Mittwoch, 31. August 2011

Das Unicornium, belangend …

Erin Stevenson O'Connor
Das Bild steht unter der  GNU-Lizenz für freie Dokumentation
Bildquelle: Wikipedia

Das Einhorn / Unicornium, belangend / so schreiben die Authores, Plinius, Aristoteles, Ælianus und Philostratus so unterschiedlich darvon (wie zu sehen ist in dem Thier-Buch D. Gesneri Teutscher Version fol. 36.) daß es hart ist / etwas gewisses zu berichten /ausser daß dieses ein grimmiges / schnell- und starckes Thier seye / gelblechter Farb / in der Grösse und Gestalt einem Pferdt nicht vil ungleich / ausgenommen / daß es an seinen Füssen unterhalb gespaltne Klauen habe.

Das merckwürdigiste / und in der Artzney das kostbariste ist an diesem Thier das bey 2. oder 3. Elen lange / starcke und spitzige Horn / welches an seiner Stirn gerad hinauß gehet / deßwegen es auch Einhorn genennt wird. Wann es mit dem Elephanten streiten will / da wetzt es zuvor das Horn an einem Felsen /und schaut / daß es ihme den Bauch / welcher weich ist / darmit durchsteche und aufreisse; wann es aber fehlt / da wird er von ihm zerrissen.

Das Einhorn soll sich befinden in Mohrenland /auch Indien und Arabien. Wann es über 2. Jahr alt ist / lasset es sich nicht mehr fangen (wohl aber wann es jung ist) sondern er zerreißt alles / und lasset sich ehender umbringen / als fangen oder zahm machen /und förchtet keine Waffen: massen in H. Schrifft geschrieben stehet: Meinest du / das Einhorn werde dir dienen / und werde bleiben an deiner Krippen stehen.

Willibald Kobolt
Die Groß- und Kleine Welt
Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...].
Augsburg 1738
 

Dienstag, 30. August 2011

Unter den vierfüßigen Thieren …

Trifoni di Petrarca
Bildquelle: Wikipedia


Was Felix Maurer in Observat Curioso-Physicar. Part. II. pag. 450. von dem Einhorn sowohl angemerckt, wollen wir theils anhero fügen. Unter den vierfüßigen Thieren (schreibt er) kommen wir zu dem viel-berühmten Einhorn / welches auch sonderlich hoch zu achten, weil die Heil. Schrifft desselben Meldung thuet, auch zu vielen Dingen, ja zu GOtt und Menschen vergleichet: Kein Autor, so dieses Thiers gedenckt, berichtet von seiner Geburt und Land, sondern verbleiben nur bey dessen berühmten Tugenden, mit Uberlassung des Geheimnisses seiner Ankunfft denen, welche frembde Länder durchreiset, und sich derer erkundiget haben.
Daß das Einhorn nicht mit dem Thier Abada zu confundiren, wie gemeiniglich zu geschehen pfleget, erhellet aus den unterschiedlichen Nahmen, indem eines Rhinoceros, das ander aber Einhorn genennet wird, welche beyde Nahmen dem einen Thier nicht zugleich zu geben seyn, sonderlich, weil auch solche Thier am Leib und Gliedmassen mercklich unterschieden seyn, wie in dem bekannten Abada und gemahlten Einhorn klärlich zu sehen: Dieses hat ein langes und gerades Horn, von fürtrefflicher Würckung, das Rhinoceros oder Abada hat derer zwey, etwas gebogen, und nicht so träfftig, wiewohl es auch wider das Gifft gebrauchet wird

Johann Jacob Bräuner:
Physicalisch= und Historisch= Erörterte Curiositaeten
Frankfurth am Mayn 1737
 

Montag, 29. August 2011

Christof Stählin: Das Einhorn

1978 erhielt der deutsche Liedermacher, Musiker und Kabarettist Christof Stählin für seine Langspielplatte »Das Einhorn« den deutschen Schallplattenpreis. Die CD ist auch heute noch hörenswert und über den Künstler kann sie nach wie vor bezogen werden.

