Ein Kanarienvogel, der nie die Freiheit gekannt hatte, führte bei reichlichem Futter in seinem Vogelbauer ein sorgenfreies Leben.
Eines Tages stand sein Bauer am offenen Fenster und ein hungriger Sperling ersah die günstige Gelegenheit sich zwischen den Gitterstäben ein paar leckere Körner herauszustibitzen.
„Pfui, schäm dich!“ piepste der wohlgenährte Gelbrock den hungrigen Gast an. „So aller Tugend vergessen zu stehen wie ein gemeiner Dieb! Sieh mich an!“ fuhr er selbstgerecht fort. „Ich habe in meinem ganzen Leben noch kein Körnlein aufgepickt, das nicht für mich bestimmt war.“
„Es ist wahr“, versetzte der Sperling, „deine Tugend ist musterhaft, aber nur“, fügte er hinzu, „weil sie nie in Versuchung kam.“
Felix Fechenbach
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