Mittwoch, 30. September 2009

Eine Mordthat durch eine Kröte entdeckt


Selten nur bleibt eine böse That ganz verborgen und oft noch im spätesten Alter muß, der sie beging, sie büßen. Eine Frau die in einer unzufriedenen Ehe mit ihrem Manne lebte, beschloß, da sie schlecht und boshaft war, ihn aus der Welt zu schaffen, und beredete einen eben so elenden Menschen ihr in diesem Vorhaben beizustehen. Beide schlichen sich in der Nacht, als der Mann ganz sorgenlos schlief, an sein Bette, und schlugen ihm einen Nagel in den Kopf, der ihn augenblicklich tödtete; dann verbreitete sie das Haar über den Kopf des Nagels, daß er nicht zu sehen war. Am andern Morgen erhub die Frau ein großes Geschrei und rief ihre Hausgenossen zusammen, um ihnen ihren, vom Schlage getroffenen, und gleich todt gebliebenen Mann zu zeigen. Da sich keine Wunde oder sonst eine Spur einer gewaltsamen Verletzung zeigte, schöpfte Niemand einen Verdacht, daß die Frau seinen Tod befördert habe. Er ward begraben, und die Wittwe und ihr Mordgehülfe heiratheten sich. Daß sie nie ein ruhiges, zufriednes Leben kannten, ist gewiß; doch lebten sie über zwanzig Jahre hindurch, dem Anschein nach, glücklich. Nach Verlauf dieser Zeit ward die Gruft, in welcher der Gemordete ruhete, geöffnet, um sie auszuräumen, weil sie zu sehr angefüllt war. Es werden dann die Gebeine derer, die schon lange gestorben sind, aus der Gruft genommen und ins Beinhaus gethan, um Platz für folgende Leichen zu machen. Die Todtengräber sahen mit Erstaunen einen Todtenkopf hin und her rollen, und als sie ihn genauer untersuchten, fanden sie eine Kröte in demselben, die durch ihre Bewegungen das Rollen des Kopfes bewirkte; aber auch einen eisernen Nagel, der tief durch die Hirnschale ins Gehirn gedrungen war, entdeckten sie. Auf die Anzeige ward sogleich eine Untersuchung angestellt, und da nach der Angabe des Kirchenbuches und der Todtengräber, die zu jener Zeit gelebt hatten, sich nicht bezweifeln ließ, wem der Kopf gehörte, wurden seine Mörder eingezogen und verhört. Ihre Bestürzung und ihre Unruhe verriethen sie, und bald gestanden sie ihr Verbrechen ein, das nach den Gesetzen mit dem Tode bestraft ward.

Karoline Stahl
Fabeln, Mährchen und Erzählungen für Kinder

Dienstag, 29. September 2009

Pferd und Füllen


»Spring nur, Füllen, mein fröhlich Kind,
Her und hin, hurtig wie der Wind;
Bist noch ein Weilchen frank und frei.
Wirst du erst groß, dann ist’s vorbei,
hast dann Müh’ und Arbeit genug;
Trägst den Reiter, ziehest den Pflug.«

Das Füllen sprang mit frohem Sinn
So hurtig neben der Mutter hin
Und durfte spielen und scherzen bloß;
So wurd’ es gar schön und stark und groß.
Dann hab’ ich’s gesehen nach drei Jahren;
Da konnt’ es den schwersten Wagen fahren.

Wilhelm Hey

Montag, 28. September 2009

Das Weib mit den Rechten des Mannes

Epilog zu den philosophischen Thorheiten des 19tehn Jahrhunderts.

