Montag, 29. April 2019

Der Hahn

Der Hahn, so sagt man, wurde einst vom Schakal beschlichen und gepackt. Da sprach der Hahn: »Willst Du nicht erst beten, ehe Du mich tödtest, wie der weiße Mann thut?« Der Schakal erwiderte: »Wie macht er es denn, wenn er betet? Nun?«
»Er faltet die Hände«, sagte der Hahn. Da faltete der Schakal die Hände und betete. Der Hahn sprach wiederum: »Du guckst ja umher; mach’ doch die Augen zu!« Das that der Schakal, der Hahn aber flog auf und schalt ihn, indem er rief: »Du Schelm! Betest Du auch?«
Da saß der Schakal sprachlos, weil er überlistet war.

Dr. W. H. I. Beleg
Reineke Fuchs in Afrika
Fabeln und Märchen der Eingeborenen

Donnerstag, 11. April 2019

Der Fuchs als Hirte

Es war einmal eine Frau, die ging aus und wollte sich einen Hirten miethen. Da begegnete ihr der Bär. »Wo willst Du hin?« fragte der Bär sie. »O, ich wollte mir nur einen Hirten miethen«, antwortete die Frau. »Willst Du mich zum Hirten haben?« fragte der Bär. »Ja, wenn Du bloß hübsch locken kannst«, sagte die Frau. »Hö–i!« sagte der Bär. »Nein, Dich will ich nicht haben«, sagte die Frau, als sie das hörte, und ging weiter.

Da begegnete ihr der Wolf. »Wo willst Du hin?« fragte der Wolf. »O, ich wollte mir nur einen Hirten miethen«, antwortete die Frau. »Willst Du mich zum Hirten haben?« fragte der Wolf. »Ja, kannst Du auch hübsch locken?« sagte die Frau. »Uh–uh!« sagte der Wolf. »Nein, Dich will ich nicht haben«, sagte die Frau.

Ein Ende weiter hin begegnete ihr der Fuchs. »Wo willst Du hin?« fragte der Fuchs. »O, ich wollte mir nur einen Hirten miethen«, antwortete die Frau. »Willst Du mich zum Hirten haben?« fragte der Fuchs. »Ja, wenn Du bloß hübsch locken kannst«, sagte die Frau. »Dil–dal–holom!« sagte der Fuchs noch so hübsch und artig. »Ja, Dich will ich haben«, sagte die Frau und nahm den Fuchs zum Hirten bei ihrem Vieh an.

Am ersten Tage, wie der Fuchs das Vieh auf die Weide trieb, fraß er alle Ziegen auf, den zweiten Tag ließ er sich die Schafe schmecken, und den dritten Tag mußten die Kühe daran. Als er darauf am Abend nach Hause kam, fragte die Frau ihn, wo er das Vieh gelassen hätte. »Der Kopf ist im Bach, und der Rumpf im Busch«, sagte der Fuchs. Die Frau stand eben bei ihrem Butterfaß und butterte; aber sie wollte doch selbst zusehen; während sie nun zusah, steckte der Fuchs den Kopf ins Butterfaß und fraß allen Rahm auf. Als die Frau zurückkam und das gewahr ward, da wurde sie so erbittert, daß sie einen Rahmklumpen nahm, der noch im Butterfaß saß, und damit nach dem Fuchs warf, so daß er einen Klatsch am Schwanz bekam. Davon kommt es, daß der Fuchs einen weißen Schwanzzipfel hat.

Asbjørnsen, P./Moe, J.
Norwegische Volksmärchen
Berlin, 1908

Donnerstag, 4. April 2019

Die Hyäne und die Schlange

Ein Holländer, der allein seines Wegs ging, sah eine Schlange unter einem großen Steine liegen. Die Schlange bat ihn um Hilfe, aber als er sie befreit hatte, sagte sie: »Nun will ich Dich fressen!« Der Mann antwortete: »Das ist aber nicht recht! Laß uns erst zum Hasen gehen!«
Als dieser die Geschichte gehört hatte, sagte er: »Das ist ganz recht!« »Nein!« sagte der Mann, »laß uns die Hyäne fragen!« Die Hyäne sagte dasselbe: »Das ist ganz recht!« »Nun laß uns noch den Schakal fragen!« schrie der Mann in seiner Verzweiflung.
Der Schakal schüttelte bedächtig sein Haupt, zog die ganze Geschichte in Zweifel und verlangte erst den Ort zu sehen, um beurteilen zu können, ob der Mann wirklich im Stande sei, den Stein zu heben. Die Schlange legte sich dann nieder, und zum Beweise der Wahrheit legte der Mann den Stein wieder auf sie. Als sie nun wieder fest lag, sagte der Schakal: »Nun laß sie nur liegen!«

Reineke Fuchs in Südafrika
oder
Hottentottische Fabeln, Sagen und Märchen
Meist nach Originalhandschriften der Rheinischen Missionare
G. Krönlien und J. Rath