Freitag, 29. Juni 2012

Der Kater


Ein Kater sah bey einem Schmauß
Die goldgefüllten Römer blinken;
Er sah die Gäste wacker trinken
Und rief in vollem Eifer aus:

O Himmel, welch ein toller Haufen!
Wie schändlich ist es Wein zu saufen,
Uns Katzen ekelt vor dem Wein.
Nur bey den Menschen giebt es Prasser;
Wir löschen unsern Durst mit Wasser,
O lernt von Katzen weise seyn!

Herr Murner, nur nicht so vermessen,
Rief ihm ein Gast mit Lachen zu:
Ich bin so tugendhaft als du,
Denn ich kann keine Mäuse fressen.

Freund, der aus Wahl die Tugend liebt,
Ist der wohl tugendhaft zu nennen,
Der sich den Lastern nicht ergiebt,
Die seiner Lust nicht schmeicheln können?

Gottlieb Konrad Pfeffel

Donnerstag, 28. Juni 2012

Der Sperling und die Schwalbe

Die friedsame Schwalbe hatte ruhig den kalten, nahrlosen Winter durchschlafen, und kam nun, von der allbelebenden Sonne des Lenzes erweckt, zur Wohnung ihres gastfreundlichen Wirthes zurück. Noch hing unter dem Schirmbrette des Firstes ihr Nestchen; ein räubrischer Sperling aber bemächtigte sich ihres durch Fleiß erworbenen Eigenthums, und besetzte es mit seiner verderblichen Brut. Zu schwach, mit dem Stärkern zu rechten, baute das Schwälbchen gelassen eine neue Wohnstatt, und deckte, nach kurzer Zeit, fünf Kinder mit wärmenden Flügeln. Gleichviel junge Schreyer waren indess im Neste des Sperlings zum Abflug reisefertig; als die Kinder des Hauswirths auf einer Leiter das Schirmbrett besteigen, und die Sperlingszucht haschten und würgten.

Merkt Kindelein! sprach itzt die fromme Schwalbe zu ihren noch unbefiederten Kleinen, merkt euch das Sprichwort:

Unrechtes Gut kommt selten auf den dritten Erben.

Johann Ferdinand Schlez

Mittwoch, 27. Juni 2012

Sperling in der Hand

Der satte Reichtum hat’s ausgemacht,
dass Armut niemandem Schande macht.
Die Schlemmer lehren am vollen Tisch,
wie Salz und Brot hält die Wangen frisch.
Die Tauben gurren vom Dachesrand:
„Nehmt lieber den Sperling in die Hand!“ …
Und die Dummen fassten den Mehrheitsbeschluss,
dass stets der Klügere nachgeben muss.

Oscar Blumenthal (1852 - 1917)

Dienstag, 26. Juni 2012

Falke und Sperling


… Aber ehe ich auf ewig schweige, muß ich euch doch noch eine kleine Fabel erzählen. Ein Falke war im Begriff, einen Sperling zu erwürgen, den er gefangen hatte. Laß mich, sagte der Sperling, es verlohnt sich nicht der Mühe, mich zu knuppern, und der Falke schenkte ihm Leben und Freyheit, und sagte: Es ist nur ein Sperling.

Der Tausend und Einen Nacht
noch nicht übersetzte
Mährchen, Erzählungen und Anekdoten,
zum erstenmale aus dem Arabischen in’s Französische
übersetzt von
Joseph von Hammer,
und aus dem Französischen in’s Deutsche
von
Aug. E. Zinserling
Stuttgart und Tübingen, 1823

Montag, 25. Juni 2012

Spatz und Spätzin

Auf dem Dache sitzt der Spatz,
Und die Spätzin sitzt daneben,
Und er spricht zu seinem Schatz:
»Küsse mich, mein holdes Leben!

