Donnerstag, 27. August 2015

Der Kukuk und die Henne

Ein Kukuk wollte eine Henne über die Art und Weise belehren, wie sie ihre Jungen warten und pflegen sollte.
Die Henne lächelte und sagte:
»Wie kannst du mich die Methode lehren, wie ich meine Küchlein erziehen osllte, da du selbst deine eigenen Kinder in eine fremde Wiege legst, und von andern Vögeln erziehenläßt.

Auf diese Fabel passen jene pädagogischen Schriftsteller, welche die glänzendsten Theorien über Erziehung schreiben, selbst aber nie ein Kind erzogen haben.

Joseph Kraus
Fabeln für unsre Zeiten und Sitten
Zweytes Bändchen
Strasburg und Mainz, 1801

Montag, 24. August 2015

Indische Fabeln von den zwei Raben


Ich hatte ihn bereits über eine Stunde mit all den Schnurren und Schwänken ergözt, die meine muntre Laune mir eingab, als sich zwey Aelstern auf die Bäume sezten, die uns beschatteten. Sie begannen ein so tösendes Gedatter, daß sie unsre Aufmerksamkeit auf sich zogen. Keifen wol gar die Vögel wie’s scheint? sagte der Herzog. Ich möchte wol wissen, worüber sie eigentlich streiten. Ew. Durchlaucht, sagt’ ich zu ihm, erinnern mich an eine Indische Fabel, die ich im Bilpay, oder in einem andern Fabler gelesen habe. Der Minister frug mich, was das für eine Fabel sei, und ich erzälte sie ihm auf folgende Art:

»Es herrschte ehmals in Persien ein guter Monarch, der, weil sein Verstand nicht ausgebreitet genug war, um seine Staaten selbst zu beherschen, dem Groswessir diese Sorge überlies. Dieser Minister Namens Atalmuc hatte einen sehr hervorragenden Gesit. Er trug die grosse Bürde dieses Reichs, ohne von selbiger niedergedrükt zu werden; er verbreitete druch selbiges den goldenen Frieden; verstand sogar die Kunst, die Königsgewalt so algeliebt als algefürchtet zu machen, und die Untertanen besassen in einem dem Fürsten biedertreuen Wessir eine huldreichen Vater.
Atalmuc hatte unter seinen Geheimschreibern einen jungen Kaschemirier, namens Zeangir, dem er gewogner war als allen übrigen. Er fand Behagen an seiner Unterhaltung, führte ihn mit sich auf die Jagd, und entdekte ihm die geheimsten Gedanken seiner Seele.
eines Tages, als sie mit einander in einem Gehölze jagten, ward der Wessir auf einem Baume zwei Raben gewahr, die mit einander krächzten, und sagte zu seinem Schreiber: Ich möchte wol wissen, was sich diese Vögel in ihrer Sprache sagten. Dein Wunsch kan erfült werden, Herr, hub der Kaschemirier an. Und wie das? rief Atalmuc. Weil ein in der Kabala wolerfarner Derwis mich die Sprache der Vögel gelehrete hat, versetzte Zeangir. Befielst’u, so will ich sie belauschen, und Dir von Wort zu Wort hinterbringen, was ich vernommen.
Der Wessir willigte darein. Der kaschemirier nahte sich den Raben, und schien ihnen ein aufmerksames Ohr zu liehen. nach einiger Zeit kam er wieder zum Minister zurük. Soltest’u’s wol glauben, Herr, sprach er, daß ihr Gespräch uns betrift? Nicht möglich! sagte der Persische Minister. Und was sagen sie von uns?
Der eine dort, versetzte der Geheimschreiber, sagte: Ha! a ist der grosse Wessir Atalmuc. Dieser alspähende Adler, der über Persien, als über sein Nest, seine schirmende Fittiche ausspreitet, und unabhlässig für dessen Erhaltung wacht. Zur Erquickung von seinen mühevollen Arbeiten jagt er in diesem Gehölz mit seinem treuen Zeangir. Wie glüklich dieser Schreiber, einem Herrn zu dienen,d er unendliche Güte für ihn hat! Nicht so rasch geurteilt! fiel ihm der andre Rab’ ein. Preise den Kaschemirier nicht so selig. Zwar spricht Atalmuc mit ihm wie der Freund zum Freunde, schüttet in seinen Busen seine geheimsten Gedanken aus, auch zweifl ich nicht, daß er des Vorhabens ist, ihn dereinst auf eine hohe Staffel der Ehre zu sezen, doch eh’ dies dereinst heranrükt, ist Zeangir Hungers gestorben. Der arme Unglükliche wont in einem kerkerähnlichen Kämmerlein, wo’s ihm am Allernotwendigsten gebricht. Mit Einem Worte, er lebt das elendeste aller Leben, obwol es keiner der Höflinge gewahret. Der Groswessir läßt sich’s nicht zu Sinne kommen, ihn zu fragen: Hast Du auch zu Deines Lebens Nahrung und Notdurft? sich gnügend, Wolwollen für ihn zu hegen, läßt er ihn einen Raub der Armut.

