Samstag, 26. Dezember 2009

Der frevelnde Freygeist



Verdrüßlich über sein Geschick,
Spie einst ein Narr gen Himmel auf;
Der Speichel aber fiel zurück,
Und fiel ihm auf die Nase drauf.

Der du so lächerlich und klein
Der Vorsicht trotzest, Erdensohn!
Bespiegle dich, und mache fein
Auf dich die Application.



Johann Friedrich Ferdinand Schlez
aus: Fabeln - Viertes Buch

Mittwoch, 23. Dezember 2009

Die Elster und die Taube



Einer Taube war es eingefallen,
Neben einer Elster ihren Sitz
Aufzuschlagen; doch, ein Bild zu malen,
Wie sie lebten, ist zur Zeit unnütz.
Freilich sonderbar
War die Wahl, fürwahr!
Doch man kennet ja der Taube Witz.


Liebe herrschte nur im Nest der Taube,
Und Zufriedenheit und stilles Glück;
Bei der Elster schreit man stets vom Raube
Ihrer Eier und von Mißgeschick.
Auf die Nachbarin
Kehrt die Taube hin
Ungern nur den liebevollen Blick.


Wenn die Elster Schläge von dem Gatten
Als der Liebe Unterpfand bekam,
Wenn sie Zank und Streit zusammen hatten,
Eilet sie sogleich, von Schlägen lahm,
Zu der Taube, klagt,
Was sie oft gesagt,
Schimpft und weinet laut vor bitterm Gram.


Ihres Gatten Fehler herzuzählen,
Macht ihr Freude, und sie nennt ihn roh,
Stolz und hart; wenn er sie könne quälen,
Wie es ihm gefalle, sey er froh;
Nebstdem plag’ ihn noch
Eifersucht und doch,
Wenn er eine Krähe sähe, so …


Doch genug! mit hundert solchen Sachen
Fällt sie ihrer Nachbarin zur Last
Und sie hört beinah nicht auf zu klagen.
»Aber« – fragt darauf die Taube – »hast,
Freundin! du nicht auch,
Wie es ist der Brauch
In dem Leben, deiner Fehler Last?«


»Ei, gewiß! ich will sie dir bekennen
Leichtsinn, Eitelkeit, bisweilen Zorn« –
»Dies ist also eurer Zwietracht Born?«
Spricht die Taube drauf;
»Gib das Klagen auf;
Deine Laune reizt den Mann zum Zorn.«


»Wie, was muß ich hören? meine Launen,« –
Fällt darauf ergrimmt die Elster ein, –
»(Ueber deine Frechheit muß ich staunen) –
Sollten Schuld an meinem Elend seyn?
Fort, hinweg von mir,
Geh’, du dummes Thier!
Zu den Tauben ein,mich laß allein!«
*
Man bekennt nicht selten seine Schwächen!
Andre sollen dann uns widersprechen!

Jean-Pierre Claris de Florian
frei metrisch bearbeitet von:
Conrad Samhaber
München, 1834

Dienstag, 22. Dezember 2009

Der Winter



Winter
Bin ich denn etwa freudenleer?
Meinst du, mein Kind? O, nimmermehr!
Ich lass’ dich schlitten, lass’ dich schleifen,
Und willst du meinen Schnee angreifen,
So ist er wohl ein bischen kalt,
Doch findest sicherlich du bald,
Daß sich ein Männchen, weiß und fest,
Ganz herrlich daraus bauen läßt.

Kind
Wie kannst du auch so artig sprechen!
Doch was du sagst, ist Alles wahr.
Laß nur kein Bein mich bei dir brechen;
Denn allzu leicht bringst du Gefahr!

Winter

Nur nicht verwegen, liebes Kind,
Dann bleib’ ich freundlich dir gesinnt!


Wilhelm August Corrodi
aus: Fünfzig Fabeln und Bilder aus der Jugendwelt
Zürich 1876

Montag, 21. Dezember 2009

Nur durch Tränen geschaut, ist die Welt erträglich



»Warum diese Traurigkeit in vielen euren Liedern« fragte die Königin den Lautenisten nach seinem Vortrag. »In fast jedem zweiten Lied kommen Tränen vor. Ist das angemessen für einen Mann, der so wundervoll sein Instrument beherrscht und solch ansprechende Musik schreiben kann?«
»Solch ein Mann braucht die Tränen, Majestät« erwiderte der Lautenist, »denn nur, wenn er durch diese schaut, ist er in der Lage, die Welt, in der er lebt, halbwegs angemessen zu lieben.«


Horst-Dieter Radke

Sonntag, 20. Dezember 2009

Die Lichtscheuen - Fünfte Fabel




Drei Nächte lang von Gram belastet,
Weil er so gröblich mißgetastet,
Einsiedelt auf dem Glockenstuhl
Der Oberuhu, stöhnt und fastet,
Beklemmt von Ahndungen und schwuhl.

Heil! trauter Oheim, frohe Zeitung
Von segensvoller Vorbedeutung!
(So, noch am Schallloch, girrt ihm zu
Sein Mühmchen Leichhuhn.) Hoffe du,
Durch gute Nachtgestirne Leitung,
Der Nachtreligion Verbreitung;
Und laß dein klägliches Wuwu!
Auf! lustig wiederum geschmauset,
Was dir der Vater Kellner mauset!

Der Uhu schaut im Dunkel gluh
Hochher, und ruft: Was bringest du?
Trost, ruft das Leichhuhn; Trost und Ruh’
Von allem was dich angegrauset,
Seit du in Schwermuth hier gehauset!
Mit Offnem Ohrbusch höre zu!
Der Hahn, der Erbfeind unserer Ruh’,
Des Morgenlichts verhaßter Schreier,
Der unsres Nachtchorales Feier
Duch Kikeri entweiht im Nu:
(Wohl schwerlich, Oheim, glaubtest du
Ein so befremdend Abentheuer;
Doch selbst, vom hohen Dach der Scheuer,
Sah ich dem neuen Wunder zu:)
Der Hahn, so stolz und selbstgenügsam,
Ward heute noch von Knabenhand
Mit Kreid’ am Schnabel fest gebannt;
Die Flügel spreizend, lag er fügsam,
und blickt’ auf seines Herren Bank
Die weiße Zauberschnur entlang.
Traun, kluger Lenkung folgt er biegsam,
Der Starrkopf, der Illuminat.
Und, wird nur ausgeführt mein Rath,
Er huldigt dir als Apostat!

Erwogen wird und abgesprochen
Der Vorschlag; und in wenig Wochen
ist ihm durch vorgestreuten Mohn
Der Kopf benebelt, und gebrochen
Sein Trotz durch List und manchen Lohn.
Kapaunenhaft, ohn’ alles Pochen
Der Mannheit, kommt er angekrochen,
Des Sonnenglaubens abgethan,
Der ehmals hochgesinnte Hahn.
Jetzt nach des Uhu’s Regel wacker,
So oft vom Scheuergiebel schrein
Des Leichenhuhns Nachttitanein,
Mischt er sein horenkrähn darein,
Mit alles Hennenvolks Gegacker,
Ja selber mit der Gänselein,
Des Entrichs und der Entelein
Herzhaftem Billigungsgegacker.
Und er, der lichtfroh ehmals sang,
Wann’s jetzo tagt, krächzt er wie krank,
Und kräht nur Sonnenuntergang,

Die Sonn’ ist ewig hingesunken!
Uhu’t der Uhu wonnetrunken:
Nun sing’ und predig’ ohne Scheu,
Nachtfrohe Münsterklerisei,
Der Nachtlehr’ ewig Einerlei!

