Samstag, 19. Dezember 2009

Die Lichtscheuen - Vierte Fabel

Des Uhu’s Proselytenmacher
Befeindeten durch Nachtcomplott
Bei Tage selbst des Tages Gott:
Daß bald ein Wildfang, bald ein schwacher
Abfiel und Trotz mit Lästerung bot
Dem hocherhabnen Sonnengott.
Doch mancher scharfe Widersacher
Empfing sie, mancher lose Lacher
Die düstern Proselytenmacher,
Mit Krall’ und Schnabel, oder Spott.

Erzvater Uhu, wohl berathen
Von seinen pfiffigsten Prälaten,
Thut als Beleidigter, und schreit:
Zu weit doch gehe, viel zu weit,
Verfolgung und Unduldsamkeit;
Hochfeierlich in Amtsornaten,
Zieht er nunmehr mit zween Prälaten,
Am hellen Mittag’ unter Hohn
Und Spott und Zischen und Gelächter
Der lichtfroh schwebenden Geschlechter;
Und trägt in heiliger Person,
Als seines Münsters Oberwächter,
Die Sache der Religion
(Wenn man ihm glaubet) vor den Thron.

Langsam, und oft vom Fluge ruhend
Durch Feind’ und strenge Sonnenluft,
In dumpfer Baumhöhl’ oder Kluft;
Und, froh des Märterthurms, uhuend,
Aus Finsterniß und Moderduft;
Oft heuchlerische Huld entgegnend,
Und rechts und links die Feinde segnend,
Wann zerrt der Muthwill’ oder knufft,
Daß bauschig ihr Gefieder pufft!
So tappt der Zug lichtscheuer Seher,
Geführt vom neubekehrten Häher,
Dem sich die fette Pfründ’ empfahl,
Durch manches Feld, Gebüsch und Thal,
Und nun am Bergwald’ immer höher
Zur steilsten Kupp’ im Sonnenstrahl.

Erfleht wird Zutritt und gestattet.
Da sinkt die Uhuschaft ermattet
Und ehrfurchtsvoll am Felsenthron,
Wo hoch die Edeltanne schattet
Dem donnerfrohen Wolkensohn.
Er vorn, durch Kies und Felsgebröckel,
Er selbst, die grauen Augendeckel
Dem heitern Glanz halb zugeklappt,
Des höchsten Münsters höchster Abt,
Braunrothgemäntelt, goldgekappt,
Mit brünstiger und bis zum Ekel
Demüthiger Verehrung, tappt
Zum Saum des Throns; hinauf dann blinzend,
Beginnt er so, liebreich und grinsend,
Und seufzet oft, und stöhnt, und schnappt:

Großmächtige! du, dessen Fittig
Auch deine Glaubensdiener deckt;
Von wüstem Aufruhr, Herr! geschreckt
Aus frommer Andacht Ruhe, bitt’ ich,
Fürbitter dir, und treuster Knecht,
Warmherzigkeit und strenges Recht!
Was kaum noch leidlich war, das litt ich,
Was unerträglich, trug ich sittig;
Und (ach! vom Alter wohl geschwächt!)
Daß Maß der Duldung überschritt ich!
Du, König, hast von deinen Höhn
Mit scharfem Blicke selbst gesehn,
Wie frech des Lichts ruchlose Sekten,
Die Abfall stets aus Abfall heckten,
Uns eben im Vorübergehn,
Uns Diener des Altars! neckten,
Und oft vom stillen Wege schreckten.
Ach hättest einmal du gesehn,
Was, seit der Unglaub’ herrscht, fast täglich
Den Glaubenspredigern geschehn!
Wie, wann sie friedsam und beweglich
Um Buß’ und Besserung nur flehn,
Aufrührer spotten, lachen, schmähn,
Ja gar zur Unthat sich vergehn!
O kläglich, frommer Fürst, o kläglich!
O selbst der Langmuth unerträglich!
So spricht man der Religion,
So aller Zucht und Ordnung Hohn;
Und, schlummerst du, bald deinem Thron!
Du, stets des Glaubens Hort und Schirmer,
Sei Bändiger der tollen Stürmer,
Die uns und dir Verderben drohn!
Wir Diener der Religion,
Des Münsters einst ehrvolle Thürmer,
Wir winden uns vor deinem Thron,
Erniedrigt, ach! des Staubes Würmer!
Und flehn um bloße Duldung schon!
Von Duldung, Duldung schreit ja alles,
Seit vor Illumination
Des Aberglaubens Nacht entflohn!
Ein üben, trotz des leeren Schalles,
Freigeister Inquisition!

Noch floß die Salbung ungebändgigt,
Als plötzlich so der Adler endigt:

Harmlosen Nachttand trägt Geduld;
Wer stürmt auf Tageslicht, büßt die Schuld.



Johann Heinrich Voss

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