Sonntag, 28. August 2011

Das Einhorn und der Bischof


Eines Tages begegneten sich das Einhorn und der Bischof. Das Einhorn ging eine Weile neben dem Bischof her.
“Wie geht’s” fragte der Bischof höflich.
“Nicht gut”, sagte das Einhorn.
“Wie kommt’s?” fragte der Bischof erstaunt.
“Die Menschen erkennen mich nicht mehr”, antwortete das Einhorn traurig. “Wenn sie mich überhaupt sehen, versuchen sie mich zu jagen, weil sie sich wer weiß was vorstellen, was sie mit mir und meinem Horn anfangen können. Und Jungfrauen gibt es ja auch fast nicht mehr.”
“Ja, da hilft kein Predigen mehr”, schimpfte der Bischof. “Die Unzucht hat die Herrschaft über die Welt bekommen.”
“Aber warum ich so in Vergessenheit geraten bin, das verstehe ich nicht”, sagte das Einhorn.
“Das ist kein Wunder”, erklärte der Bischof. “An dich muss man nicht glauben, dich kann man ja sehen - wenn man will. Alles aber, was die Menschen sehen können, ist ihnen nicht geheimnisvoll genug.”

“Meinst du?” fragte das Einhorn und überlegte, ob es sich besser gänzlich unsichtbar machen solle.
“Aber der eigentliche Grund liegt wohl darin, dass du über die Menschen keine Macht ausüben willst. Da haben sie keine Ehrfurcht vor dir. Sieh mich an, mich fürchten die Menschen. Ich sorge schon dafür, dass sie keine Ruhe finden, denn ich drohe Ihnen mit dem, was sie nach dem Tod erwartet. Sie fallen deshalb reihenweise vor mir auf die Knie und ich kann ihnen erzählen, was ich will - sie glauben mir alles, gerade, weil sie es nicht sehen können.”
“Und das gefällt dir? Macht über die Menschen auszuüben?”
“Aber ja!” rief der Bischof. “Das ist ein herrliches Gefühl zu sehen, wie sie den Nacken beugen, weil ich das so will.”
Da beschloss das Einhorn, ein für alle Mal aus dem Leben der Menschen zu verschwinden. Es wollte geliebt und geschätzt, möglicherweise auch ein wenig bewundert werden. Keinesfalls aber wollte es, dass die Menschen sich vor ihm fürchten. Und Macht über sie bekommen mochte es auch nicht.
Seit es aber verschwunden ist, möchten die Menschen wieder an das Einhorn glauben.


Horst-Dieter Radke
Mehr vom Verschwinden des Einhorns gibt es hier.


Samstag, 27. August 2011

Anakreontisch

Wladyslaw Skoczylas (1883-1934)
Bildquelle: Wikipedia

Die Natur hat jedes thier
mit sonderbarer gab und zier
sorgfältiglich so wol versehen,
daß ihrer jedes mag, billich
vernüget, dessen rühmen sich
und neben andern wol bestehen.
Ein horn dem einhorn auf das hirn,
dem stier zwei hörner auf die stirn,
dem hirsch ist ein geweih gesetzet;
die vögel hat sie durch den flug
und die füchs mit list und betrug
zu ihrer sicherheit ergetzet.
Der fisch kan schwimmen, und das pferd
ist wegen guten hufs mehr wert,
die löwen haben zähn und klauen,
das laufen ist der hasen pfand,
der man hat götlichen verstand;
was haben dan die zarte frauen?
Die frauen seind mit der lieb pracht
und mit der schönheit höchsten macht
so unvermeidenlich gezieret,
daß ihr holdselige gestalt
allein regierend, ohn gewalt,
über die herzen triumfieret.
Georg Rodolf Weckherlin
aus: Gedichte, Leipzig 1873


Montag, 22. August 2011

Die Gründung des Klosters Holzkirchen

Bildquelle: Wikipedia


In alter Zeit war der einzige Sohn des Edelmanns im untern Schlosse zu Remmlingen auf die Jagd gegangen und lange nicht nach Hause zurückgekehrt. Da sandte sein Vater allenthalben hin Leute, ihn zu suchen, und er selbst ritt aus, gelobend, da ein Kloster zu bauen, wo sein Sohn, lebend oder todt, wiedergefunden würde. In einem wilden Waldthale fanden sie endlich den Jüngling, von einem Einhorn durchbohrt, das, von seinem Pfeile getroffen, todt neben ihm lag. Seinem Gelübde treu, stiftete der Edelmann an dem Ort ein Benediktinerkloster und nannte es Holzkirchen, weil das Michelskirchlein, das auf der Höhe zuerst gebaut wurde, ganz von Holz war. Außen an der Klosterkirche ist noch jetzt ein Steinbild, welches den Edelmann zu Pferd, dessen Frau und ihren Sohn mit dem Einhorne vorstellt.