Doch, trotz den Trugpropheten, sehet! 

Die hehre Himmelssonne gehet
Unwandelbar die große Bahn,
Sorglos, ob krächzet oder krähet
Auf seinem Mist ein Hühnerhahn.
Sie steigt mit Licht empor und Wärme,
Und weckt des Lebens frohe Schwärme,
Durch Luft und Land und Ocean.
Sie sinkt in Abendröthe nieder,
Daß neue Stärkung all’ empfahn;
Und steigt aus Morgenröthe wieder,
Im Jubelton der Lerechenlieder,
Und wandelt fort die große Bahn.

O weh! das Sonnenlicht, da naht es,
Da naht es doch! schreit ungestüm
Ds Münsterthurms Nachtungethüm:
Treuloser Hahn! O des Verrathes
Sei Rächer stracks der Geier ihm!

Schont seiner Unschuld! ruft der Gimpel
Vom Dome, wo er aufgesehn;

Das Räthsel löset sich ja simpel:
Nicht lehrt der Hahn die Sonn’ aufgehn;
Nein, Sonnenaufgang lehrt ihn krähn.



Johann Heinrich Voss

Samstag, 19. Dezember 2009

Die Lichtscheuen - Vierte Fabel

Des Uhu’s Proselytenmacher
Befeindeten durch Nachtcomplott
Bei Tage selbst des Tages Gott:
Daß bald ein Wildfang, bald ein schwacher
Abfiel und Trotz mit Lästerung bot
Dem hocherhabnen Sonnengott.
Doch mancher scharfe Widersacher
Empfing sie, mancher lose Lacher
Die düstern Proselytenmacher,
Mit Krall’ und Schnabel, oder Spott.

Erzvater Uhu, wohl berathen
Von seinen pfiffigsten Prälaten,
Thut als Beleidigter, und schreit:
Zu weit doch gehe, viel zu weit,
Verfolgung und Unduldsamkeit;
Hochfeierlich in Amtsornaten,
Zieht er nunmehr mit zween Prälaten,
Am hellen Mittag’ unter Hohn
Und Spott und Zischen und Gelächter
Der lichtfroh schwebenden Geschlechter;
Und trägt in heiliger Person,
Als seines Münsters Oberwächter,
Die Sache der Religion
(Wenn man ihm glaubet) vor den Thron.

Langsam, und oft vom Fluge ruhend
Durch Feind’ und strenge Sonnenluft,
In dumpfer Baumhöhl’ oder Kluft;
Und, froh des Märterthurms, uhuend,
Aus Finsterniß und Moderduft;
Oft heuchlerische Huld entgegnend,
Und rechts und links die Feinde segnend,
Wann zerrt der Muthwill’ oder knufft,
Daß bauschig ihr Gefieder pufft!
So tappt der Zug lichtscheuer Seher,
Geführt vom neubekehrten Häher,
Dem sich die fette Pfründ’ empfahl,
Durch manches Feld, Gebüsch und Thal,
Und nun am Bergwald’ immer höher
Zur steilsten Kupp’ im Sonnenstrahl.

Erfleht wird Zutritt und gestattet.
Da sinkt die Uhuschaft ermattet
Und ehrfurchtsvoll am Felsenthron,
Wo hoch die Edeltanne schattet
Dem donnerfrohen Wolkensohn.
Er vorn, durch Kies und Felsgebröckel,
Er selbst, die grauen Augendeckel
Dem heitern Glanz halb zugeklappt,
Des höchsten Münsters höchster Abt,
Braunrothgemäntelt, goldgekappt,
Mit brünstiger und bis zum Ekel
Demüthiger Verehrung, tappt
Zum Saum des Throns; hinauf dann blinzend,
Beginnt er so, liebreich und grinsend,
Und seufzet oft, und stöhnt, und schnappt:

Großmächtige! du, dessen Fittig
Auch deine Glaubensdiener deckt;
Von wüstem Aufruhr, Herr! geschreckt
Aus frommer Andacht Ruhe, bitt’ ich,
Fürbitter dir, und treuster Knecht,
Warmherzigkeit und strenges Recht!
Was kaum noch leidlich war, das litt ich,
Was unerträglich, trug ich sittig;
Und (ach! vom Alter wohl geschwächt!)
Daß Maß der Duldung überschritt ich!
Du, König, hast von deinen Höhn
Mit scharfem Blicke selbst gesehn,
Wie frech des Lichts ruchlose Sekten,
Die Abfall stets aus Abfall heckten,
Uns eben im Vorübergehn,
Uns Diener des Altars! neckten,
Und oft vom stillen Wege schreckten.
Ach hättest einmal du gesehn,
Was, seit der Unglaub’ herrscht, fast täglich
Den Glaubenspredigern geschehn!
Wie, wann sie friedsam und beweglich
Um Buß’ und Besserung nur flehn,
Aufrührer spotten, lachen, schmähn,
Ja gar zur Unthat sich vergehn!
O kläglich, frommer Fürst, o kläglich!
O selbst der Langmuth unerträglich!
So spricht man der Religion,
So aller Zucht und Ordnung Hohn;
Und, schlummerst du, bald deinem Thron!
Du, stets des Glaubens Hort und Schirmer,
Sei Bändiger der tollen Stürmer,
Die uns und dir Verderben drohn!
Wir Diener der Religion,
Des Münsters einst ehrvolle Thürmer,
Wir winden uns vor deinem Thron,
Erniedrigt, ach! des Staubes Würmer!
Und flehn um bloße Duldung schon!
Von Duldung, Duldung schreit ja alles,
Seit vor Illumination
Des Aberglaubens Nacht entflohn!
Ein üben, trotz des leeren Schalles,
Freigeister Inquisition!

Noch floß die Salbung ungebändgigt,
Als plötzlich so der Adler endigt:

Harmlosen Nachttand trägt Geduld;
Wer stürmt auf Tageslicht, büßt die Schuld.



Johann Heinrich Voss

Mittwoch, 16. Dezember 2009

Die Lichtscheuen - Dritte Fabel

Nach Vater Uhu’s Abschiedssegen,
Fing an der Rathkreis sich zu regen:
Da schlau hervor ein Käuzlein trat,
Und freundlich um ein Wörtchen bat:

Wir Münsterchorherrn sind dem König,
Wie Laien, sagt’ es, unterthänig,
wenn er in Obhut Kirch’ und Staat
Pflichtmäßig trägt. Jedoch ein wenig,
O Patriarch, nach deinem Rath,
Die Sonnensucht durch lindes Schröpfen
Und Aderlaß ihm auszuschöpfen,
Kann heilsam sein für Kirch’ und Staat.
Nur auszuführen etwas mißlich
Scheint, Vater Uhu, mir dein Rath.
Scharfschnablich sind und saugerüßlich
Geißmelker und Vampyr gewißlich.
Doch wenn der Schein nicht trüget, hat
Argwohn der Fürst aus alter That.