Bald nun wird der Kirschbaum blühn,
Frühlingszeit ist so vergnüglich;
Ach, wie lieb’ ich junges Grün
Und die Erbsen ganz vorzüglich!«

Spricht die Spätzin: »Teurer Mann,
Denken wir der neuen Pflichten,
Fangen wir noch heute an,
Uns ein Nestchen einzurichten!«

Spricht der Spatz: »Das Nesterbau’n,
Eierbrüten, Junge füttern
Und dem Mann den Kopf zu krau’n –
Liegt den Weibern ob und Müttern.«

Spricht die Spätzin: »Du Barbar!
Soll ich bei der Arbeit schwitzen,
Und du willst nur immerdar
Zwitschern und herumstibitzen?«

Spricht der Spatz: »Ich will dich hier
Mit zwei Worten kurz berichten:
Für den Spatz ist das Pläsir,
Für die Spätzin sind die Pflichten!

Karl August Mayer, 1904

Samstag, 23. Juni 2012

Sperling und Taube


Ein loser Sperling sprach zu einer frommen Taube,
Als wär's sein rechter Ernst: Frau Nachbarin, ich glaube,
Gott schuf den Menschen uns zu unserm Dienst – Er streut,
Und zwar mit aller Freundlichkeit,
Uns unser Futter alle Morgen
Vor unsern Schnabel! – Nahrungssorgen
Hat Er: und wir, wir Kinder der Natur,
Wir essen, und wir lieben nur!

Mit nichten, sagte da die Taube,
Das Futter streut der Mensch nicht dir;
Er streut es meinem Mann und mir!
Ja, mir allein, und meinem Mann!
Du bist ein Dieb, du lebst vom Raube.
Dein Glaub' ist falscher Glaube,
Den ich an dir nicht leiden kann!

Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Ausgewählte Werke, Leipzig 1885

Freitag, 22. Juni 2012

Sperling und Pferd

Sperling
Pferdchen, du hast die Krippe voll;
gibst mir wohl auch einen kleinen Zoll,
ein einziges Körnlein oder zwei;
du wirst noch immer satt dabei.
Pferdchen
Nimm, kecker Vogel, nur immer hin,
genug ist für mich und dich darin.

Und sie aßen zusammen, die zwei,
litt keiner Mangel und Not dabei.
Und als dann der Sommer kam so warm,
da kam auch manch böser Fliegenschwarm;
doch der Sperling fing hundert auf einmal,
da hatte das Pferd nicht Not und Qual.

Wilhelm Hey

Donnerstag, 21. Juni 2012

Der alte Sperling


»Schämt Ihr Euch nicht«, rief ein alter Sperling seinen Jungen zu, die mit muntern Weibchen tändelten und kosten, »fühlt Ihr nicht, dass dieses unanständig und erniedrigend ist; Ihr verschmäht die Weisheit, die unsre Seele zu den Unsterblichen hebt.« - »Bleib du bei deiner Weisheit«, riefen ihm die losen Jungen zu, »und lass uns jetzt genießen; wenn wir so alt sind als du, so wollen wir auch aus Unvermögen uns zur Weisheit begeben und über Liebe und Freuden philosophieren.«

Novalis

Mittwoch, 20. Juni 2012

Der Sperling und der Dichter


Ein Sperling saß auf einem Dach,
Und hörte meine Stubenlerche singen;
Und lauschte, lauschte; sang ihr nach;
Allein es wollt' ihm nicht gelingen,
Er traf nicht einen rechten Ton!

So, dacht' ich, lern' ich auch nicht singen,
Wie ein Anakreon!

Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Ausgewählte Werke, Leipzig 1885

Dienstag, 19. Juni 2012

Der Sperling und seine vier Kinder


Ein Sperling hatte vier Junge in einem Schwalbennest. Wie sie nun flück sind, stoßen böse Buben das Nest ein, sie kommen aber alle glücklich in Windbraus davon. Nun ist dem Alten leid, weil seine Söhne in die Welt kommen, daß er sie nicht vor allerlei Gefahr erst verwarnet, und ihnen gute Lehren fürgesagt habe.