Bernhard Baader
Volkssagen aus dem Lande Baden
und den angrenzenden Gegenden
Band 1, Karlsruhe 185

America - The Last Unicorn

Sonntag, 21. August 2011

O schandlicher Unfrid!

Hans Baldung (Grien)
Bildquelle: Zeno.org
Sonsten soll es gewiß seyn / daß das Einhorn ein von Natur keusches Thier seye / also / daß sich das Männlein des Weibleins nicht annemme / als in der Brunst / ausser welcher sie nichts miteinander zu thun haben: ja sie führen immerdar Streit / und verfolgen /ja bringen einander um: und indem sie sonst mit anderen Thieren / neben denen sie waiden / mild und freundlich seynd / so wollen sie doch ihres gleichen nicht gedulten: Daher kommt es / daß es gar wenig dieser Thieren gibt / weil sie durch ihre Uneinigkeit immerdar einander selbst zu Grund richten.

Meines Erachtens können deßwegen die unfriedliche Eheleuth füglich mit den Einhörneren verglichen werden: dann auch diese seynd niemahl fridsam und einig / als wann es ihnen um den fleischlichen Wollust zu thun ist: sonsten kommen sie nicht zusammen / das eine gehet da / das andere dort hinaus / und mögen einander kaum anschauen. Ja sie streiten wider einander / als wie die Einhorn / und verstossen sich also / daß offt das Weib blaue Augen / und der Mann ein verkrätztes Gesicht darvon traget / mithin kürtzen sie einander das Leben ab. Man schreibt von dem Einhorn / es habe ein erschröcklich- und grausame Stimm / die keines anderen Thiers Geschrey gleich seye. Auch ein böses Weib und toller Mann / wann sie hefftig mit einander zancken / haben ein grausame Stimm / das ist / sie hencken einander erschröckliche Schimpff- und Schmäh-Wort / ja so ärgerliche Lästerungen an / dergleichen sonst nicht leicht zu hören seynd. O schandlicher Unfrid!


Willibald Kobolt
aus: Die Groß- und Kleine Welt
Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß
zum Lust und Nutzen vorgestellt
Augsburg 1738

Samstag, 20. August 2011

Das Einhorn

Dame mit Einhorn
Barbara Longhi (1552 - 1638)
Bildquelle: Wikipedia

Am 22. September des Jahres 1659 haben die Schanzenarbeiter vor dem Bockenheimer Thore am Fundamente der äußersten Stadtgrabenmauer gearbeitet und dort ein Einhorn, fünf Werkschuhe lang, etliche Klafter tief in der Erde ausgegraben, allein da sie aus Unverstand nicht gewußt, was solches für ein Horn gewesen, haben sie solches mit Hämmern und Pickeln zerhauen, da dann ein Jeder ein Stücklein davon haben wollen und ist in Folge davon dieses schöne Stück zertheilt und gleichsam vernichtet worden. Die Herrn Medici und Materialisten haben etliche solche Stücke probirt und für köstlich befunden und darum haben auch die Apotheker wahrscheinlich solche von den Arbeitern um theures Geld gekauft. Vermuthlich hat auch die Frankfurter Apotheke »zum Einhorn« ihren Namen davon bekommen.

Johann Georg Theodor
Sagenbuch des preußischen Staates
Zweiter Band, Frankfurt und Umgegend 1779

Freitag, 19. August 2011

O dieses ist das Tier, das es nicht giebt …

Bildquelle: Wikipedia


O dieses ist das Tier, das es nicht giebt.
Sie wußtens nicht und habens jeden Falls
– sein Wandeln, seine Haltung, seinen Hals,
bis in des stillen Blickes Licht – geliebt.
Zwar war es nicht. Doch weil sie's liebten, ward
ein reines Tier. Sie ließen immer Raum.
Und in dem Raume, klar und ausgespart,
erhob es leicht sein Haupt und brauchte kaum
zu sein. Sie nährten es mit keinem Korn,
nur immer mit der Möglichkeit, es sei.
Und die gab solche Stärke an das Tier,
daß es aus sich ein Stirnhorn trieb. Ein Horn.
Zu einer Jungfrau kam es weiß herbei –
und war im Silber-Spiegel und in ihr.