Nun, ruft der Uhu, was bedeutet
Dein Nur und doch? Rein ausgeläutet!

Das Käuzlein senket Schwing’ und Haupt_
Ehrwüprdiger! ist mir erlaubt,
Die schlaue Demuth zuentzügeln,
Und deiner Weißheit vorzuklügeln?

Laß, Vater, die Verirrten heim
Durch Freundlichekit und süße Brocken
Aus Sonnenbrand’ in Schatten locken,
Wenn nicht vor Augen, doch geheim.
Mißlingt es was nur unerschrocken!
Wo anders treibt der Same Keim,
Im Herzen dort und dort im Kopfe.
Wer scharf nur zielt nach Korn und Knopfe,
Der trifft: so sagt ein alter Reim.
Mein kluger Gimpel, hold dem Kropfe,
Mit schwarzem Käppchen auf dem Schopfe,
Wird leicht durch vollen Trog gerührt,
Und bald als Dompfaff eingeführt.
Unschuld und Einfalt körnt den Täuber,
Und ach! Empfindsamkeit der Weiber;
Den Wendehals lockt Nackendrehn,
Und reger Frömmigkeit Gestöhn;
Die Schwalbe wählt die stillen Dächer
Des Doms, und stille Mauerlöcher;
Ein Ball im Kirchthurm freut den Spatz,
Den Raben ein gefundner Schatz;
Für Dohl’ und Elster wird Belohnung
Im Münster freie Kost und Wohnung;
Für Specht und Staar, Kibitz’ und Krähn
Weissagerkund’ und Geistersehn;
Dem Kukuk, der sich gerne schmeichelt,
Wird laut Bewunderung geheuchelt.
Gewännen wir die Nachtigall;
Nachtvögel sähn wir überall,
Verkehrt durch ihren Zauberschall!

Geh! spricht der Uhu, feurig lächelnd,
Mit regem Fittig Heil ihm fächelnd.

Das Käuzlein fliegt zum nahen Hain,
Wo, unter zartem Laub’ allein,
Tonreich der tiefbewegten Seele
Wehmuth und Wonn’ aus heller Kehle
Ergeußt die sanfte Philomele:
Daß nachempfindet Flur und Hain,
Im dämmerlichen Mondenschein;
Daß kaum ein Pappelblättchen rauschet,
und still der Wandrer steht, und lauschet,
Und im Gedüft hellgrüner Main
Zu wonnetrunkenem Verein
Jungfrau und Jüngling Herzen tauschet.

Nachdem, mit wahrer Rührung fast,
Das Käuzlein sie vom nahen Ast
Lang’ angehört und betrachtet:
Ach! seufzt es, welch Entzücken schmachtet,
Wie hebt der Andacht Schwung sich kühn
Aus deinem Herzen, wann es nachtet!
Wie hallt in Wonnemelodien,
Worauf des Menschen Ohr auch achtet,
Die ahndungsvolle Phantasei,
Vom Gaukelspiel der Sinne frei!
Weh ihm, wer Einsicht und Ergründung
Am klaren Sonnenlicht verlangt,
Unwert der dämmernden Empfindung,
Wovon, bei alles Trugs Verschwindung,
Das Herz uns kindlich wogt und bangt!
O knüpftest du zur Überwindung
Des frechen Wahns mit uns Verbindung!
Komm, Seelenschwester! Wir vertraun
Das Amt dir, hoch von Zinn’ und Mauer
Des Domes, nächtlich zu erbaun,
Durch Nachtgeheimniß, voll von Schauer
Wohlthätiger Zerknirschungstrauer!
Bald dankt für wundersame Ruh’
Dir aller Lüfte Volk, wenn du
Zurück von eitlem Thun es bringest,
Und, dienstbar unserm Erzuhu,
Mit lieblich schmelzendem Lulu
In Schlaf und holde Träume singest!

Mir, sagt Aedon, solch Vertraun?
Ich singe Lieb’, ihr heulet Graun!



Johann Heinrich Voss

Dienstag, 15. Dezember 2009

Die Lichtscheuen - Zweite Fabel



Bildquelle: Wikipedia

Als Herold Kauz des Throns Gesinnung
Dem Oberuhu, der ihn fragt,
Nicht ohne Spötteln vorgeklagt;
Wird hoher Rath der dunklen Innung
Im Thurm des Münsters angesagt:
Wo Er, gegrüßt Erzvater Uhu
Von Vögeln, doch von Menschen Schuhu,
Rauhöhrig, scharf bekrallt, betagt,
Im braunen Amtsgefieder ragt.
Her flattern rings aus allen Zinnen,
Sobald Gefild’ und Städte ruhn,
Die Uhu’ all’ und Uhuinnen,
Nachtrab’ und Kauz und Leichenhuhn,
Vampyre, Fledermäus’ und Eulen,
Geöhrt und ohrlos. Alle heulen
Und krächzen um einander nun,
Und wimmern kläglich, und uhu’n.

Weh, Brüder, weh uns! Was zu thun?
Ruft Altpapa mit demuthsvoller
Amtswürde, gluher Augen Roller!
Noch einmal frag’ ich, was zu thun,
Daß wir auf unserm Stuhle nun
Und wenig ungehudelt ruhn!
Ihr hört’s! mit kaltem Hohn und Spotte
Verwirft er, treu des Tages Gotte,
Der König, als Illuminat,
Ach! unsern wohlgemeinten Rath:
Daß doch des Lichts vorlauter Rotte,
Die immer was zu krähen hat,
Gedämpft der Schnabel sei vom Staat!
Will seine Hoheit denn nicht hören;
(Sehr leid wird’s unserm Herzen thun!)
Doch, bleibt verstockt sein Herz ei nun!
So wird, nach Sanftmuth, Ernst ihn lehren,
Vom krummen Abweg’ umzukehren!
Uns heilg zwar ist Königsmacht;
Doch heiliger die alte Nacht,
Die wir nach altem Brauch in hehren
Nachtceremonien verehren!
Geißmelker du, und du Vampyr,
Scharfmäulig beid’, und krallenklauig,
Und leis’ im Angriff: euch ja schau’ ich
Geübt und regsam; euch vertrau’ ich
Das große Wohl des Ganzen hier.
Wie fromm und eiferig im Dunkeln
Euch dort die grellen Blicke funkeln!
O wackres Paar, gesegnet mir!
Beichtväterlich ja wisset ihr,
Fest angeklammert mit Begier,
Im Dunkeln Milch und Blut zu saugen;
Daß bald der hohle Kopf verdummt,
Daß dumpf das Ohr stets summt und brummt,
Und blöd’ in Dämmerung die Augen
Blendwerk und Spuk zu sehen taugen.
Wohlan! euch sendet der Altar!
Seid kühn mit Vorsicht! Nehmet wahr
Der Zeit, der Umständ’ und des Ortes;
Und schafft Vollendung meines Wortes.
Ihr kennt den jähen Felsensitz,
Wo, nie vom Sturmwind’ angebrauset,
Vom Schnee und Regen nie umsauset,
Vertraut dem Donner und dem Blitz,
Im Goldgedüft der König hauset:
Weis’ und gerecht durch Meer und Land,
Nur leider uns nicht fromm, genannt.
So oft  auf ätherhellem Hügel
Des Wolkenbergs die raschen Flügel
Zu süßer Ruh’ er abgespannt;
Kein Kämmerling, kein Leidtrabant,
Bewahrt dann ängstlich Schloß und Riegel:
zugänglich ruht er, unbewacht,
Und sonder Argwohn, Tag und Nacht,
Getrost der Volkslieb’ und der Macht.
Nun merkt! Wann sorglos einst, wie immer,
Er, von den Seinen nur umwohnt,
Bei unseres Gestirnes Flimmer,
In öder Nachtstill’ ohne Mond,
Nach schwerem Kampf und Reichsgeschäfte
Einschlummert endlich, tief und fest;
Anschleichend haucht ihm derbe Pest,
Und sänftigt die kecken Säfte
Von Trunkenheit der Sonnenkräfte,
Durch Aderlaß: bis er betäubt
Mit uns an Nacht und Mystik gläubt,
Für alten Vorwitz selbst sich stäupt,
Aufklärer mordet und vertreibt,
Und gram dem Licht, andächtig finster,
Uns folgsam, herrscht vom hohen Münster!

