Sonntag, 31. März 2013

Vom Igel, der die Königstochter zur Frau bekam

Es war einmal ein Mann, der hatte keine Kinder, und da ging er einst in den Wald und fand dort einen Igel und nahm sich den Igel mit nach Haus. Eines Tags sprach der Igel zu ihm »Ich will doch unsere Sau in den Wald austreiben und hüten.« Der Alte versetzte »Was kannst du austreiben! Du kommst ja selbst kaum von der Stelle.« Aber der Igel trieb die Sau doch in den Wald und hütete sie dort drei Jahre und trieb sie in der ganzen Zeit nicht ein. Die Sau aber bekam Ferkelchen, und die Ferkelchen bekamen wieder Ferkelchen, und schließlich war es eine große, große Schweineherde. Nun kam einmal ein Offizier in den Wald, um da zu jagen, und er verirrte sich. Da sah er die Schweine und wollte zusehn, wo der Hirt wäre, der die Schweine hütete. Da erblickte er an einer Fichte den Igel und fragte ihn »Wo ist der Hirt, der diese Schweine hütet?« Antwortete ihm der Igel »Der Hirt von diesen Schweinen der bin ich.« Da fragt' ihn der Offizier »Wie muss ich gehn, um aus dem Wald herauszukommen?« Und der Igel erwiderte »Wenn du mir deine Tochter gibst, will ich dich aus dem Wald herausführen.« »Zeig mir nur den Weg, so magst du meine Tochter haben«, sagte der Offizier, und der Igel führte ihn aus dem Wald und kehrte dann wieder zu seinen Schweinen zurück. Ein ander Mal kam ein Königssohn in den Wald und jagte, und auch der verirrte sich. Er sah die Schweine und wollte den Hirten suchen, da erblickte er den Igel, der lag wieder bei der Fichte, und der Königssohn fragte ihn »Wo ist der Hirt, der diese Schweine hütet?« »Der Hirt von diesen Schweinen der bin ich«, antwortete der Igel. Und als nun der Königssohn fragte »Könntest du mir nicht den Weg aus dem Wald heraus weisen?«, da antwortete er »Wenn du mir deine Tochter gibst, dann will ich dich herausführen.« »Gut«, sprach der Königssohn, »ich will dir meine Tochter geben, führ mich nur aus dem Wald heraus.« Der Igel zeigte ihm denn den Weg und ließ ihn dann allein weiter gehn. Den nächsten Tag kam der König selbst in den Wald und jagte, und der verirrte sich gradeso wie der Offizier und der Prinz. Er wurde die Schweine gewahr und wollte den Hirten aufsuchen, da sah er den Igel bei der Fichte liegen und fragte ihn »Könntest du mir nicht den Weg aus dem Wald heraus weisen?« »Wenn du mir«, gab der Igel zur Antwort, »deine Tochter geben willst, will ich's thun.« Und der König sprach »Gut, du kannst sie haben, führ mich nur aus dem Wald heraus.« Der Igel führte ihn also heraus und ging dann zu seinen Schweinen zurück. Bald darnach trieb er die Schweine nach Haus, und der Alte sah, dass es eine große, große Herde geworden war. Der Stall, in den er die Schweine eintreiben wollte, hatte gar nicht Platz genug, und da musste er noch in einen andern Stall eintreiben, und der Alte freute sich gar sehr, dass ihm der Igel so viel Schweine heimgebracht hatte.

