… Unter den einfachen Fabeln und Handlungen sind die episodischen die schlechtesten. Ich verstehe unter episodischer Fabel diejenige, in welcher das Anreihen der Auftritte (Episodien) weder auf Wahrscheinlichkeit noch auf Nothwendigkeit beruht. Solche Fabeln werden von schlechten Dichtern um ihrer selbst willen, von guten aber den Schauspielern zu Gefallen gedichtet. Indem sie nämlich Musterleistungen dichten wollen und die Fabeln über Vermögen ausdehnen, sehen sie sich genöthigt den Zusammenhang zu stören.
Weil aber die Tragoedie nicht allein Nachahmung einer vollständigen Handlung ist, sondern auch dessen was Furcht und Mitleid erregt, und dieses am meisten und mehr entsteht, wenn die Dinge sich aus einander wider Erwarten entwickeln … werden sie auch mehr Erstaunliches enthalten als wenn sie willkührlich und zufällig sind, weil selbst vom Zufälligen dasjenige am wunderbarsten erscheint, was wie mit Absicht geschehen scheint, z.B. wenn die Bildsäule des Mitys in Argos durch ihren Umsturz den Mörder des Mitys, als er sie betrachtete, erschlug; denn dergleichen scheint kein blindes Ohngefähr zu sein; so sind derartige Fabeln nothwendig schöner …
Johann Adam Hartung
aus: Lehren der Alten über die Dichtkunst
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