Rainer Maria Rilke
aus: Die Sonette an Orpheus

Donnerstag, 18. August 2011

Das muthige und listige Schneiderlein


Bildquelle: Wikipedia

Die Großmutter nickte dem Kinde, nachdem es geendigt, Beifall zu. Nun trat Fritz auf den Plan, und erzählte lebhaft in Ton und Gebärde:

Wer kennt nicht die Geschichte vom Schneiderlein, der Sieben auf Einen Schlag getödtet hat? Es sind dieß bekanntlich zwar nur sieben Fliegen gewesen; aber der Schlag hat doch gegolten; und der Streich weckte seinen Heldenmuth, daß er beschloß, auf Abenteuer auszugehen, und sich irgend eine Königstochter zu erobern. Darum machte er sich alsogleich einen Harnisch aus Goldpapier, und schrieb darauf mit großen Buchstaben: Sieben auf Einen Schlag, und ging fort, in die weite Welt hinaus, Helden-Abenteuer aufzusuchen und, so Gott will! auch muthig und glücklich zu bestehen. Nun wissen wir alle, wie das Männlein an den Hof eines Königs gekommen, und dort um die Hand der Königstochter geworben; und wie er den Bären geschraubt und gefangen, und das Wildschwein und das Einhorn getödtet hat; was ihm denn alles auferlegt worden zur Probe seines Heldenmuths und ritterlichen Sinnes …

Ludwig Aurbacher
Ein Büchlein für die Jugend
Stuttgart/Tübingen/München 1834, S. 174-180


Mittwoch, 17. August 2011

Einhorn

Deutsches Freimaurermuseum Bayreuth
Bildquelle: Wikipedia

Es wird viel erzehlet, und noch mehr gehalten vom Horn eines Einhorns / und dessen kräfftiger Wirckung wider den Gifft; Werden auch an unterschiedlichen Orten gantze Hörner davon gezeiget / als zu S. Denis in der Kirchen / nahe bey Pariß in Franckreich: Zu Venedig und anderswo. Zwar diese Hörner sind wohl von lebendigen Thieren / als Wallfischen oder sonsten: Aber ein wahrhafftiges Einhorn / wie es beschrieben wird und abgebildet / ist noch zur Zeit von keinem Menschen gesehen / und hat sich keiner gefunden / der es kennet. Heute zu Tage ist die Welt so bekannt und durchreiset / daß schier kein Winckel /da man nicht ist hinkommen; Ist aber noch keiner gefunden / der das Thier Einhorn an einem Ort gesehen oder etwas gewisses davon hätte vernehmen können. Der erste / so dieses Thiers gedencket / ist gewesen der Cresias, welchen Aristoteles öffentlich einen Lügner heisset. Andere / so auch davon geschrieben /sagen allzeit davon / wie man saget oder fürgiebt: Haltens also für ein ungewiß Ding. Der eine schreibet / es sey gleich einem wilden Pferde: Der ander / es sey ein Esel: Dieser / es habe Füsse wie ein Pferd. Jener /es habe gespaltene Füsse / wie die Ziegen. Die Hörner / so gezeiget werden / seyn auch nicht einerley Art und Gestalt. Und noch viel weniger befindet sich solche Krafft und Wirckung / als man ihm zuschreibet. In der H. Schrifft wird zwar etlichmal des Einhorns gedacht / ist aber viel ein anders als diß Thier / welches aus der Beschreibung klärlich zu ersehen:

Was nicht in der Natur ist / können Mahler und Poeten auf ihre Art darein machen: Die setzen dem Pferde Flügel an (als Pegaso) Hörner vorn am Kopff (als dem Einhorn) wie es ihnen nur beliebet.

Lauremberg, Peter
Neue und vermehrte Acerra philologica
Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige
Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen
und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...]
Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 502-503


Sonntag, 14. August 2011

Der Versemacher


Ich mache doch immer Verse, sagte Lucill, und doch hält man mich für keinen Poeten.
Und dieß mit Rechte, antwortete Seladon; denn du reimest nur, und dichtest nicht.

Heinrich Braun
Versuch in prosaischen Fabeln und Erzählungen
München 1772
zu finden bey Joahnn Nepomuk Fritz,
und Augspurg bey Iganz Anton Wagner, Buchhändlern.