Aufn Herbst kommen in einem Weizenacker viel Sperlinge zusammen, allda trifft der Alte seine vier Jungen an, die führt er voll Freuden mit sich heim. »Ach, meine lieben Söhne, was habt ihr mir den Sommer über Sorge gemacht, dieweil ihr ohne meine Lehre in Winde kamet; höret meine Worte und folget eurem Vater und sehet euch wohl vor: kleine Vöglein haben große Gefährlichkeit auszustehen!« Darauf fragte er den ältern wo er sich den Sommer über aufgehalten und wie er sich ernähret hätte. »Ich habe mich in den Gärten gehalten, Räuplein und Würmlein gesucht, bis die Kirschen reif wurden.« »Ach, mein Sohn,« sagte der Vater, »die Schnabelweid ist nicht bös, aber es ist große Gefahr dabei, darum habe fortan deiner wohl Acht, und sonderlich wenn Leut in Gärten umher gehn, die lange grüne Stangen tragen, die inwendig hohl sind und oben ein Löchlein haben.« »Ja, mein Vater, wenn dann ein grün Blättlein aufs Löchlein mit Wachs geklebt wäre?« spricht der Sohn. »Wo hast du das gesehen?« »In eines Kaufmanns Garten“ sagte der Junge. „O mein Sohn,« spricht der Vater, »Kaufleut, geschwinde Leut! bist du um die Weltkinder gewesen, so hast du Weltgeschmeidigkeit genug gelernt, siehe und brauchs nur recht wohl und trau dir nicht zu viel.«

Darauf befragt er den andern »Wo hast du dein Wesen gehabt?« »Zu Hofe« spricht der Sohn. »Sperling und alberne Vöglein dienen nicht an diesem Ort, da viel Gold, Sammet, Seiden, Wehr, Harnisch, Sperber, Kautzen und Blaufüß sind, halt dich zum Roßstall, da man den Hafer schwingt, oder wo man drischet, so kann dirs Glück mit gutem Fried auch dein täglich Körnlein bescheeren.« »Ja, Vater,« sagte dieser Sohn, »wenn aber die Stalljungen Hebritzen machen und ihre Maschen und Schlingen ins Stroh binden, da bleibt auch mancher behenken.« »Wo hast du das gesehen?« sagte der Alte. »Zu Hof, beim Roßbuben.« »O, mein Sohn, Hofbuben, böse Buben! bist du zu Hof und um die Herren gewesen und hast keine Federn da gelassen, so hast du ziemlich gelernet und wirst dich in der Welt wohl wissen auszureißen, doch siehe dich um und auf; die Wölfe fressen auch oft die gescheidten Hündlein.«

Der Vater nimmt den dritten auch vor sich, »wo hast du dein Heil versucht?« »Auf den Fahrwegen und Landstraßen hab ich Kübel und Seil eingeworfen und da bisweilen ein Körnlein oder Gräuplein angetroffen.« »Dies ist ja,“ sagt der Vater, „eine feine Nahrung, aber merk gleich wohl auf die Schanz und siehe fleißig auf, sonderlich wenn sich einer bücket und einen Stein aufheben will, da ist dir nicht lang zu bleiben.« »Wahr ists,« sagt der Sohn, »wenn aber einer zuvor einen Wand- oder Handstein im Busen oder Tasche trüge?« »Wo hast du dies gesehn?« »Bei den Bergleuten, lieber Vater, wenn sie ausfahren, führen sie gemeinlich Handsteine bei sich.« »Bergleut, Werkleut, anschlägige Leut! bist du um Bergburschen gewesen, so hast du etwas gesehen und erfahren.

Fahr hin und nimm deiner Sachen gleichwohl gut Acht,
Bergbuben haben manchen Sperling mit Kobold umbracht.«