Beifallgemurmel, halb noch stumm,
Schwoll mehr und mehr, und wogt’ herum
Im nächtlichen Concilium.
Laut nun, wie ehmals die Beamten
Des Römerbischofs in Trident
Uns Ketzer alle mit gesammten
Dreihundert Kehlen laut verdammten
Zum Höllenpfuhl, der ewig brennt;
So schreit der Chorausruf, und schallet,
Daß ringsumher die Münster hallet:

Ja! ja! wie all’ antworten: Ja!
Dem Sonnenfreund’ Anathema!



Johann Heinrich Voss

Montag, 14. Dezember 2009

Die Lichtscheuen - Erste Fabel

Ein Kauz, in düstern Synagogen
Des Oberuhu’s auferzogen,
Kam früh, als Nacht in Dämmrung schwand,
Vom Dom des Münsters abgesandt,
Zum König Adler angeflogen:
Der, edler Ahnherrn edler Sohn,
Einnahm mit Glanz den Felsenthron
Der Vogelstämm’ in Land und Wogen.

Treu, krächzt’ er, treu der Huldigung,
Und treu des Nachtgestirns im Äther,
Von uns mit Nachtgebet ersichter,
Hochheiliger Bekräftigung!
Rüg’ ich, gesandt vom Rath der Väter,
Den fast zu gellenden Trompeter,
Wohl kaum mit deiner Billigung,
so überschwänglich ausgekrähter
Aufklärung und Verneuerung,
Den kecken Hahn, den Missethäter,
Dir, unser König, als Verräther!
Wann noch dein wohlbeherrschter Staat,
Nach sanftem Thun gewohnter That,
Sanft schläft und träumet und verdauet,
Und unser Nachtlied früh’ und spat,
Wovor allein dem Schalke grauet,
Den Frommen, welcher wacht, erbauet.
Schnell kräht uns der Illuminat
Die Sonn’ empor, um aufzuklären,
Und Ruh’ und Andacht uns zu stören.
Fink, Lerche, Schwalb’ und Meis’ empören
Gefild’ und Wald in freien Chören.

Man kann sein eigen Wort nicht hören!
Die tolle Rotte spricht gar Hohn
Der mystischen Religion,
Der wir, seit undenkbarem Alter
Des hehren Nachtaltars Verwalter,
Andacht und Opferbrauch geweiht:
Daß, gegen alle Mißgestalter,
Wir ewig siegreich, als Erhalter
Der Nachtreligion im alter
Und ungefälschter Lauterkeit,
Zurück den Schwarm der Ungerechten,
Die (nicht mit Adleraugen, traun!)
In Blendung unvorsichtig schaun,
Zurück vom Schein zur Wahrheit brächten,
Und von des heitern Lichts Vertraun
Zu dunkler Ahndung holdem Graun.
Schwermüthig, frommer König, sinnet
Der Vater Uhu Nacht und Tag
Auf hohem Glockenstuhle wach,
Indem er Rath auf Raht entspinnet,
Und, was er abbrach, neu beginnet:
Damit des Leichtsinns schnöde Brut,
Die wähnet, alles werde gut,
Was man im Lichte denkt und thut,
Altgläubig nehm’ uralter Satzung
Geheimnisvolle Seelenatzung
und stets, o Königs wohlgemuth
In seiner und in deiner Hut,
Darbringe treulich Glut und Blut
Dem Heiligthum und Thron zur Schatzung!
Frei denken in Religion,
Heißt frei auch handeln mit dem Thron.
So scholl aus düsterm Tabernakel
Des weisen Erzuhu’s Orakel!
Ja, König, strafst du nicht, so drohn
(Das Leichenhun sah Vorspuk schon,
Und manch bedenkliches Mirakel1)
So drohn dem Münster und dem Staat
Aufruhr, Empörung, Hochverrath.
Hast du geargwohnt, was des tollen
Rohrdommels Graunausrufe wollen,
Die dumpf wie ferne Donner rollen?
Was wohl in manchem Schreiertrupp,
In manchem schlaugedämpften Klub,
Die Unzufriednen schmähn und grollen!
Wie wohl, zum Beispiel, Kräh’ und Staar,
Und andres Völklein, das in Schaar
So gerne sich zusammenrottet,
Des Uhu’s und des Adlers spottet:
Des großen Adlers heimlich zwar,
Des armen Uhu’s offenbar!
Selbst, die, von stiller Nacht begeistert,
Bei Nacht der Herzen sich bemeistert,
Die Nachtigall singt ohne Scheu
Am hellen Tag Aufklärungslieder;
Daß ohne Scheu da Waldgefieder
Aufklärung nachsingt hin und wieder
Aufklärung? nein Aufklärerei!
O sagt’ ich alles, was mir leise
Ein paar verschmitzter Fledermäuse,
Die oft in Dämmrung spähn, geraunt;
Du selber hörtest tieferstaun’t!
Herr König, laß dir doch gefallen:
(Wir Kauz’ und Eulen flehn gesammt!)
Dem Hahn und seinen Schreiern allen,
Die immerfort Aufklärung hallen,
Zum Bändiger, im Censoramt
Den frommen Uhu zu bestallen!

Der Adler that, als hört’ er nicht,
Und sah in’s junge Morgenlicht.


Johann Heinrich Voss

Die Lichtscheuen



Ein Epos in fünf Fabeln
an: Johann Joachim Spalding





Lang’ unter Friedrichs Adlerschwingen,
Hast du, zum reinen Licht gekehrt,
Religion der Liebe singen
Und predigen mit Kraft gelehrt.
Dein stilles Ältre zu verjüngen,
Bleib, du edler Greis, bleib gerne doch!
Nie wird der Eulen Trug gelingen,
Der König Adler waltet noch.