Jetzt sprach der Igel zum Alten »Füttre mir den Hahn da, ich will zu meinem Mädchen reiten.« Der Alte that's, und da ritt der Igel auf dem Hahn zu dem Offizier. Er sprach zu ihm »Na, so gib mir jetzt deine Tochter.« Und der Offizier fragte ihn »Was brauchst du zur Ausstattung?« »Ein Paar Pferde, eine Kutsche, und die Kutsche voll Geld.« Der Offizier that das Geld in die Kutsche, die Pferde wurden eingespannt, das Mädchen setzten sie oben auf das Geld, und so fuhr der Igel mit ihr ab. Auf dem Heimweg sprach er zu seinem Mädchen »Wenn du willst, kannst du zu deinem Vater zurückgehn, wenn du aber mit mir fahren willst, so komm mit mir.« Das Mädchen aber sagte »Da will ich doch lieber wieder zu meinem Vater heimgehn«, und sie ging zu ihm zurück. Der Igel aber fuhr mit seinem Geld nach Haus. Am nächsten Tag ritt der Igel auf seinem Hahn zum Königssohn, und mit der zweiten Braut gings gradeso wie mit der ersten. Am dritten Tag ritt er zur dritten Braut; er trat vor den König und sprach »So gib mir jetzt deine Tochter zur Frau.« Der König fragte ihn »Was willst du zur Ausstattung?« und der Igel antwortete »Eine Kutsche voll Geld und ein Paar Pferde.« Der König gab ihm alles, was er verlangte, und der Igel fragte die Königstochter nicht wieder, ob sie zu ihrem Vater zurück wolle, sondern fuhr mit ihr nach Haus, und da wurde Hochzeit gemacht. Der Alte kaufte jetzt einen Edelhof mit vielen Feldern und mit vielen Pferden und Ochsen, mietete Mägde und Knechte und ließ die Felder bestellen, und lebte von nun an wie ein Herr. Der Igel aber und die Königstochter blieben bei ihm wohnen und lebten noch viele Jahre herrlich und in Freuden zusammen, und dann sind sie gestorben.


Leskien, August/Brugman, K.
Litauische Volkslieder und Märchen
Straßburg, 1882

Samstag, 30. März 2013

Warum der Schwarzspecht auf die Bäume hackt

Lettisches Märchen.

In alten Zeiten säten der liebe Gott und der Teufel einmal gemeinschaftlich Schnittkohl. Nach der Aussaat stellte Gott dem Teufel frei, zu wählen, was er ernten wolle: den unteren oder den oberen Teil. Der Teufel wünschte den oberen. Gut! Gott gab dem Teufel die Blätter, aber er selbst fing an, den Schnittkohl zu essen. Als der Teufel sah, mit welchem Appetit Gott den Schnittkohl verspeiste, bat er, er möge ihn von seinem Teil versuchen lassen. Der Teufel fand den Schnittkohl sehr schmackhaft, und in der Absicht, ihn mit List zu gewinnen, sagte er: »Laß uns auf den Schnittkohl wetten, daß ich imstande bin, dich zu erschrecken.« »Gut – warum nicht!« antwortete der Herr. Der Teufel entfernte sich von dem Feuer, das sie im Walde angezündet hatten, um den Schnittkohl zu braten, und verursachte einen so starken Wind, daß der ganze Wald anfing zu krachen. Nach einiger Zeit kehrte er zum Feuer zurück und sah Gott in aller Ruhe dasitzen.  »Hast du dich denn gar nicht erschrocken?« fragte er. – »Weswegen sollte ich mich erschrocken haben? Glaubst du, ich hätte noch keinen Wind gesehen?« Da sagte der Teufel: »Wenn ich mich jetzt auch vor dir nicht erschrecke, so mußt du mir deinen Schnittkohl abgeben, und ich überlasse dir die Blätter.« – Der Herr war einverstanden. Und während der Teufel nach dem Schnittkohl auf das Feld ging, befestigte Gott an einem großen Baum zwei trockene Bretter aus Tannenholz so, daß sie im Winde aneinander schlugen, und ging selbst zum Feuer.

Ein wenig später kam der Teufel zum Feuer und hörte, wie in den Wipfeln der Bäume etwas plarksch, plarksch, tack, tack! mit solcher Gewalt machte, daß der ganze Wald erdröhnte.

Der Teufel erschrak furchtbar und flüchtete von dannen.

Als Gott zum Feuer kam, war kein Teufel mehr da. Ein Schwarzspecht aber erblickte den Teufel, und da er wußte, was ihn so erschreckt hatte, begann er mit seinem Schnabel auf einen trockenen Baum zu hacken und setzte dadurch den Teufel noch einmal in so große Furcht, daß er aus dem Wald herauslief und nicht mehr zurückkam. – Und noch heute behütet der Schwarzspecht auf dieselbe Weise den Wald vor dem Teufel.