Hier endete ich meine Fabel, um zu sehn, wie der Herzog sie aufnemen würde. Dieser frug mich lächelnd, was diese Fabel auf Atalmuc für Eindruk gemacht, und ob der Groswessir die Künheit seines Schreibers nicht übelgenommen. Nein, Gnädiger Herr, versezt’ ich, durch diese Frage ein wenig betroffen, vielmehr sagt die Fabel, er habe ihn mit Woltaten überhäuft. Ein besonders Glük, versetzte der Herzog mit ernster Mine. Mancher Minister möchte dergleichen Winke nicht gut heissen. Doch, fuhr er fort, indem er den faden unsrer Unterredung plötzlich abris, und aufstand, ich glaube, der König wird bald aufstehn. meine Schuldigkeit ruft mich zu ihm. Mit diesen Worten eilte er starkes Schrittes nach dem Pallaste, ohne weiter mit mir zu reden, und wie’s schien, über meine Indische Fabel gar schlecht erbaut.

Gil Blas von Santillana,
von Alain-René le Sage
3. Band, Berlin 1779
Bey Christian Friedrich Himburg

S. 229 ff.

Mittwoch, 19. August 2015

Wilhelm & Jacob Grimm: Kinder & Hausmärchen


Die »Kleine Ausgabe« aus dem Jahr 1825 ist eine lohnende Anschaffung, nicht nur für Märchenfreunde. Warum, das ist dort ausführlich begründet.

Samstag, 15. August 2015

Spinnenreim



Spinne am Fenster
bannt keine Gespenster
doch Fliegen und Mücken
kann sie gut verdrücken.

H.D.Radke

Mittwoch, 12. August 2015

Fabel von der kleinen Porzellantänzerin

Die kleine Porzellanfigur, das Mädchen als Tänzerin auf den Zehenspitzen des linken Beins stehend, das andere nach hinten weggestreckt, die beiden Arme seitwärts haltend um das Gleichgewicht auszubalancieren, war es leid, Tag für Tag so auszuharren und darauf zu warten, das erstaunte Ausrufe dafür sorgten, sie aus dem Schrank zu nehmen, herumzureichen und unter bewundernden Bemerkungen von Hand zu Hand zu reichen bis das letzte Paar sie dann sorgsam zurück in den Schrank stellte und die Glastür schloss, rief endlich die Fee der kleinen Wunder und bat, als diese erschien und ihr einen Wunsch zusprach, aus der Starre erlöst zu werden, was die Fee ihr auch umgehend erfüllte, wobei die Porzellantänzerin um ein Haar gestürzt wäre, denn ohne die Steifheit des Materials war es nicht so leicht, das Gleichgewicht zu halten, so dass sie zunächst ein wenig umher ging, um sich an die neue Situation zu gewöhnen, was ihr bald gut gelang, sodass sie erneut probierte, auf den Zehen des linken Beines stehend die Tanzhaltung einzunehmen, was auch nach einer Weile ging, nur nie für lange, weshalb sie am Morgen traurig und resigniert neben dem Sockel saß, auf dem sie früher so prächtig gestanden hatte und der Diener, der in den Raum trat um ihn für die Gesellschaft herzurichten rief, das sie kaputt sei und sofort ersetzt werden müsse, wonach gleich ein junger Kerl gerannt kam, sie griff, in einen Korb warf, eine neue Porzellantänzerin hinstellte und die alte aus dem Raum trug, zuletzt auf den Müll warf, weil ein trauriges Mädchen niemand gerne sehen möchte und womit bewiesen wäre, das Wünsche gut überlegt und nicht schnell ausgesprochen sein sollten.