Sonntag, 13. Dezember 2009

Der heilige Floh



Den Kamtschadalen gilt der Floh als heiliges Tier. In ihren Göttersagen spielt er eine hervorragende Rolle. Zwar versuchen auch die Leute auf Kamtschatka sich dieser angenehmen Tiere zu erwehren; wenn sie jedoch einem dieser Blutsauger den Garaus machen, so tun sie dies nur unter gewissen Zeremonien.
Die Flöhe sollen nämlich nach der Sage der Bevölkerung die Erdbeben verursachen. Der Höllengott Tuil fährt nach ihrer Meinung mit einem Hundeschlitten in der Unterwelt umher; hält der ziehende Hund inne, um sich eines ungebetenen Gastes durch Schütteln zu entledigen, so gerät die Erde in Bewegung, es gibt ein Erdbeben.
Die Kamtschadalen glauben auch, daß die Flöhe das Heulen des Sturmes verursachen. Die Windsbraut, die Göttin Uschachtscht, wird als ein häßliches, keifendes Weib geschildert, das ein Kind auf dem Rücken trägt. Kommen beim kleinen Kinde die heiligen Flöhe zu nahe, so bricht es in ein lautes Weinen aus. Aus der Stärke des Sturmes glauben die Kamtschadalen entnehmen zu können, ob das Kind wenig oder stark von den heiligen Tieren geplagt wird.


O. v. B.
1910

Samstag, 12. Dezember 2009

Der Hase als Fuchs



Die Persönlichkeit des Fuchses ist in den Suahelimärchen durch den Hasen vertreten, dem von den ostafrikanischen Negern dieselben Attribute beigelegt werden, wie im deutschen Märchen dem Fuchs. Der Grund hierfür liegt in der Gewohnheit des Hasen, wie seines Vetters, des Kaninchens, fortwährend die Lippen zu bewegen. »Er weiß überall Bescheid und möchte gern sprechen,« sagen die Eingeborenen. So wie im Deutschen die Redensart »du Fuchs du« ihre besondere Meinung hat, so braucht der Suahele die Worte: »Ee Sungura wee, du Hase oder Kaninchen du«. So erzählt eine Suaheligeschichte, deren Inhalt mir teilweise entfallen ist, von der Schlauheit des Kaninchens bei dem Bau eines tiefen Brunnens. Alle Tiere beteiligten sich an der Arbeit, nur das Kaninchen nicht. Als der Brunnen fertig war, paßten die Tiere genau auf, daß das träge Kaninchen nun auch kein Wasser daraus bekommen sollte. Das Kaninchen aber wußte alle, außer der Spinne, zu hintergehen.


Held, T. von: 
Märchen und Sagen der afrikanischen Neger
Jena, 1904

Freitag, 11. Dezember 2009

Der Hase, die Hyäne und der Löwe

Ein Hase, ein Löwe und eine Hyäne hatten sich einen Garten angelegt. Eines Tages berieten sie miteinander, daß sie hingehen wollten, um zu sehen, wie alles in dem Garten gediehen wäre; denn es war die Jahreszeit, von der sie reiche Ernte erhofften. Da der Weg, den sie zurückzulegen hatten, weit war, so schlug der Hase vor, man solle unterwegs nicht stehen bleiben, sondern rüstig vorwärts wandern.
»Wer stehen bleibt,« fügte er hinzu, »den sollen die anderen auffressen.«
»Gut,« sagte der Löwe und die Hyäne, »wir stimmen dir bei.«
So schritten sie voran und hatten bereits eine gute Strecke hinter sich, als der Hase plötzlich stehen blieb.
Da rief die Hyäne:
»Seht, seht! Der Hase bleibt stehen! Er hat sein Leben verwirkt.«
»Ich denke nach!« sagte der Hase.
»Worüber?« fragten seine Kameraden.
»Ich denke nach über jene beiden Steine. Der eine ist groß, der andere klein; warum wächst der kleine nicht, daß er ebenso groß wird, wie sein Nachbar?«
»Er tut gut daran, darüber nachzudenken,« sagte der Löwe, und die Hyäne stimmte bei.

Dann schritten sie weiter.
Wieder blieb der Hase stehen.
»Seht, seht,« sagte der Löwe, »der Hase ist stehen geblieben! Er hat sein Leben verwirkt!«

»Ich denke nach,« sagte der Hase.
»Worüber?« fragten seine Kameraden.
»Wenn die Menschen sich neue Kleider antun, was wird aus den alten?« sagte der Hase.
»Er tut gut daran, darüber nachzudenken,« sagte die Hyäne, und der Löwe gab ihr recht.

Wieder gingen sie weiter.
Da blieb die Hyäne stehen.
»Sie ist stehen geblieben! Sie darf nicht weiterleben!« rief der Hase.
»Ich denke nach!« sagte die Hyäne.
»Worüber?« fragten ihre Genossen.
»Über nichts!« antwortete sie.
Da fraßen der Löwe und der Hase die Hyäne auf. Der Löwe und der Hase wanderten weiter. Da blieb abermals der Hase stehen.
»Du mußt sterben!« sagte der Löwe.
»Ich denke nach!« entgegnete der Hase.
»Worüber?« fragte der Löwe.
Der Hase wies auf eine Felsenspalte und sagte: »Siehst du jene Spalte? Unsere Vorfahren pflegten dort ein- und auszugehen; denn das Innere des Felsens ist eine geräumige Halle. Ich werde hineingehen, und wenn ich wiederkomme, sage ich dir, ob es ratsam ist für dich, und ob die Halle groß genug ist, daß du auch hineingehen kannst.«
Der Hase ging hinein, und als er wiederkam, sprach er zum Löwen: »Gehe du auch hinein.«

Da ging der Löwe; aber die Spalte war so eng, daß er stecken blieb und weder vor- noch rückwärts gehen konnte.
»Du bist stehen geblieben, Löwe!« rief der Hase. »Du hast dein Leben verwirkt; aber ich schenke es dir!«
Damit verließ er den Löwen und ging weiter bis zu dem Garten, der ihm nun allein gehörte.


Märchen aus Mombassa.

Sonntag, 6. Dezember 2009

Die Ameisen


In Hamburg lebten zwei Ameisen,
Die wollten nach Australien reisen.
Bei Altona auf der Chaussee
Da taten ihnen die Beine weh,
Und da verzichteten sie weise
Dann auf den letzten Teil der Reise.

Joachim Ringelnatz

Donnerstag, 3. Dezember 2009

Die Entdeckung der Spiegelung im Wasser


Eine Frau ging zum Wasserloch in den Wald, um Trinkwasser zu holen. Da sah sie am Boden der Quelle eine köstliche, rotleuchtende Frucht. Sie hatte großes Verlangen danach und wollte sie gern haben. Aber jedesmal, wenn sie dieselbe heraufzuholen versuchte, verschwomm und verschwand die Frucht; sie war jedoch immer wieder da, wenn die Frau die Hand aus dem Wasser gezogen hatte. Da die Frau die Frucht nun haben wollte, versuchte sie es auf eine andere Weise. Sie begann, das Wasser mit der Hand aus der Grube zu schöpfen. Immer wieder sah sie die Frucht, als aber kein Wasser mehr in der Grube war, verschwand auch die Frucht wieder. Die Frau war sehr betrübt und wollte schon wieder nach Hause gehen, als sie über sich eine Stimme hörte: »Was suchst du mich dort unten, hier bin ich!« Erstaunt sah die Frau nach oben und an einem Aste die köstliche Frucht hängen; was sie anfangs erblickt hatte, war nur das Spiegelbild der Frucht in der Quelle gewesen.