Osakr Dähnhardt
Naturgeschichtliche Märchen
Leipzig/Berlin, 1925

Donnerstag, 28. März 2013

Von Werwölfen (3)

Bildquelle: Wikipedia

Einst ritt ein armer aber furchtloser Bauernbursch durch den Wald. Hier und da heulten Wölfe. Aus Mutwillen ahmte er ihnen nach und heulte immer lauter und lauter. Aber sein Pferd war alt und kam nur langsam von der Stelle, während die Wölfe durch sein Heulen näher herangelockt wurden. Das ging ihm denn doch etwas über den Spaß. Da erblickte er auf einer kleinen Waldlichtung vor sich ein Feuer, sprang vom Pferde und ging auf dasselbe zu. Dort saß auf einem Scheiterhaufen ein ehrwürdiger, hoher Greis, von Wölfen umgeben. Diese wollten sich gierig auf den Ankömmling stürzen, aber ein Wink des Alten bannte sie an ihren Platz. »Warum narrst du meine Wölfe?« fragte der Alte. »Dieses Mal mag's dir noch hingehen, in Zukunft aber sieh dich vor! Binde jetzt dein Pferd dort an die Tanne, selbst aber leg dich zu mir ans Feuer. Es soll euch beiden kein Leid geschehen!«

Der Bauer that, wie ihm geheißen und schlief bald ein. Am andern Morgen waren der Greis und seine Wölfe verschwunden; an Stelle des Feuers aber lag da ein Haufen Gold und des Burschen altes, schwaches Pferd hatte sich in ein junges, starkes Roß verwandelt


Lettische Märchen
Nacherzählt von Victor von Andrejanoff
Leipzig, 1896

Mittwoch, 27. März 2013

Von Werwölfen (2)

Ein Bauer, welcher eben erst geheiratet hatte, schickte sein Weib aufs Feld hinaus. Als die junge Frau wiederkam, brachte sie ein totes Lamm mit. »Iß,« sagte sie zum Mann, »ich will indessen schlafen!« Das wiederholte sich mehrere Male, so daß der Bauer argwöhnisch wurde und ihr nachzugehen beschloß.

Gedacht, gethan. Als sie wieder einmal aufs Feld hinaus mußte, schlich er ihr vorsichtig nach und sah, daß sie unter die Kleete kroch. Von dort kam sie dann in Wolfsgestalt wieder heraus und eilte fort. Der Bauer entsetzte sich, schaute unter der Kleete nach, fand seiner Frau Kleider und verbarg dieselben.

Nach einiger Zeit kehrte die Wölfin, mit einem Lamm im Rachen, zurück und kroch wieder unter die Kleete. Aber ihre Kleider waren fort – und sie konnte nicht mehr Mensch werden. Heulend und winselnd verließ sie den Hof und verschwand für immer im nahen Walde.


Lettische Märchen
Nacherzählt von Victor von Andrejanoff
Leipzig, 1896

Dienstag, 26. März 2013

Von Werwölfen (1)

»The Werewolf Delusion« by Ian Woodward
18. Jh. (Quelle: Wikipedia)