Endlich kommt der Vater an jüngsten Sohn. »Du, mein liebes Gackennestle, du warst allzeit der alberst und schwächest, bleib du bei mir, die Welt hat viel grober und böser Vögel, die krumme Schnäbel und lange Krallen haben und nur auf arme Vöglein lauern und sie verschlucken: halt dich zu deinesgleichen und lies die Spinnlein und Räuplein von den Bäumen oder Häuslein, so bleibst du lang zufrieden.« »Du, mein lieber Vater, wer sich nährt ohn andrer Leut Schaden, der kommt lang hin, und kein Sperber, Habicht, Aar oder Weih wird ihm nicht schaden, wenn er zumal sich und seine ehrliche Nahrung dem lieben Gott all Abend und Morgen treulich befiehlt, welcher aller Wald- und Dorfvöglein Schöpfer und Erhalter ist, der auch der jungen Räblein Geschrei und Gebet höret, denn ohne seinen Willen fällt auch kein Sperling oder Schneekünglein auf die Erde.« »Wo hast du dies gelernt?« Antwortet der Sohn »wie mich der große Windbraus von dir wegriß, kam ich in eine Kirche, da las ich den Sommer die Fliegen und Spinnen von den Fenstern ab und hörte diese Sprüch predigen, da hat mich der Vater aller Sperlinge den Sommer über ernährt und behütet vor allem Unglück und grimmigen Vögeln.« »Traun! mein lieber Sohn, fleuchst du in die Kirchen und hilfest Spinnen und die sumsenden Fliegen aufräumen und zirpst zu Gott wie die jungen Räblein und befiehlst dich dem ewigen Schöpfer, so wirst du wohl bleiben, und wenn die ganze Welt voll wilder tückischer Vögel wäre.

Denn wer dem Herrn befiehlt seine Sach,
schweigt, leidet, wartet, betet, braucht Glimpf, thut gemach,
bewahrt Glaub und gut Gewissen rein,
dem will Gott Schutz und Helfer sein.«

Brüder Grimm, 7. Auflage 1857

Aus Schuppii Schriften (Fabelhans. S. 837. 38. Wackernagels Lesebuch 2, 210), steht aber früher schon im Froschmeuseler (Magdeb. 1595 A. a. V.). Weitere Nachweisungen verwandter Sagen in der Abhandlung über Thierfabeln bei den Meistergesängen (Berlin 1855).

Anmerkungen der Brüder Grimm

Montag, 18. Juni 2012

Ich bin ein Mann (Fortsetzung)


Die Ämselinnen hockten zusammen auf einem Baum und zwitscherten.
Als sie den Kater vorbei schleichen sahen, riefen sie: »Auf ihn mit Gebrüll!«
Kein Kater war mehr zu sehen. Dafür stoben aus dem Busch Hunderte Sperlingsfedern in die Luft.

Sonntag, 17. Juni 2012

Ich bin ein Mann


Die Sperlinge flogen zusammen und zwitscherten unter sich voll Prahlen: »Ich bin ein Mann! Ich bin ein Mann!«
Als sie aber den Kater heranschleichen sahen, schrien alle auf: »Männer, kriechen wir ins Weidengebüsch!« Und kein Mann war mehr zu sehen.

Anonymer Verfasser

Samstag, 16. Juni 2012

Die Einbildung des Stolzes



Die Sperlinge wurden aus einer alten Kirche vertrieben, die man niederriß. Eine neue Kirche, prächtig und hoch in der Form eines Tempels, ward auf die Stelle gebauet.

Itzt kamen die Sperlinge wieder und sagten: Die Menschen haben für uns nach unserm Wunsch gebauet. Sehet, welch ein grosses Gebäude, wie bequeme, daß wir unsere Wohnungen unter seinem Dach aufrichten!


Lessingische, unäsopische Fabeln
Enthaltend die sinnreichen Einfälle und weisen Sprüche der Thiere
Nebst damit einschlagender Untersuchung der Abhandlung Herrn Lessings von der Kunst Fabeln zu verfertigen
Zweyte Auflage
Zürich, bey Orell, Geßner und Comp. 1767