Horst-Dieter Radke

Dienstag, 11. August 2015

Der Elephant und der Biber

Ein Elephant und ein Biber sprachen einsmals von dem Laufe der Welt mit einander, sowohl in Ansehung der Thiere, als der Menschen. Unter andern Dingen fragte der Biber den Elephanten, welche Herrlichkeit er sich am liebsten wünschen mögte, entweder Reichtum, oder Weisheit? Der Elephant antwortete: ich wollte mir wohl Weisheit wünschen, wenn ich nicht sähe, daß so viele weise Sooicitanten und studirte Leute mit niedergeschlagenen Köpfen in den Vorgemächern der Narren stünden.

aus: Moralische Fabeln
Aus dem Dänischen des Herrn Barons von Holberg
übersetzt durch J.A.S.K.D.C.
Kopenhagen, 1761

Montag, 10. August 2015

Mensch und Mücke

Herr Olombelona und die Mücke Rekehitsa hatten Gefallen aneinander; so schlossen sie denn auch Blutsbrüderschaft; als Rekehitsa vom Blute des Herrn Olombelona trank, mundete dies ihr vortrefflich. Und so erzählte sie nachher den anderen Mücken: »Wir mühen uns allemal ab, Blut ausfindig zu machen. Da wollen wir künftighin doch nicht das unseres Bruders vergessen, das ausgezeichnet schmeckt.« Eine andere Mücke antwortete: »Laßt uns ihn besuchen und einmal sein Blut proben; dann ersparen wir ihm die Mühe, uns Reis zu kochen, Wasser zu holen und ihn zu waschen, wir bitten ihn da nur um ein recht einfaches Mahl.«

Herr Olombelona war eingeschlafen und schnarchte, als die Besucher bei ihm erschienen; sie baten nach allen Regeln des Anstands um Eintritt, doch Herr Olombelona hörte sie nicht und antwortete nicht. »Bss! Bss!« machten die Mücken, »laßt uns hineingehen.« Damit flogen sie hinein, ließen sich auf dem Menschen nieder und tranken sein Blut. Plötzlich fuhr Herr Olombelona aus dem Schlafe auf und rief wütend: »Wartet! Euch werde ich kommen! So benehmt ihr euch also einem Blutsbruder gegenüber?« Und tapp, tapp! streckte er eine Mücke nach der anderen nieder.

Seither, so geht die Mär, sind Menschen und Mücken keine Freunde mehr. Sieht der Mensch eine Mücke, schlägt er sie tot; trifft aber die Mücke einen Menschen, sticht sie ihn und saugt sein Blut.

Paul Hambruch
Malaiische Märchen aus Madagaskar und Insulinde
Eugen Diederich Verlag, Jena, 1922.

Mittwoch, 5. August 2015

Aus den Fuchsfabeln

 ain bei‘-spil fun ain leb un‘ andere tir

wenn es ainem hebt an, übel zu gen,
sol er ale handel un‘ wandel losen sten.

ain leb [= Löwe] war krank un‘ wild-haser kamen her.
das wild-haser kam mit seinėn scherfen zen,
der leb het es gern gehat un‘ kunt nit far im besten.
der-noch docht er, er wolt dem esel kumen bei‘,
der esel wert sich seiner mit seinen fisen gar vrei‘,
er must vun im losen ab.
er maint, er wer doch nit ganz schab-ab,
er wolt sich uber den fuks machen.
er tets aber nit der-lachen,
den mit seinėm schwanz tet er sein augen fer-blenden,
der-noch schlag er in mit fisen un‘ henden.

ain bei‘-spil, wen ainem das gluk nit wil bei-sten,
sol er ales vor-uber losen gen.
den ungluk kumt mit houfen,
darum sol er sich mit nimant schlagen noch raufen,
auch ver-woren sein mit handeln un‘ kaufen.


Berechja ben natronaj haNakdan
Mišle Šu‘alim (Fuchsfabeln)
Übertragung: Koppelman

Montag, 3. August 2015

Italienische Fabeln der neueren Zeit

Den Styl der äsopischen Fabeln des Phädrus haben in neueren Zeiten, mit mehr Leichtigkeit und Anmuth, als im sechzehnten Jahrhundert, Paresi und Verdizotti, der Abate Roberti und Don Lorenzo Pignotti nachgeahmt.

Friedrich Boutewek
Geschichte der Poesie und Beredsamkeit
seit dem Ende des dreizehnten Jahrhunderts
Zweiter Band
Göttingen, bey Johann Friedrich Röwer, 1802