Einst mähten Arbeiter Gras auf einer Wiese. Da sprach einer von ihnen: »Wenn ich doch jetzt ein Schäflein hätte! Mich gelüstet sehr nach solchem Braten.« Der andere lachte, er aber ging hinter einem Balkenhaufen fort und verschwand am Waldessaum. Als er nach längerer Zeit nicht wiedergekommen, gingen ihm die übrigen Arbeiter nach. Hinter jenem Balkenhaufen fanden sie seine Mütze und Kleider hart bei einem Baumstumpf, dessen Wurzel aus der Erde herausgewachsen war, so daß sie ein kleines Thor zu bilden schien. Nun ging dem ältesten der Arbeiter, dem sogenannten Vorarbeiter, ein Licht auf; er nahm einen starken Knüttel und verbarg sich hinter einer Tanne. Nach einiger Zeit kommt ein mächtiger Wolf gelaufen, der ein frisch getötetes Schaf im Rachen trägt. Zuerst steckt er das Schaf durch jenes Wurzelthor an der Erde hindurch und will dann selbst nachkriechen – aber – klatsch! – saust der Knüttel des Vorarbeiters gerade auf des Wolfes Schwanz nieder, so daß derselbe vom Körper fällt. Sofort verwandelt sich der Wolf wieder in jenen Arbeiter, wurde von den andern ergriffen und trotz wütender Gegenwehr mit Gewalt nach Hause gebracht. Der Wolfsschwanz war am andern Tage von jener Stelle verschwunden, der Arbeiter aber hat niemals wieder ein Schaf geraubt.

Lettische Märchen
Nacherzählt von Victor von Andrejanoff
Leipzig, 1896

Samstag, 23. März 2013

Das Girren der Taube


(Aus Ruokolaks)

Die Taube und das Huhn hatten beide ihr Nest; aber die Taube hatte zehn Eier und das Huhn nur zwei. Da fing das Huhn an, die Taube mit List zu einem Tauschhandel  zu überreden. Endlich ging denn auch diese auf den Vorschlag ein: sie gab dem Huhn ihre zehn Eier und erhielt dafür die zwei Hühnereier. Doch bald merkte die Taube, wie sehr sie durch die Arglist des Huhnes geschädigt worden war, und bereute den einfältigen Tausch. Noch heutigen Tages trauert und jammert sie darüber; denn sobald du ihre Stimme hörst, vernimmst du auch die Klagelaute:

Girr, girre! zehn meiner Eier

Gab ich Elende hin für des Huhnes zwei Eier!



Schreck, Emmy:
Finnische Märchen
Weimar, 1887,

Mittwoch, 20. März 2013

Warum das Elentier weiße Streifen unter dem Bauch hat

Es war einmal ein Mann, der konnte es nicht vertragen, zu arbeiten. Er spazierte nur zwecklos im Walde umher und schlief. Endlich mußte er Hunger leiden; er hatte nichts mehr zu beißen und zu brechen.

In dieser Lage kam zu ihm ein alter Mann und gab ihm den Rat: »Stell eine Falle auf und bet zu Gott, dann wirst du schon ein Tier fangen!«

Der Mann dachte: »Sieh mal an, wieviel Mühe das ist!« Da aber sein Hunger immer größer wurde, konnte er sich nicht anders helfen. Er tat, wie er belehrt war: stellte die Falle auf und legte sich schlafen.

Als er aufwachte, sah er: ein Elentier steckte in der Falle. Der Mann fiel sogleich über das Tier her und begann, ihm das Fell abzuziehn.

Er hatte das Fell schon aufgeschnitten, als der grauköpfige Mann wieder zu ihm kam und sprach: »Nun, hab ich dir nicht gesagt: wenn du eine Falle aufstellst, so wird dir Gott einen Fang geben?«

Der Mann entgegnete: »Wieso hat Gott ihn mir gegeben? Ich selber habe die Falle gemacht und aufgestellt!«

Diese Antwort ärgerte den grauköpfigen Mann. Er klopfte mit seinem Stock auf das Elentier: da sprang es auf und lief in den Wald.

Der Mann eilte mit ausgebreiteten Armen hinterdrein und schrie dabei: »Gott hat dich gegeben! Gott hat dich gegeben!« Das Elentier achtete aber nicht darauf, sondern lief seines Wegs und verschwand im Walde.

Der Mann dachte: »Jetzt muß ich aber dem alten Graukopf dafür tüchtig das Fell gerben!« Er blickte um sich: da war kein alter Graukopf mehr zu sehn. Nun erst begriff der Mann, daß es der liebe Gott selber gewesen war, der ihn gelehrt hatte, die Falle aufzustellen, und der jetzt das Elentier in den Wald fortgeklopft hatte.