In den letzten 50 Jahren haben die Philosophen das arme menschliche Geschlecht durch alle möglichen Thorheiten gejagt. Wie hat man uns nicht für unsere Sünden gegeißelt! Mit Republiken, mit natürlicher Religion, mit universellen repräsentativen Monarchien, mit Guillotinen=Gleichheit und mit Dingen aller Art, die man in keiner Fabel schildern, die keine Feder beschreiben kann. Und woraus entsprang all’ dieses Unglück? Aus dem einzigen menschenfreundlichen Grundsatz - »Was Dein ist, ist Mein, und was Mein ist, darum hast Du Dich nicht zu bekümmern.«

Magazin für die Literatur des Auslandes
N. 150 - Berlin
Montag den 15. Dezember 1834

Sonntag, 27. September 2009

Die Schnecken


Einst giengen zwei Jünglinge spatziren und fanden im Fahrweg einige Schnecken, die sie, besorgt, daß sie von einem Fuhrwagen zerdrückt werden möchten, in den Busch dabei warfen. Ihr Muthwilligen, riefen die Schnecken, warum stört ihr uns aus unsrer friedlichen Ruhe und werft uns so muthwillig hierher.

Menschenbrüder, mit wem hadert ihr, wenn euch ein kleines Ungemach geschieht? Mit einem Allweisen? O! ihr Kurzsichtigen!

Novalis

Freitag, 25. September 2009

Der Fuchs und die Trauben


Ein Fuchs, der auf die Beute gieng,
Traf einen Weinstock an, der, voll von falben Trauben,
Um einen hohen Ulmbaum hieng;
Sie schienen gut genug; die Kunst war, abzuklauben.
Er schlich sich hin und her, den Zugang auszuspähn;
Umsonst, es war zu hoch, kein Sprung war abzusehn.
Der Schalk dacht in sich selbst: ich muß mich nicht beschämen;
Er sprach und macht dabei ein hämisches Gesicht:
»Was soll ich mir viel Mühe nehmen,
Sie sind ja saur und taugen nicht!«
So gehts der Wissenschaft. Verachtung geht für Müh.
Wer sie nicht hat, der tadelt sie.

Albrecht von Haller
(1708 bis 1777)

Donnerstag, 24. September 2009

Der Schröter, die Schnecke und der Molkendieb


Ein Schröter *), der mit einer Schnecke
Im Schatten einer Weißdornhecke
Spatzieren kroch, gerieth mit ihr
In Streit, und zwar der Hörner wegen.
Kaum trägt ein junger Offizier
So stolz den neuen Troddeldegen
Als Junker Schröter sein Geweih.
Der Hirsch, dem wir am meisten gleichen,
Sprach er, muß ohne Prahlerey,
Mit seinem Kopfputz meinem weichen:
Er dienet mir, du weist es schon,
Zur Hand und wie dem Krebs zur Scheere,
Im Krieg zum Schutz und Trutzgewehre,
Und.... Alles gut, mein lieber Sohn,
Und doch möcht ich mit dir nicht tauschen;
Auf meinen Hörnern hat die Macht
Des Zevs zwey Augen angebracht,
Wodurch ich die Gefahr belauschen,
Und die ich, rückt der Feind heran,
Schnell, wie mich selbst, verbergen kann.
So sprach die Schnecke. Junker Schröter
Bestieg noch einmal den Katheder;
Allein das Lied des Schaalthiers blieb
Noch immer auf der alten Weise.
Ein Amor, der auf einer Reise
Als Schmetterling sein Wesen trieb,
Und sich, um auszuruhn, ins Grüne
Herabließ, mußte Schiedsmann seyn.
Ich, sprach er mit gelehrter Miene,
Bin für die Hörner, die man sein
Verbergen kann; doch dächt ich wären
Die Augen füglich zu entbehren.
Ey, rief die Schnecke, Freund, wie so?
Allein der kleine Schelm entfloh,
Anstatt das Räthsel aufzuklären.