Samstag, 13. August 2011

Fabelhaft: Deutschland skurrilstes Literaturstipendium

Welcher Autor träumt nicht davon, einmal in aller Ruhe und völlig ungestört an einem inspirierenden, idyllischen Ort an seinem Projekt zu arbeiten? Genau das bietet das erstmals für 2012 ausgeschriebene Residenzstipendium »42 Tage Putlitz«.

Einsendeschluss für den Kurzgeschichtenwettbewerb Putlitzer Preis 2012 ist übrigens auch der 30.9.2011

Freitag, 12. August 2011

Sein und Schein

Unter Menschen ist es immer so gewesen, daß Rang und Stellung erst beweiskräftig machen, wieviel an einem Mann ist. Einst drehte sich das Gespräch um den Wert sicherer Anstellungen und im Zusammenhang damit um Rangordnungen und Titel. Ein tüchtiger und kluger Mann, der weder großes Vermögen noch ehrende Titulaturen besaß, wurde gefragt; »Wie geht es doch zu, daß Sie nicht auch etwas werden?«
Die unerwartete Antwort lautete: »Man scheint zu wissen, daß ich schon etwas bin.«

W.Rol.
in: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens
6. Band / Jahrgang 1926, S. 203

Mittwoch, 10. August 2011

Die Moosrose

Rosa 'Jeanne de Montfort'
Bildquelle: Wikipedia

Freundlich und mild begrüßte Aurora den werdenden Tag: muntre Vögel entflatterten singend ihrem schützenden Neste; des Ostes kühlender Hauch durchbebte Bäume und Blumen, und der Engel der Blumen, der unter dem schirmenden Strauche einer lieblichen Rose sanft geruht hatte, sprach zu dem in Perlen des Frühthaus glänzenden Strauche: Für deinen erquickenden Schutz magst du dir etwas von mir erbitten! Schmücke mich mit neuem Reiz, flehte der Geist des Strauchs, und die Rose ward mit einfachem Moose geschmückt. In diesem bescheidenen Schmucke blüht nun die Moosrose als die reizendste ihres Geschlechts.

Iris, Unterhaltungsblatt für Freunde des Schönen u. Nützlichen
Nro. 130, Samstag, 1. Juli 1826

Dienstag, 9. August 2011

Werwölfe in der Heide

Lucas Cranach
(Bildquelle: Wikipedia)

In Lachendorf hatte ein Bauer einen Knecht; der lag mit einem andern Knecht auf der Wiese hinterm Busch, und sie hielten Mittagsruhe. Da schlief der zweite Knecht beinahe ein, aber er blinzelte doch mit den Augen und sah, wie der andre Knecht einen ledernen Gürtel umtat und sich in einen Werwolf verwandelte, darauf fortlief, ein junges Füllen, das unten auf der Wiese graste, anfiel und fraß mit Haut und Haar. Wie er nun zurückkam, legte er sich neben den andern Knecht, der noch tat, als wenn er schliefe. Wie die Zeit um war, standen sie beide auf und mähten bis es Abend war. Darauf gingen sie zusammen nach Lachendorf, und unterwegs sagte der eine Knecht zum Werwolf: ich möchte mich doch nicht an lebendigem Pferde satt fressen. – Das hättest du draußen nicht sagen sollen, es wäre dir übel ergangen, sagte der Werwolfsknecht. Ein andermal stand der Knecht wieder von der Mittagsruhe auf, tat seinen Gürtel um und lief davon, aber da verfolgten ihn die Knechte, hetzten die Hunde auf ihn und schlugen ihn tot, weil er ein Werwolf war.
Die Menschen verwandeln sich in Werwölfe, indem sie einen Gürtel umlegen, und dann stehlen sie den Leuten allerlei. Den Knechten, die Korn auf dem Rücken tragen, nehmen sie das Korn ab. Ruft man einen Werwolf bei seinem menschlichen Namen, wenn man ihn nämlich weiß, so muß er so lange laufen, bis er umkommt.
 
Sage aus Niedersachsen

Sonntag, 7. August 2011

Es ist einfach fabelhaft …

… ich habe es geschafft, mal wieder meine Homepage zu überarbeiten und auf Stand zu bringen.