Weil des Elentiers Fell am Bauch aufgeschnitten war, so wuchsen an dieser Stelle nachher weiße Haare. Deswegen hat das Elentier unter dem Bauch weiße Streifen.


August von Löwis of Menar
Finnische und estnische Volksmärchen
Jena, 1922

Sonntag, 17. März 2013

Morden in Mülheim


Lesung auf der Leipziger Buchmesse aus der »Blütenreinen Weste«

Die Lesungen auf der Leipziger Buchmesse 2013 (und abends im Cafe Knicklicht) kamen gut an. Die Nachfrage nach dem Roman, der im Mülheim des Jahres 1950 spielt, setzte quasi sofort ein was von anderer Seite und Stelle inzwischen auch bestätigt wurde.


Dienstag, 12. März 2013

Der Teufel und das Kirchlein


In Detwang, das unten am Berg liegt, auf dem Rothenburg thront, können sie sich mit einem Kirchlein und dem Teufel beschäftigen. Man erzählt, dass dieser sich so ärgerte, als er vom Kirchenbau in Detwang hörte, dass er einen schweren Felsbrocken aufnahm und sich auf den Weg machte, das Gotteshaus zu zerstören. Unterwegs traf er eine alte Frau, die auf dem Rücken einen Korb voll durchgelaufener Schuhe trug, die sie für die Nachbarn zum Schuster bringen sollte. Der Teufel, schon müde von der Last des Felsens, hielt zu einem Schwätzchen an und wollte von der Frau wissen, wie er zu dem Kirchlein in Detwang komme.  Die merkte aber wohl, mit wem sie es zu tun hatte, und sagte pfiffig: »All die Schuhe habe ich auf dem Weg von Detwang bis hierher schon durchgelaufen.« Da sah der Teufel rot. So weit sollte er noch laufen? Wütend schleuderte er den Stein beiseite und verschwand. Woran man sieht, dass die bösesten oft nicht die gescheitesten sind.

Horst-Dieter Radke

Entnommen dem Buch:


Von dem Menschen und dem Fuchs

Einst pflügte ein Mensch am Rand eines Waldes, im Gebüsch aber lag ein Bär. Der Bär rief »Mensch, Mensch, ich werde deine Ochsen zerreissen!« Da kam ein Fuchs zu dem Menschen gelaufen und sprach »Was gibst du mir? so will ich deine Ochsen retten.« »Ich will dir einen Sack voll Hühner bringen«, antwortete der Mensch. Der Fuchs wars zufrieden und lief in den Wald hinein.

Drauf kam er von einem andern Ende wieder herbeigelaufen und rief »Mensch, Mensch, hast du hier keine Bären, Rehe, Wölfe und Eber gesehn? Der Herr macht eben im Wald ein Treiben.« Der Mensch sagte »Nein«, und da sprach der Fuchs »Ei was liegt denn dorten im Strauch?« »Das ist ein gerodeter Baumstumpf«, antwortete der Mensch. Drauf der Fuchs »Wenn das ein gerodeter Baumstumpf wäre, so wären doch die Äste abgeschnitten!« Damit lief er wieder in den Wald, der Bär aber sprach »Mensch, hack mir die Füsse ab!«

Jetzt kommt der Fuchs zum zweiten Mal aus dem Wald gelaufen und spricht »Mensch, Mensch, hast du keine Bären, Rehe und Wölfe gesehn? Der Herr macht eben im Wald ein Treiben.« Der Mensch sagte »Nein«, und da sprach der Fuchs »Ei was liegt denn dorten im Strauch?« »Da liegt ein Stück Bauholz«, erwiderte der Mensch. »Wenn das«, sagte darauf der Fuchs, »ein Bauholz wäre, so wäre doch in das Ende eine Axt eingehauen!« Damit lief er wiederum in den Wald, der Bär aber rief »Mensch, hau mir die Axt in den Kopf!«