*) Hirschkäfer
Gottlieb Konrad Pfeffel

Mittwoch, 23. September 2009

Die Fabel, plur. die -n, Diminut. Fabelchen

1) Ein jedes allgemeines Gespräch und der Gegenstand desselben; eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung. Israel wird ein Sprichwort und Fabel seyn unter allen Völkern, 1 Kön. 9, 7. Chron. 7, 20. Daß sie sollen zu Schanden werden, zum Sprichwort, zur Fabel u.s.f. Jer. 24, 9. 2) In engerer Bedeutung, eine jede erdichtete Erzählung, ein Mährchen. 3) In noch engerem Verstande, eine erdichtete Erzählung, mit welcher der Dichter eine sittliche Absicht verbindet, zum Unterschiede von einem Mährchen, welches keine moralische Absicht hat, sondern bloß zur Belustigung dienet. In diesem Verstande gehören die Lustspiele, die Trauerspiele, Heldengedichte, Romanen u.s.f. zur Fabel. 4) In der engsten Bedeutung, begreift man unter diesem Nahmen die Erzählung einer allegorischen Handlung, welche Thieren und geringern Dingen beygeleget wird; um sie von der Erzählung im engsten Verstande zu unterscheiden, in welcher auch Menschen und höhere Wesen eingeführet werden können. Gellerts Fabeln und Erzählungen. Diese Fabeln in engsten Verstande werden auch Äsopische Fabeln genannt. Anm. Dieses Wort ist aus dem Latein. fabula entlehnet. Ehe solches geschahe, nannte man dergleichen erdichtete Erzählungen auch wohl Spel, Spiele, und Bischaft. S. Beyspiel.

Adelung
Grammatisch-kritisches Wörterbuch
der Hochdeutschen Mundart
Band 2. Leipzig 1796, S. 2-3.

Dienstag, 22. September 2009

Dass selbst Lessing darin zu arbeiten versuchte …

Nach all diesen sämtlichen Erfordernissen wollte man nun die verschiedenen Dichtungsarten prüfen, und diejenige, welche die Natur nachahmte, sodann wunderbar und zugleich auch von sittlichem Zweck und Nutzen sei, sollte fürs erste und oberste gelten. Und nach vieler Überlegung ward endlich dieser große Vorrang, mit höchster Überzeugung, der Äsopischen Fabel zugeschrieben... Daß selbst Lessing darin zu arbeiten versuchte, daß so viele andere ihr Talent dahin wendeten, spricht für das Zutrauen, welche sich diese Gattung erworben hatte.

Johann Wolfgang von Goethe
Dichtung und Wahrheit
Zweiter Teil, Buch 7

Sonntag, 20. September 2009

Kloster Andacht


In einem Kloster waren heilig’ Leute
Als an manchem Ende auf Erden heute.
Da kam ein Edelmann, und bat,
Daß sie für sein’ Missethat
Unsern Herrn bäten,
Und das mit Fleiß thäten.
Ein schön Roß hat er mit ihm bracht,
Und sprach: wer nun mit süßer Andacht
Ein Paternoster gar zubrächt’,
Daß er anderswo nit gedächt’,
Der sollt’ seinem Kloster das Roß gewinnen;
Das ließ ich hie und gieng von hinnen.
Die Klosterleut’ zusammen giengen,
Da sie des Herrn Red’ verfiengen,
und baten einen, der sonderlich
Unserm Herren diente inniglich.
Und den man für heilig härte,
das man sie bat, daß er es thäte.
Der kniet’ bey einem Altar nieder,
Und da er sich aufrichtet’ wieder,
Er sprach: soll mir nit wesen zorn?
Der Sattel hat uns das Roß verlorn;
Da ich das letzte Wort in dem Mund
Hatt’, da gedacht’ ich an der Stund:
Soll der Sattel uns auch nit werden?
Wer kann so gewiß nun seyn auf Erden,
Daß fliehende Gedanken sein Gebet.
Nit rühren, so gern er Andacht hätt’?

