Mittwoch, 27. März 2013

Von Werwölfen (2)

Ein Bauer, welcher eben erst geheiratet hatte, schickte sein Weib aufs Feld hinaus. Als die junge Frau wiederkam, brachte sie ein totes Lamm mit. »Iß,« sagte sie zum Mann, »ich will indessen schlafen!« Das wiederholte sich mehrere Male, so daß der Bauer argwöhnisch wurde und ihr nachzugehen beschloß.

Gedacht, gethan. Als sie wieder einmal aufs Feld hinaus mußte, schlich er ihr vorsichtig nach und sah, daß sie unter die Kleete kroch. Von dort kam sie dann in Wolfsgestalt wieder heraus und eilte fort. Der Bauer entsetzte sich, schaute unter der Kleete nach, fand seiner Frau Kleider und verbarg dieselben.

Nach einiger Zeit kehrte die Wölfin, mit einem Lamm im Rachen, zurück und kroch wieder unter die Kleete. Aber ihre Kleider waren fort – und sie konnte nicht mehr Mensch werden. Heulend und winselnd verließ sie den Hof und verschwand für immer im nahen Walde.


Lettische Märchen
Nacherzählt von Victor von Andrejanoff
Leipzig, 1896

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