:-)

Horst-Dieter Radke

Samstag, 6. August 2011

Die Luft und der Erdboden


Die Luft rühmte sich gegen die Erde, wegen ihres höhern Platzes und wegen ihrer thätigen Geschwindigkeit, da diese hingegen in steter Trägheit unbeweglich ruhe. *)

»Nicht iede Geschwindigkeit, antwortete diese, ist thätig; und nicht iede Unbeweglichkeit träge. Ich bringe Kräuter, Thiere, Menschen, Metalle, Steine, Wälder hervor; Du erhabnes, immer unruhiges Element, was hast du mir entgegen zu setzen? Ungewitter, Sturmwind, und – was ich nur zu sehr beseufze! - Erdbeben.

Friedlicher Fürst und du Ländereroberer – doch der Moralist darf wohl da die Worte sparen, wo die Sache sich von selbst ergiebt.

Fabeln nach Daniel Holzmann
weiland Bürger und Meistersänger zu Augspurg
herausgegeben von A.G. Meißner
Carlsruhe, bey Christian Gottlieb Schmieder, 1783

Freitag, 5. August 2011

Lied vom Drohnenkönig


Es war in einem Bienenstaat
ein edler Drohnenkönig -
der leckte Honig früh bis spat,
hatt' Helfer gar nicht wenig.
Er nippt herum, er nippt herum,
er machte nichts als Summ und Brumm -
der König, der war gar nicht dumm,
der feiste Drohnenkönig.

Da wurden auch die Bienen klug
und sprachen: »Edler König!
Du frißt zwar Honig grad genug,
doch schaffst du viel zuwenig.
Wir summen dir auf dein Gebrumm.
Wir pfeifen auf dein Gaudium -
wir Völker sind nicht mehr so dumm,
du fauler Drohnenkönig!«

Die Bienen spießten kurz und gut
den edlen Drohnenkönig,
verzehrten ihren Zuckerhut
und hatten nicht zuwenig.
Sie brachten all' die Sippschaft um;
da half kein Summ, da half kein Brumm -
die hatten halt kein Christentum,
du armer Drohnenkönig! 

Pierre Lachambeaudie
ins Deutsche übertragen von Ludwig Pfau (1863)

Mittwoch, 3. August 2011

Der Fuchs und der Drache


Ein Fuchs wühlte, indem er sich seine Grube aushöhlte, etwas tiefer; suchte aber noch mehrere und tiefere Minen, und kam denn endlich bis auf die unterste Höhle eines Drachen, der einen geheimen Schatz bewachte. »Vor allen Dingen,« sagte der Fuchs, so wie er den Drachen erblicke, »verzeihe meine Unvorsichtigkeit! Aber sodann sage mir auch, denn du siehst es leicht ein, wie schlecht sich das Geld zu meiner Lebensart reimt, was du mit dieser Mühwaltung gewinnst; und was dich dafür entschädigt, daß du des Schlummers entbehrst, und beständig in der Finsterniß lebst?«
»Nichts,« antwortete der Drache. »Jupiter übertrug mir’s.«
»Du nimmst also nichts für dich, und gibst auch niemanden etwas?«
»So ist es der Wille des Schicksals!«
»Werde nicht ungehalten über mein offenherziges Geständniß: die Götter haßten ihn von seiner Geburt an, der so lebt, wie du.«

Fabulae Aesopiae
Phädrus in deutschen Reimen
von Xaver Weinzierl
Wien und Triest, 1817

Montag, 1. August 2011

Die Maisen


Einer der Mitsklaven Aesop's hatte den Kindern seines Herrn ein gefundenes ganzes Nest mit jungen Maisen nach Haus gebracht. Die Vögelchen waren noch beinahe federlos, und die Kinder hatten ihr Vergnügen daran, ihren Zöglingen das Futter in die offenen Schnäbel zu stecken.
Endlich flogen sie aus dem Nests, und frassen selbst, als die Kinder einst in die Kammer kamen, und mit Verwunderung sahen, wie sich die Maisen unter einander über dem Futter herum zausten, und sich mit wildem Geschrei nach den Augen pickten.
»Seht doch die garstigen Vögel«, rief eines von den Kindern dem Aesop zu, »was sie für einen Krieg untereinander erhoben haben! Sollte man unter der Brut des nämlichen Nestes, eines Vaters und einer Mutter, solche Verbitterung glauben?«
»Sind in der Teilung begriffene Geschwister«, sprach Aesop. »Aber du hast recht. Es sind garstige Vögel. Musst sie fliegen lassen.«

Johann Friedrich August Kazner
(1732 - 1798)
aus: Fabeln, Epigramme und Erzählungen (1786)