Hugo von Trimberg
Auserlesene Fabeln

Samstag, 19. September 2009

Literatur der Sanskrit-Sprache

Es wurden schon früh in Indien mehre Umarbeitungen und Auszüge aus dem Pantscha Tantra gemacht, von welchen die unter dem Namen Hitó padésa, d.i. freundliche Unterweisung, bekannte, die berühmteste ist. Diese Sammlung von Fabeln oder vielmehr von politischen und moralischen Apologen, hat ebenfalls Vishnu Sarma zum Verfasser, und ist halb in Versen und halb in Prosa abgefasst. Sie wird auch häufig unter dem Namen der Fabeln des Pilpay oder Bidpay angeführt. Diese Fabeln haben sich in zwey verschiedenen Zweigen fast über die ganze kultivirte Welt verbreitet; der eine, unter dem ursprünglichen gemeinschaftlichen Namen Hitópadésa, blieb beinahe nur Indien eigenthümlich, während der andere, unter dem Titel: Calila und Dimna, sich durch das westliche Asien und alle Länder Europens berühmt machte.

Friedrich Adelung
aus: Literatur der Sanskrit-Sprache
St. Petersburg, 1837

Freitag, 18. September 2009

Fabelhafte Namen

Wer den Newsletter des Dudenverlags abonniert hat, konnte heute erfahren, wie es zu einigen »fabelhaften Tiernamen« kam:

So leitet sich der Name »Meister Lampe« (Hase) von der Kurzform des männlichen Vornamens
Lamprecht ab. »Petz« für den Bären entlehnte man von Betz, der Koseform des männlichen Vornamens Bernhard. Der Storch bekam mit »Meister Adebar« allerdings einen Namen, der keinen Vornamen zum Vorbild hatte, sondern das mittelhochdeutsche odebar = Segenbringer, wohl eine Umdeutung aus dem germanischen Wort für Sumpfgänger. »Isegrim«, der Wolf, entlehnte den Namen dem althochdeutschen Männernamen Isangrim = Eisenheim. Alles zu finden im »Duden, Deutsches Universalwörterbuch«, sogar in meiner iPhone-Fassung - ich hab nachgeschaut :-)

Donnerstag, 17. September 2009

Die Spinne und die Schwalbe


Die Spinne sah mit Misvergnügen,
Wie öfters eine Schwalbe kam,
Und, durch den Raub der besten Fliegen,
Ihr Unterhalt und Nahrung nahm;
Dieß, sprach sie, kann ich nicht mehr leiden,
Ich will dir die Gelegenheit,
Du Nahrungsdieb, gar bald beschneiden.

Drauf zog sie in Geschwindigkeit
Ein Netz vor die zerbrochnen Scheiben,
Wodurch die leichte Schwalbe flog;
Hier dachte sie, wird sie hangen bleiben,
Wiewohl sie sich gar sehr betrog.

Denn als die Schwalbe wiederkommen,
hat sie das Netz, weil es nicht hielt,
Zusammt der Spinnen fortgenommen;
So war die Rachlust schlecht gekühlt.
*
Wenn Schwächre sich an Stärkern rächen,
Pflegt es nicht anders herzugehn;
Wo Nachdruck und Gewalt gebrechen,
Da läßt sichs schwerlich widerstehn.
Ein Zorn, der ohne Kraft und Macht,
Tobt nur umsonst, und wird verlacht.

Daniel Wilhelm Triller
aus: Neue Aesopische Fabeln,
wrinnen in gebundener Rede
allerhand erbauliche Sittenlehren
und nützliche Lebensregeln
vorgetragen werden.
Hamburg, 1740

Mittwoch, 16. September 2009

Welches die schönste Art einfacher Fabeln sei


… Unter den einfachen Fabeln und Handlungen sind die episodischen die schlechtesten. Ich verstehe unter episodischer Fabel diejenige, in welcher das Anreihen der Auftritte (Episodien) weder auf Wahrscheinlichkeit noch auf Nothwendigkeit beruht. Solche Fabeln werden von schlechten Dichtern um ihrer selbst willen, von guten aber den Schauspielern zu Gefallen gedichtet. Indem sie nämlich Musterleistungen dichten wollen und die Fabeln über Vermögen ausdehnen, sehen sie sich genöthigt den Zusammenhang zu stören.