Mittwoch, 13. Juni 2012

Sperling und Kanarienvogel


Ein Kanarienvogel, der nie die Freiheit gekannt hatte, führte bei reichlichem Futter in seinem Vogelbauer ein sorgenfreies Leben.
Eines Tages stand sein Bauer am offenen Fenster und ein hungriger Sperling ersah die günstige Gelegenheit sich zwischen den Gitterstäben ein paar leckere Körner herauszustibitzen.
„Pfui, schäm dich!“ piepste der wohlgenährte Gelbrock den hungrigen Gast an. „So aller Tugend vergessen zu stehen wie ein gemeiner Dieb! Sieh mich an!“ fuhr er selbstgerecht fort. „Ich habe in meinem ganzen Leben noch kein Körnlein aufgepickt, das nicht für mich bestimmt war.“
„Es ist wahr“, versetzte der Sperling, „deine Tugend ist musterhaft, aber nur“, fügte er hinzu, „weil sie nie in Versuchung kam.“

Felix Fechenbach

Donnerstag, 7. Juni 2012

Ellorans Traum

Francis G. Hill aka Susanne Gerdom hat ihren ersten Roman, der im Jahr 2000 bei Heyne erschien und schon lange vergriffen ist, inzwischen als kindle-eBook wiederveröffentlicht. Simone Keil hat einen fabelhaften Trailer dazu gemacht.

Fabelhafte Federwelt

In der aktuellen Ausgabe der Federwelt – Zeitschrift für Autorinnen und Autoren – (Nr. 94 Juni/Juli 2012) werden die 42er Autoren mit einigen Prosatexten vorgestellt: Sie sind hier zu finden.

Mittwoch, 6. Juni 2012

Vogel Greif


Mein Flieger, mein kühner, wo gehts heut hin? 
»Hoch über die Wolken, schöne Gönnerin;
höher als höchste Alpenspitzen
soll mein Fahrzeug durchs Weltblau blitzen.«
        Vogel Greif heißt dein Fahrzeug? »Vogel Greif;
        heut soll er den Sieg mir greifen.«

Du kühner, du stolzer, dann nimm mich mit!
Und sie sprang in den Sitz mit straffem Schritt.
Nur an ihrer Brust das Blumensträußchen
zitterte wie ein gefangnes Mäuschen,
        als sie sich lachend den Wetterpelz
        um die schlanken Hüften legte.

»Du kühne, du schöne, wirf weg den Strauß!
leicht fliegt ein Blumenblättchen heraus;
ein einziges Blättchen ins Flugwerk verschlagen
kostet uns beiden Kopf und Kragen.«
        Und während der Vogel Greif knatternd stieg,
        kobolzte der Strauß in ein Kornfeld.

Viertausend Meter stieg er und mehr,
eisig kreiste das Weltblau um sie her;
aus stürzenden Wolken in sausendem Bogen
stiegen sie lachend, lachend, und flogen,
        bis die Erde ein fernes Fabelland war,
        Vogel Greif - da stockte das Flugwerk.

Da stockte das Lachen; nur's Steuer noch klang,
schrill das Steuer im Gleitflug-Sturmgesang.
Durch sausende Wolken in stürzendem Bogen
glitten sie keuchend, keuchend, und flogen,
        bis die Erde schon fast wieder Erde war:
        »Vogel, greif!« Da knackte das Steuer.

Wie vor zwanzig Minuten der Blumenstrauß
kobolzten sie aus dem Wrack hinaus,
hinaus, umklammert in wirbelndem Kreise
mit fliegenden Haaren zur letzten Reise;
        du kühner! du kühne! klangs geisterleise
        auf ins eisige Weltblau.

Und als man sie fand, er atmete noch,
im Todesfiebertraum sah er hoch,
hoch über die Wolken und hauchte: siegen -
morgen werden wir höher fliegen -
        morgen -
        höher - -

Richard Dehmel, 1863 - 1920
aus: Schöne wilde Welt, 1. Auflage 1913

Montag, 4. Juni 2012

Mir war's ganz seltsam …


Mir war's ganz seltsam als ich so unter dem Tohr der drey Kronen stund als es anfing zu tagen. Recht wie vom Vogel Greif in eine fremde Welt unter alle die Sterne und Kreuze hinunter geführt, und dadrein so mit ganz offnem Herzen herumgewebt und auf einmal alles verschwunden.

Johann Wolfgang von Goethe
in einem Brief an Carl Ludwig von Knebel