Hambruch, Paul
Südseemärchen
Jena 1916

Mittwoch, 2. Dezember 2009

Das Schneckenhaus



In der hönweis Wolframs.


4. April 1536.

1.

Eschylus der poete
war in Sicilia,
Gieng an des mers gestete
und setzet sich alda
In ein blumreiche wiesen
mit bloßem haubte frei,
darin im solt zufließen
die kunst der poetrei.

2.
In hohem luft herfluge
ob im ein großer ar,
Der ein schneckenhaus truge
welches sein speise war.
Als unter sich blickt ere,
sach das kal haubt allein,
vermeinet er, es were
ein weißer kieselstein,

3.
Und das schneckenhaus *) warfe
auf das kal haubt herab;
Traf Eschylum so scharfe,
das er sein geist aufgab –
Valerius tut schreiben.
daraus man wol erfert
das sprichwort war beleiben:
eim sei sein tot beschert.

Hans Sachs

*) Der Legende nach wurde Aischylos durch eine Schildkröte erschlagen, die ein Greifvogel aus der Höhe fallen ließ.

Dienstag, 1. Dezember 2009

Vogel Phönix


Eines Tags ging ein reicher Mann spazieren an den Fluß, da kam ein kleines Kästchen geschwommen, dies Kästchen nahm er und machte den Deckel auf, da lag ein kleines Kind darin, welches er mit heim nahm und aufziehen ließ. Der Verwalter konnte aber das Kind nicht leiden, und einmal nahm ers mit sich in einem Kahn auf den Fluß, und als er mitten darin war, sprang er schnell heraus ans Land, und ließ das Kind allein im Kahn. Und der Kahn trieb immer fort, bis an die Mühle, da sah der Müller das Kind und erbarmte sich, nahm es heraus und erzog es in seinem Haus. Einmal aber kam von ungefähr der Verwalter in dieselbe Mühle, erkannte das Kind und nahm es mit sich. Bald darauf gab er dem jungen Menschen einen Brief zu tragen an seine Frau, worin stand: »Den Ueberbringer dieses Briefs sollst du den Augenblick umbringen.« Unterwegs aber begegnete dem jungen Menschen im Walde ein alter Mann, welcher sprach: Weis' mir doch einmal den Brief, den du da in der Hand trägst! Da nahm er ihn, drehte ihn bloß einmal herum und gab ihn wieder, nun stand darin: Dem Ueberbringer sollst du augenblicks unsere Tochter zur Frau geben! So geschah es, und als der Verwalter das hörte, gerieth er in Aerger und sagte: »He, so geschwind gehts nicht, eh ich dir meine Tochter lasse, sollst du mir erst drei Federn vom Vogel Phönix bringen.«

Der Jüngling machte sich auf den Weg nach dem Vogel Phönix, und an derselben Stelle im Wald begegnete ihm wieder derselbe alte Mann und sprach: Geh den ganzen Tag weiter fort, Abends wirst du an einen Baum kommen, darauf zwei Tauben sitzen, die werden dir das weitere sagen! Wie er Abends an den Baum kam, saßen zwei Tauben drauf. Die eine Taube sprach: Wer da zum Vogel Phönix will, muß gehen den ganzen Tag, so wird er Abends an ein Thor kommen, das ist zugeschlossen. Die andere Taube sprach: unter diesem Baum liegt ein Schlüssel von Gold, der schließt das Thor auf. Da fand er den Schlüssel und schloß das Thor damit auf; hinterm Thor, da saßen zwei Männer, der eine Mann sprach: Wer den Vogel Phönix sucht, muß einen großen Weg machen über den hohen Berg, und dann wird er endlich in das Schloß kommen.

Am Abend des dritten Tags langte er endlich im Schloß an, da saß ein weißes Mamsellchen, und sprach: Was wollt ihr hier? – Ach, ich will mir gern drei Federn vom Vogel Phönix holen. Sie sprach: Ihr seyd in Lebensgefahr, denn wo euch der Vogel Phönix gewahr würde, fräße er euch auf mit Haut und Haar, doch will ich sehen, wie ich euch zu den drei Federn verhelfe, alle Tage kommt er hierher, da muß ich ihn mit einem engen Kamm kämmen; geschwind hier unter den Tisch, der war rund um mit Tuch beschlagen.

Indem kam der Vogel Phönix heim, setzte sich oben auf den Tisch und sprach: ich wittere, wittere Menschenfleisch! – »Ach was? ihr seht ja wohl, daß niemand hier ist« – kämm mich nun, sprach der Vogel Phönix.

Das weiße Mamsellchen kämmte ihn nun, und er schlief darüber ein; wie er recht fest schlief, packte sie eine Feder, zog sie aus und warf sie unterm Tisch. Da wachte er auf: »Was raufst du mich so? Mir hat geträumt, es käme ein Mensch und zöge mir eine Feder aus.« Sie stellte ihn aber zufrieden, und so gings das anderemal und das drittemal. Wie der junge Mensch die drei Federn hatte, zog er damit heim und bekam nun seine Braut.

Jacob und Wilhelm Grimm
Kinder- und Hausmärchen
Berlin 1812/15

Montag, 30. November 2009

Who claims the fable …

I no man call an ape or ass;
‘This his own conscience holds the glass.
Thus void of all offence I write.
Who claims the fable, knows his right.

John Gay

Sonntag, 29. November 2009

Der Rabe


Was ist das für ein Bettelmann?
Er hat ein kohlschwarz Röcklein an
Und läuft in dieser Winterzeit
Vor alle Türen weit und breit,
Ruft mit betrübtem Ton: »Rab! Rab!
Gebt mir doch auch einen Knochen ab.«

Da kam der liebe Frühling an,
Gar wohl gefiel’s dem Bettelmann:
Er breitet seine Flügel aus
Und flog dahin weit übers Haus;
Hoch aus der Luft so frisch und munter:
»Hab Dank! hab Dank!«
rief er hinunter.