Weil aber die Tragoedie nicht allein Nachahmung einer vollständigen Handlung ist, sondern auch dessen was Furcht und Mitleid erregt, und dieses am meisten und mehr entsteht, wenn die Dinge sich aus einander wider Erwarten entwickeln … werden sie auch mehr Erstaunliches enthalten als wenn sie willkührlich und zufällig sind, weil selbst vom Zufälligen dasjenige am wunderbarsten erscheint, was wie mit Absicht geschehen scheint, z.B. wenn die Bildsäule des Mitys in Argos durch ihren Umsturz den Mörder des Mitys, als er sie betrachtete, erschlug; denn dergleichen scheint kein blindes Ohngefähr zu sein; so sind derartige Fabeln nothwendig schöner

Johann Adam Hartung
aus: Lehren der Alten über die Dichtkunst

Dienstag, 15. September 2009

Der Bauer und die Schlange


Ein Ackersmann fand eine Schlange,
Die fast erstarrt vor Kälte war.
Sein Arm entriß sie der Gefahr,
Und ihrem nahen Untergange.
Er nahm sie mit sich in sein Haus,
Und sucht' ihr einen Winkel aus,
Wo noch ein Rest von Reisern glühte.
Doch als ihr Frost und Noth entwich,
Erholte, regt', und hub sie sich,
Und lohnte dem mit Biß und Stich,
Den ihre Rettung so bemühte.
Betrogne Huld und Zärtlichkeit,
Die Frevlern blindlings Hilfe beut!
Hier folgt der Schade stets der Güte.

Friedrich von Hagedorn

Montag, 14. September 2009

Helen Frei: Fabel-haftes Coaching

Die Autorin - als Beraterin und Trainerin tätig - setzt fabelhafte Geschichten ein, um Manager und Führungskräfte zu Reflexionen über die eigene Person und das eigene Tun zu verhelfen. Sie greift dabei nicht auf die klassischen Fabeln zurück, sondern erfindet selbst fabelhafte Geschichten. Für Fabeln sind sie im allgemeinen zu lang und entsprechen auch nicht immer den typischen Fabelvorgaben. Die Autorin hat versucht, sie dem von ihr gewählten Zweck anzupassen, was sicher auch in den meisten Fällen gelingen kann. Andererseits kann aber gerade die Länge auch als Hindernis für den inneren Sprung zur Selbstreflexion gesehen werden. Unabhängig von dieser Kritik ist das Buch nicht schlecht konzipiert. Die eingebauten Übungen und die kurzen Texte für die »Denkpausen« lassen auch das Arbeiten ohne Trainer mit diesem Buch zu.

Samstag, 12. September 2009

Langleben


Vor dem Tagenlang
klang des finken Sang;
und die Jungen riefen:
»Süßer wär’s, wir schliefen!«

»Nein«, sagt er, »das Träumen
ist nur ein Versäumen;
heiß wird der Mittag,
lang des Winters Plag;
bald schon welkt’s in Bäumen.
Macht die enge Zeit
euch durch Freuden weit!«

Abraham Emanuel Fröhlich

Freitag, 11. September 2009

Bei dieser Wendung der Anschauungen

Man sieht, bei dieser Wendung der Anschauungen mußte notwendig das Epische immer mehr in Allegorie übergehen, und so entstand nun das allegorisch-satirische Tiergedicht und die Fabel, wo die Tiere eben nur noch maskierte Menschen sind. Unter diesen neuen Tiergedichten behauptet, außer der schon erwähnten »Flohhatz« des Fischart, der Froschmäuseler von Georg Rollenhagen, unter den Fabeln die des Erasmus Alberus und des Burkard Waldis durch Frische und Lebendigkeit der Darstellung bei weitem den ersten Rang. Endlich aber fällt dieser kecke Heereszug gegen die Narrheit der Welt, da er immer matter und kurzatmiger wird, in bloße Anekdoten und Sittensprüche auseinander, wie bei Zinkgref, oder er spitzt sich zu einzelnen Epigrammenpfeilen, wie bei dem in seiner Art vortrefflichen Logau.

