhe.

Johann Gottfried Hanisch
Mythologische Fabellese.
Ein Nachtrag zu einer jeden Naturgeschichte.
Hildburghausen, 1796