Wilhelm Hey

Samstag, 28. November 2009

Da ward Esopus hart verklagt …

Er ward gesant von seinem herrn
Hinaus zu feld den acker ern.
Da arbeit er mit allem fleiß
Nach seines herrn befelh und gheiß.
Nun war daußen ein ackerman,
Der wolt zu seinem herren gan,
Sich freundlich gegen im erzeigen
Und bracht im etlich frische feigen.
Die nam der herre alzumal,
Dem Agathopodi befalh,
Welcher auch war des herren knecht,
Daß er dieselbigen heim brecht.
Der sprach zu seinem mitgesellen:
»Kum her, ich weiß, was wir tun wellen.
Die feigen wöllen wir verzeren
Und gegem herrn mit worten weren,
Sprechen, Esopus habs genommen,
Laßen in nicht zur antwort kommen,
Dieweil er sonst nicht wol beredt.«
Der herr kam heim und fragen tet.
Da ward Esopus hart verklagt,
Der feigen halb von in besagt,
Und solt dasselb mit schlegen büßen.
Er fiel seim herren zu den füßen
Und bat ein kleine weile frist,
Lief hin, erdacht ein kluge list
Und bracht warm waßer in eim krug,
Dasselb für seinen herren trug.
Da mustens trinken alle drei,
Hub sich ein große speierei.
Esopus spei mir waßer klar,
Die andern worfen alle gar
Die feigen; sahe man, wie sie glogen.
Drumb wurdens nacket ausgezogen,
Mit schlegen nach der tat begobt,
Und Esopus ward hoch gelobt,
Daß er ein solchen list erfunden,
Damit die lügen überwunden. –

Burkard Waldis
aus: Das Leben Esopi

Freitag, 27. November 2009

fabula

Fabel (lat. fabŭla), Gattung der erzählenden Dichtung, in der der unbeseelten Natur, bes. der Tierwelt, Vernunft und Sprache verliehen wird, meist mit moralisierender oder satir. Nutzanwendung auf die Fehler und Schwächen der Menschen; auch der Stoff oder Gegenstand eines Schauspiels oder Epos …

Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon
fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 550

Mittwoch, 25. November 2009

Hundefreundschaft


Zwei Hunde schlossen einen Freundschaftsbund,
Den sie besiegelten mit Pfot’ und Mund,
Und sahen of einander zärtlich an
Und haben sich viel Lieb’s und Gut’s gethan.
Doch einmal warf die Köchin aus dem Haus
Ein köstlich duftend Schinkenbein hinaus, –
Und mit der Freundschaft war’s für immer aus.

Julius Sturm
Neues Fabelbuch, Leipzig 1881

Dienstag, 24. November 2009

Die 10. Fabel: Vom Monde


Der Mond bat seine Mutter um ein neues Kleid. Die Mutter sagte darauf: Meine Tochter! Kein Schneider ist vermögend, dir solche Kleider zu machen, welche dir passen würden; denn du hast alle Tage eine andere Gestalt.

Diese Fabel lehret, daß es gewisse wankelmüthige und unbeständige Menschen giebt, denen man niemals etwas recht machen kann, weil sie alle Stunden andres Sinnes sind.


Moralische Fabeln mit beygefügten Erklärungen einer jeden Fabel
Aus dem Dänischen des Herrn Barons von Holberg
übersetzt durch J.A.S.K.D.E.
Leipzig 1752

Sonntag, 22. November 2009

… und er macht die Unwahrheit wahrscheinlich

»Wenn sich der Dichter, (sagt Plautus) eine Fabel zu machen vorsetzt, so suchet er das, was nirgends ist, und findet es demohngeachtet, und er macht die Unwahrheit wahrscheinlich.«

Christian Fürchtegott Gellert
Von denen Fabeln und deren Verfassern
Der erste Theil
Von der Natur und dem Wesen der Fabel

Samstag, 21. November 2009

Neuer Tag



Die liebe Sonne both
dem Wölklein rosenroth
zum Abschied noch die Hand.
Und von dem Bergesrand
schaut es erbleichend nach.
Sie tröstet es, und spricht:
»Mein Kind, verzage nicht!
Dich küß’ ich wieder wach.«

Und weinend klagt das Kind:
»Es wollen Nacht und Wind
verwehn mich alsobald
von diesem Fluß und Wald!«

»Und ob sie dich verwehn,
sagt ihm die Sonne drauf,
du sollst mich wiedersehn.
So weit du auch gereist,
ob jenseits du auch seist;
ich geh’ dir dennoch auf.«

Abraham Emmanuel Fröhlich

Freitag, 20. November 2009

Lindwurm


… eine Art Drache …, ein Fabelthier von abenteuerlicher Gestalt, hauptsächlich mit einem Schlangenleib, weßhalb sein unsterbliches Leben in der deutschen Sage des Mittelalters fortlebt. In Stamm- und Schildsagen vieler adeliger Geschlechter spielt der Lindwurm eine Rolle, und wird zum Gedächtniß an Heldenthaten in den Wappen fortgeführt. Am bekanntesten ist die Legende von dem Ritter St. Georg …, welcher einen Lindwurm tödtete und die Jungfrau erlöste, die dieser gefangen hielt. Die deutsche Heldensage bietet ähnliche Stoffe in Menge dar; auch Mähren hat mehrere dieser Art, und örtliche kommen in Deutschland sehr viele vor. In mancher alten Kirche, auf manchem Rathhause zeigt man noch Drachen- und Lindwurmhäute ausgestopft, als Wahrzeichen früherer Tapferkeit. Große Schlangen gaben jedenfalls die Veranlassung zu der so weit verbreiteten Fabel. Die Benennung des Fabelthiers wird nicht von unserm deutschen Wort Linde, sondern von dem schwedischen linda hergeleitet, was winden, umwickeln, umringeln, nach Schlangenart bezeichnet.

Damen Conversations Lexikon
Band 6., 1836, S. 372-373

Donnerstag, 19. November 2009

Der Büffel und der Auerochs


Zum Auer sprach der Büffel:
»Sag'! Ist nicht Bruder Mastochs,
Für den der Bauer täglich
Mit frischem Futter sorget,
Als glücklich zu beneiden?« –
»O ja! so lang ihm 's Messer
Nicht in der Kehle sitzet!«

Friedrich (Maler) Müller

Mittwoch, 18. November 2009

Die Bibel und die Fabellehre

Wir haben schon oben angedeutet, wie bei Novalis Poesie und Religion sich gewissermaßen identifizierten. Nachdem er (im Ofterdingen) in der Tugendlehre die Religion als Wissenschaft, die sogenannte Theologie im eigentlichen Sinne erkannt hat, stellt er gleich darauf die Poesie, nur als einen andern Ausdruck der Tugend, recht in den Mittelpunkt desselben Kreises. »Also«, sagt er, »ist der Geist der Fabel eine freundliche Verkleidung des Geistes der Tugend und der eigentliche Geist der untergeordneten Dichtkunst die Regsamkeit des höchsten, eigentümlichsten Daseins. Eine überraschende Selbstheit ist zwischen einem wahrhaften Liede und einer edlen Handlung; – so wie diese (die Tugend) die unmittelbar wirkende Gottheit unter den Menschen und das wunderbare Widerlicht der höheren Welt ist, so ist es auch die Fabel. Wie sicher kann nun der Dichter den Eingebungen seiner Begeisterung oder, wenn auch er einen höheren überirdischen Sinn hat, höheren Wesen folgen und sich seinem Berufe mit kindlicher Demut überlassen. Auch in ihm redet die höhere Stimme des Weltalls, und ruft mit bezaubernden Sprüchen in erfreulichere, bekanntere Welten. Wie sich die Religion zur Tugend verhält, so die Begeisterung zur Fabellehre, und wenn in heiligen Schriften die Geschichten der Offenbarung aufbehalten sind, so bildet in der Fabellehre das Leben einer höheren Welt sich in wunderbar entstandene Dichtungen auf mannigfache Weise ab. Fabel und Geschichte begleiten sich in den innigsten Beziehungen auf den verschlungensten Pfaden und in den seltsamsten Verkleidungen, und die Bibel und die Fabellehre sind Sternbilder eines Umlaufs.«

Joseph von Eichendorf
Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands
2. Teil

Montag, 16. November 2009

Zum Herbst


Ein jüngst noch dick belaubter Baum
Sah seines Wipfels Pracht erbleicht zu seinen Füssen,
Und, wie des Bodens runder Raum,
Den die so angenehm begrünten Schatten
So oft geschützt, so oft bedecket hatten,
Den lieben Kinderchen zum Kirch-Hof werden müssen.