Joseph von Eichendorf
Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands
1. Band

Donnerstag, 10. September 2009

Die 65. Fabel: Der Bauer, der Drache und der Fuchs


Ein Bauer hörte einsmals auf seinem Wege ein klägliches Geschrey, als wenn jemand in äussersten Noth wäre. Er erschrack darüber, und kehrte sich anch der Gegend, wo der Schall herkam. Dieser ort war eine Höhle, welche mit einem Steine zugemacht war. Da er nun diese Höhle erreichet hatte, so hörte er folgende Worte ganzd eutlich: Ach! ist denn niemand vorahnden, der sich über einen elenden Gefangenen erbarmen will, den man unschuldiger Weise in dieses Gefängniß eingechlossen hat, in welchem ich umkommenmuß! Diese Worte wurden so oft und mit einer so kläglichen Stimme wiederhohlet, daß der Bauer zum Mitleiden bewogen ward, und sich vorsetzte, den Gefangenen zu retten. Dieses geschah dadurch, daßer den Stein, welcher vor dem Eingange der Höhle lag, auf die Seite wälzte. Aber, statt eines gefangenen Menschens, sah er mit grossem Schrecken einen grossen und hässlichen Drachen herauskommen, welcher seinen Rachen sofort weit aufsperrte, um den Bauern zu verschlingen, und dadurch seinen Hunger zu stillen, den er etliche Tage ausgestanden hatte. Der Bauer fiel auf die Knie, und stellte dem Drachen mit beweglichen Worten vor, wie unbillig er solchergestalt mit ihm verführe, da er ihm doch das Leben gerettet hätte; und ob das die Dankbarkeit sey, die er seinem Erretter schuldig wäre? Der Drache schüttelte den Kopf und sagte: Was Dankbarkeit? diese Tugend findet unter euch Menschen keine Statt. Der Bauer sagte: Er thäte denen Menschen mit diesem Vorwurfe unrecht. Und da sich eben ein altes Pferd sehen ließ: so bat der Bauer, man mögte es in dieser Sache urtheilen lassen. Der Drache war es zufrieden. Aber da die Sache von denen Partheyen mit grosser Wohlredenheit vollständig war vorgetragen worden: so fiel der Richter dem Drachen bey, indem er durch sein Beyspiel erwies, daß keine Dankbarkeit bey denen Menschen zu finden wäre. Er gieng seinen ganzen Lebenslauf durch, erzählte, was für Dienste er seinem Herrn gethan hatte, der ihn nun in seinem Alter durch Hunger umkommen liesse. Der Drache bedankte sich für das gute Urtheil, und öffnete seinen Schlund, den Bauer zu verschlingen. Der Bauer bat aufs neue um sein Leben, indem er vorgab, das Pferd wäre ein partheyischer Richter, und weil er eben einen alten magern Hund erblickte, so appellirte der Bauer an diesen. Der Drache sagte darauf: Wohlan, ich will dir das Maas vollmessen. Die Sache ward also vor dem neuen Richter abgehandelt, welcher aber die Undankbarkeit seines Herrn mit der schwärzesten Farbe abmalete, und darauf den Ausspruch des Pferdes bestätigte. Diese