Abermals kam jetzt der Fuchs zum Menschen gelaufen und sprach »Du siehst, ich habe deine Ochsen vom Tod errettet, da bring mir also morgen die Hühner, die du mir versprochen hast.« Am andern Morgen steckte der Mensch zwei Hunde in einen Sack und trug sie hin. Der Fuchs aber kam heran und sagte »Lass nur die Hühner heraus, Mensch, ich werde sie mir schon fangen.« »So komm dicht heran«, sagte der Mensch, der Fuchs aber sprach »Lass sie nur los, ich werde sie schon packen.« Da schüttelte der Mensch seinen Sack aus, und wie die Hunde jetzt dem Fuchs nachsetzten, da lief der Fuchs stracks auf sein Loch los. Als er glücklich drin war, sprach er »Ihr Äuglein, ihr Äuglein, woran dachtet ihr mir unterwegs?« »Wir guckten geschwind, um nur den stracksten Weg ins Loch zu nehmen.« Und er fragte die Beine »Ei und ihr Beinchen, woran habt ihr mir gedacht?« »Ei wir liefen geschwind, um nur so flink als möglich ins Loch zu kommen.« Und wieder zum Schwanz sprach er »Ei und du Schwänzlein, was dachtest denn du?« Das Schwänzlein aber antwortete und sprach »Ei ich wedelte und pinselte nach allen Seiten, auf dass Braunchen und Scheckchen (die Hunde) dich hurtiger fingen.« Da steckte der Fuchs den Schwanz zum Loch hinaus und sagte »Zimzili bimbili, da hast du den Schwanz!« Und da bekamen die Hunde den Fuchs zu fassen und zerrissen ihn.


Leskien, August/Brugman, K.
Litauische Volkslieder und Märchen
Straßburg, 1882

Mittwoch, 6. März 2013

Blütenreine Weste

Fabelhaft! Nun ist es lieferbar. In jeder Online-Buchhandlung und jeder Buchhandlung vor Ort.



Dienstag, 5. März 2013

Die Fliege und die Spinne


Estnisches Märchen

In alten Zeiten gab es auf Erden nur einen König; dem waren nicht nur die Menschen, sondern auch alle Tiere untertan. Damals hatte man noch kein Feuer und mußte nach Sonnenuntergang im Dunkeln weilen und frieren. Man wußte wohl, daß in den Tiefen der Hölle Feuer sei, aber niemand wagte es von dort zu holen. Da versprach der König, daß der, der ihm Feuer aus der Hölle schaffen würde, mit seinen Kindern und Kindeskindern für ewige Zeiten umsonst an allen Tischen sollte essen dürfen, und niemand dürfe es ihm wehren. Nun versuchten es viele, das Feuer zu erlangen, fanden aber alle dabei ihren Tod. Zuletzt ließ sich die Spinne an ihrem Faden hinab, und es gelang ihr, einen Brand zu entwenden und wieder die Oberwelt zu erreichen. Dort schlief sie ermüdet ein. Die Fliege aber, die durch den Geruch aufmerksam gemacht war, stahl der Schläferin das Feuer, brachte es dem König und erhielt urkundlich den verheißenen Lohn. Die Spinne suchte nach ihrem Erwachen umsonst das Feuer, niemand wollte ihr glauben, daß sie es aus der Hölle gebracht hatte, und auch der König wies sie ab, da sie ihre Behauptung nicht beweisen konnte. Zuletzt versammelte sie alle Spinnen und forderte sie, da mit ihr auch alle übrigen bestohlen und betrogen seien, zu gemeinsamer Rache an dem ganzen Fliegengeschlechte auf. Sie beschlossen Netze zu spinnen, alle Fliegen darin zu fangen und jeder, die sie erwischen würden, den Kopf abzubeißen. Das tun sie bis zum heutigen Tage, aber die Fliegen haben das Recht, an allen Herrentischen zu essen.