Es riß der kalt' und rauhe Nord
Den dünnen Ueberrest noch immer mit sich fort,
Sie taumelten recht Schaaren-weis' herab,
Und suncken in das finstre Grab.
Er schien, in dunckler Farb', ihr sterben zu betrauren,
Und, in der Kinder Fall, sich selber zu bedauren.

Dieß heimliche Geseuftz, dieß still' und bange Klagen
Vermochten einige der Blätter, die noch grün,
Und deren frische Farb' fast unverwercklich schien,
Nicht zu vertragen.
Sie sprachen: Traure nicht! wir wollen bey dir bleiben,
Uns wird kein Wind, kein Frost vertreiben.
Sieh nur, wie grün wir noch, wie frisch; wir fühlen nicht,
Daß uns, an Kraft, an Schönheit, was gebricht.

Allein, fast in derselbigen Secunde,
Erstarrt' ihr kühnes Wort in ihrem kleinen Munde.
Ein kalter Hauch den Eurus von sich bließ,
Der ihnen seine Stärck', und ihre Schwäche wies,
Griff ihren zarten Leib so grimmig an,
Daß ihnen Leben, Muth, und alle Kraft
Vergieng, entwich, zerrann.

Es stockt ihr Lebens-Saft;
Es schrumpft ihr Cörper ein; sie zittern jämmerlich;
Ein ängstlich Seufzen scheint ihr lispelndes Gezische;
Sie beben, und sie krümmen sich:
Es scheint, als ob man sie recht von den Zweigen wische.
Sie hielten bloß darüm, dieweil die Reih
Sie etwas später traff, sich fast vom welcken frey.

Lasst diese Blätterchen, ihr noch gesunden Alten,
Bey euch des Lehrers Amt verwalten!
Ein Augenblick stürtzt sie herab:
Ein Augenblick stürtzt euch ins Grab.

Barthold Heinrich Brockes

Sonntag, 15. November 2009

Lob des Floh's

Du kleiner Nero, Compagnon der Läuse,
Blutgieriger Tyrann!
Für dich stimm' ich, nach Meister Linguets Weise
Nun auch ein Loblied an.

Dein ganz brünetter Teint, so sehr verschieden
Vom Teint der blonden Laus,
Erkohr gleich Anfangs dein Geschlecht hienieden
Zu grossen Thaten aus.

Nur deinen Stamm, der stets in ganzen Schaaren
Bei Mädchen Wache hält,
Hat die Natur zu tapfern Leibhusaren
Der Jungfrauschaft erwählt.

Und darum patroulliren auch Schwadronen
Von diesem leichten Heer
Beständig in den dunklen Regionen
Des Unterrock's umher.

Nichts schützt die Mädchen, die sich dir verschliessen,
Vor deiner Blutbegier:
Die Erstlinge von ihrem Blute fliessen
O Glücklicher, nur dir!

Du Springinsfeld bist überall gelitten,
Wo nie ein Mann hin soll,
Und schwelgst dich, gleich der Biene, an den Blüthen
Geheimer Schönheit voll.

Kein Fleck im ganzen weiblichen Gebiete,
Auch noch so heilig, ist,
Auf dem du nicht schon mit verweg'nem Tritte
Herumspazieret bist.

Da ist kein Strauch, wo du dich nicht verstecktest
Kein Plan, wo du nicht liefst,
Kein Hügelchen, wohin du dich nicht legtest,
Kein Thal, wo du nicht schliefst.

Ja, wollte man einst auch rektificiren
Der Schönheit Lustrevier,
So brauchte man, um recht es zu mappiren,
Nur dich zum Ingenier.

Nur dies verzeihen dir die Schönen nimmer,
Daß stets von jedem Kuß,
Den im Geheim du ihnen aufdrückst, immer
Ein Fleckchen zeugen muß.

D'rum lauren auch stets auf dich losen Näscher,
Enthüpfst du nicht geschwind,
Bei Tag und Nacht so viele hundert Häscher
Als Mädchenfinger sind.

Doch hascht ein Mädchen auch dich kleinen Springer
Zuletzt in ihrem Schooß,
So ist doch unter einem schönen Finger
Noch neidenswerth dein Loos.

Aloys Blumauer
Sämmtliche Gedichte
München 1830

Samstag, 14. November 2009

… über die sogenannten Fabelthiere

Rauscht das leise Flügelwehen der Sage durch alte Bäume geheimnißvoll, so tritt sie wieder in ganz anderer und in ganz eigener Weise und selbst in der Thierwelt entgegen, darum so eigen, weil die Sage, wo sie Thiere in ihr Bereich zieht, selten mit dem Märchen verschmilzt mit der Fabel aber, die so gern mit Thieren die Fülle ihrer Bilder belebt, niemals. Wir wollen dabei gar nicht weitläuftig werden über die sogenannten Fabelthiere, die viel besser mythische und höchstens Sagenthiere heißen sollten …

Ludwig Bechstein
Mythe, Sage, Märe und Fabel
im Leben und Bewußtsein des deutschen Volkes,
Dritte Teil, Leipzig 1855

Freitag, 13. November 2009

Die Schildkröte


Dschuang Dsi fischte einst am Flusse Pu. Da sandte der König von Tschu zwei hohe Beamte als Boten zu ihm und ließ ihm sagen, daß er ihn mit der Ordnung seines Reiches betrauen möchte.

Dschuang Dsi behielt die Angelrute in der Hand und sprach, ohne sich umzusehen: »Ich habe gehört, daß es in Tschu eine Götterschildkröte gibt. Die ist nun schon dreitausend Jahre tot, und der König hält sie in einem Schrein mit seidenen Tüchern und birgt sie in den Hallen eines Tempels. Was meint Ihr nun, daß dieser Schildkröte lieber wäre: daß sie tot ist und ihre hinterlassenen Knochen also geehrt werden, oder daß sie noch lebte und ihren Schwanz im Schlamme nach sich zöge?«

Die beiden Beamten sprachen: »Sie würde es wohl vorziehen, zu leben und ihren Schwanz im Schlamme nach sich zu ziehen.«

Dschuang Dsi sprach: »Geht hin! Auch ich will lieber meinen Schwanz im Schlamme nach mir ziehen.«

Dschuang Dsi
Übers: Richard Wilhelm