beyden Urtheile stürtzen den Bauer in die äusserste Verzweiflung. Und er würde stracks seyn aufgeopfert worden, wenn sich nicht ein Fuchs eingefunden hätte. Dieser verwunderte sich sehr, einen Drachen und einen Bauer in Gesellschaft anzutreffen, und er fragte nach der Ursache. Der Bauer erzählte darauf dem Fuchs, was ihm begegnet wäre, und bat den Drachen zu erlauben, daß der Fuchs mögte Richter zwischen ihnen beyden seyn, und er setzte hinzu: er wollte alsdann nicht mehr um sein Leben bitten, wenn der Fuchs mit der Meynung der vorigen Richter übereinstimmte. Der Drache wollte dieses lange nicht eingehen, zuletzt aber bequemte er sich doch dazu, weil er glaubte, er wäre eines günstigen Urtheils gewiß genung. Nachdem nun der Fuchs zum Richter, doch ohne weiteres Appelliren, war angenommen worden, zog er zuerst den Bauer auf die Seite, und fragte ihn, was für Belohnung er haben sollte, wenn er ihn retten würde? Der Bauer versprach ihm einen freyen Eingang in seinen Hof, nebst dem Ober- und Untergerichte über seine alten und jungen Hühner, Enten, Gänse u.d.g. Da der Bauer dieses Gelübde mit einem Eid versiegelt hatte, begab sich der Fuchs zum Drachen, und sagte zu ihm: Er zweifelte nun an der Richtigkeit der Sache nicht mehr, aber es wäre nöthig, daß man, bevor er ein gegründetes und gesetzmäßiges Urtheil spräche, sich zurück verfügte, um die Höhe in Augenschein zu nehmen. Sie verfügten sich darauf alle drey zurück, und da sie an die Höhle gekommen waren, sagte der Fuchs: Der Bericht, der mir von dieser Sache ist ertheilet worden, kommt mir ganz unglaublich vor; denn ich kann nicht begreifen, daß in dieser Höhle Raum für einen so grossen Drachen wäre. Ich will dir zeigen, sagte der Drache, daß der Raum für mich groß genung ist. Er kroch darauf in die Höhle, um den ungläubigen Richter zu überzeugen. Allein, kaum war er darinnen, so gab der Fuchs dem Bauer ein Zeichen, damit er den Stein wieder vor die Höhle wälzte. Dieses geschah, und der Drache fieng an, sich wieder eben so jämmerlich anzustellen, wie zuvor; aber vergebens. Der Bauer verließ nunmehr den Fuchs nach abgelegter Danksagung und Erneuerung seines Gelübdes. Aber, da er zu Hause war, und dieses schädliche Gelübde überlegte, beschloß er, solchem keinesweges nachzukommen, und, nachdem er in diesem Vorsatze von seiner Frau war bestärket worden, so bewaffnete er sich gegen die Ankunft des Fuches, und empfieng seinen Wohlthäter solchergestalt, daß er kaum mit dem Leben davon kam. Der Fuchs sagte darauf: Niemals kann ein Richter schlechter besoldet werden. Keine Geschichte kann die Undankbarkeit der Menschen stärker als diese beweisen; denn daß der Drache Recht hat, dieses können mein Rücken und meine Glieder bezeugen.