Oskar Dähnhardt
Naturgeschichtliche Märchen
Leipzig/Berlin, 1925

Sonntag, 3. März 2013

Der Köter auf dem Jahrmarkt


Polnischer Hund in Masuren

Heimlich lief auf den Markt ein Köter um Beute zu machen.
Aber das thörigte Thier, das nie auf dem Markte gewesen,
Meinte, daß man umsonst da heute die Waaren verkaufe,
Und man mit liebreichem Sinn so sämmtliche Hunde ernähre.
Also die Sache bedenkend voll Zuversicht lief er der Stadt zu,
Schlich sich sofort auch unter die Reihen der Krämer und Höker,
Gleichwie ein Gast, der ehrbar ward zum Schmause geladen.
Aber nun gebet nur Acht, wie wunderlich ihm es ergangen.
Kühn erdreistet‘ er sich in Kaufmanns Laden zu steigen,
Denn gar schmackhafte Speisen der Herren da meint‘ er zu finden.
Aber als also verwegen er stieg in die Bud‘ auf dem Markte,
Langte der Kaufmann so mit der Ell‘ ihm über den Rücken,
Daß laut heulend alsbald kopfüber er fiel von der Treppe.
Aber nicht weit von dem Platz saß auf dem Markte ein Schuster
Lederne Waaren nach seiner Gewohnheit bietend den Käufern.
Sieh da, heimlich erfaßte der Hund zwei tüchtige Stiefel,
Denn wo Leder, so meint er, da sei auch Fleisch wohl vorhanden.
Aber auch hier kreigt‘ er mit dem Knüttel so über den Nacken,
Daß er winselnd vor Schmerz hinsprang zur Bude des Bäckers.
Aber wie dort fuhr hier auch ein Holzscheit über das Kreuz ihm,
Daß er hinkend nur kaum von der Stelle vermochte zu gehen.
Aber auch diesmal hatt‘ er genug noch nicht von dem Schmause;
Thöricht erdreistet‘ er sich zu einem Besuch bei dem Fleischer,
Hoffend, daß dort Vielleicht doch ein Darmstück sei zu gewinnen.
So sich verspitzend leckt er sich schon das Maul, das bereite,
Und wie ein Dieb schleicht näher er sich, um die Beute zu fassen.
Aber der Fleischer, der dies sehr wohl von ferne bemerkte,
Hieb, als eben er sprang, ihm bis zur Wurzel den Schwanz ab.
Also gastlich bedacht heim kehrte vom Markte der Köter,
Noch des absonderen Mahls und des Jahrmarkts häufig gedenkend.

Ei Du geschlagener Dieb, gieb Acht, was die Fabel Dich lehret.
Auf dem Markte als Dieb galt, wie Du hörest, der Köter,
Und wie ein thörichter Geck mit Recht ward rings er gezüchtigt.
Aber wer trägt die Schuld? warum nimmt Anderer Hab‘ er?
Freilich der thörichte Hund, wie groß er oder wie klein sei,
Hat nicht Verstand, drum darfst Du ihm nicht anrechnen die Sünde.
Aber der gottlose Mensch, der Andern Schaden bereitet,
Solch ein Räuber, Betrüger, der wahrhaft reif für den Henker,
Solch ein mensch, sag‘ ich, bringt sich durch Sünd‘ an den Galgen.
Aber noch mehr kannst Du aus unserer Fabel entnehmen.
Thöricht wie irgend ein narr lief hier der Hund auf den Marktplatz,
Dreist und verstandlos griff er da zu mit offenem Maule,
Wähnend, daß allüberall für ihn schon Fressen bereit sei.
Ob wohl manch‘ ein Lotterer sich, der Menschenverstand hat,
Ob wohl, sag‘ ich, besser als hier der Hund er sich führet?
Vieles Gesindel ist da, das nicht sich nähret von Arbeit,
Daß umschleichend in Winkeln umher nimmt, was es nur findet.
Geh, Faulenzer, zur Arbeit geht und ernähre Dich redlich.
Und nur, was Du verdientest, das acht‘, als sei es das Deine.



Christian Donalitius
Littauische Dichtungen
nach den Königsberger Handschriften
mit metrischer Uebersetzung, kritischen Anmerkungen und genauem Glossar
herausgegeben von G. H. R. Nesselmann
Königsberg, 1869