Diese Fabel lehret, daß die Wohlthaten gemeiniglich entweder vergessen oder schlecht belohnet werden.

Ludvig Holberg

Mittwoch, 9. September 2009

Der Feigenbaum und der Weißdorn


Eine Fabel aus dem Französischen, die bei Voltaire's Aufnahme in der Loge z.d. N.S. zu Paris 1778 vorgelesen ward.

Ein schönbelaubter Weißdorn trotzte
Dem Feigenbaum, der um die Frühlingszeit,
Noch kaum belaubt, doch schon von Früchten strotzte,
Und that mit seinen Blüthen breit.
Wo sind denn deine Blüthen? frug
Der Weißdorn ihn – Und wo – erwiedert' jener –
Ist deine Frucht? – Dagegen bin ich schöner,
Versetzt' der Strauch, und das ist mir genug.
So lass' uns denn in Frieden leben,
Erwiederte der Feigenbaum:
Dir hat Natur für's Auge Reiz gegeben,
Mir gab sie Früchte für den Gaum.

Die Fabel gilt den Männern, deren Schriften
Der Welt bald Nutzen, bald Vergnügen stiften:
Der unterhält, der unterrichtet sie.
Die gütige Natur, in ihren Gaben allen
Gleich mütterlich, gibt dem die Gabe zu gefallen,
Und jenem die des Unterrichts, daß nie
Ein Kind von ihr das andere beneide;
Nur ihrem liebsten Sohn Voltairen – gab sie beide.

Aloys Blumauer
aus: Sämmtliche Gedichte.
München 1830, S. 218

Dienstag, 8. September 2009

Wenn dichtend Träum' und Fabeln ich erdenke

Duckomenta in Bad Mergentheim

Wenn dichtend Träum’ und Fabeln ich erdenke
Und zeichne sie auf weiße Blätter hin,
Nehm’ ich so Antheil dran, Thor, der ich bin,
Daß um Erfundnes ich mich gräm’ und kränke.

Doch wenn ich nicht mich in die Kunst versenke,
bin ich dann weiser? ruhiger mein Sinn?
Und was an Lieb’ und Zürnen lebt darin,
Ist’s wesenhafter, als was ich nur denke?

Ach, nicht nur was ich dichte, sind zuhauf
Nur Fabeln, Hoffnung, Kummer und Beschwerde
Nur Schein und Trug! Von Wahn bin ich befangen.

Ein Traum ist meines Lebens ganzer Lauf.
Laß du, Herr, wenn ich einst erwachen werde,
Mich an der Wahrheit Busen Ruh’ erlangen!

Pietro Metastasio (1698 - 1782)
aus: Lyriker und Volksgesang - Neue Folge
Deutsch von Paul Heyse
Stuttgart und Berlin 1905

Montag, 7. September 2009

Der übelverstandene Dienst


Ein Wanderer beschalt den Dornstrauch: Wie bist du auf die Vorbeygehenden so böse, daß du jeden angreifest, und ihm die Kleider zerreissest? Du thust mir unrecht, versetzte der Strauch, es ist nicht Bosheit, es ist Freundschaft, die mich gegen die Menschen so anhänglich macht. Ich wollte sie gern in meinem Schatten erhalten, und habe keine zärtere Hände, als meine dornichte Klauen sind. Es ist der Leute Schuld, daß sie sich die Kleider so zerreissen. Würden sie auf mein Angreifen stehen bleiben, so geschäh ihnen nichts Böses.

Lessingische, unäsopische Fabeln
Enthaltend die sinnreichen Einfälle und weisen Sprüche der Thiere
Nebst damit einschlagender Untersuchung der Abhandlung Herrn Lessings von der Kunst Fabeln zu verfertigen
Zweyte Auflage, Zürich, bey Orell, Geßner und Comp. 1767

Samstag, 5. September 2009

Die Graugans und der Windschatten


Stolz setzte sich die Graugans an die Spitze ihrer Gruppe und wies im Flug den anderen den Weg gen Süden.
Als sie nach Stunden zurückfiel und einer anderen den Platz überließ, war sie froh, im Windschatten ein wenig Erholung zu finden und ohne weitere Verantwortung einfach mitzufliegen.

Horst-Dieter Radke

Freitag, 4. September 2009

Ist es nicht fabelhaft ...

... dass ein junger Mann, der vor kurzem noch gar nicht existierte, inzwischen Krankenpfleger in Dresden und Kostümwart beim Indianerclub in Radebeul mit seinem Romanprojekte »Über-All« in aller Munde und zahlreichen Foren ist, seitdem Spiegel Online und die SZ (Süddeutsche Zeitung) über ihn berichtet haben?

Wer sich von der Existenz des bislang Nichtexistenten überzeugen will, kann das über YouTube machen. Video 1 bringt den Anfang von Über-All und Video 2 die Fortsetzung.

Und hier noch ein ausführliches Interview mit einem von Ricos Vätern.