Montag, 27. Dezember 2010

Weihnacht

Von seinem Heimatgrunde losgerissen
Steht der geschmückte Tannenbaum vor Dir,
Und wird für Dich zu Grunde gehen müssen
In seines Schmucks und seiner Lichter Zier.

Denn wieviel Seligkeit Du auch empfunden
In seines Glanzes märchenhafter Pracht -
Vergessen wirst Du ihn nach wenig Stunden
Und schleudern ihn zurück in seine Nacht.

Wie Du ein Herz geworfen zu den Toten,
Das, losgelöst von seinem Heimatherd,
Dir auch sein Schönstes, Süßestes geboten
Und sich in Flammenpracht für Dich verzehrt!

Denkst Du daran! Es zischen und es knistern
Die Lichter leis an Deinem Weihnachtsbaum
Wie Geister, die von alter Liebe flüstern - -
Steigt Dir im Herzen auf ein Weihnachtstraum?

A. de Nora

Freitag, 24. Dezember 2010

MMM 4 *): Hruodperahts Weigerung

Bildquelle: Wikipedia

Dann war ihm das plötzlich alles zuwider. Jahrhunderte hatte er sich mit der Rolle des zweiten begnügt, war Sack tragend und Rute schwingend hinter ihm hergelaufen, wohl aber auch oft genug neben ihm gestanden und hatte nicht selten sein »Von drauß‘ vom Walde…« sagen dürfen. Nun plötzlich flitzten abertausende rotbemäntelte Doppelgänger durch die Welt und er wurde nicht mehr gebraucht. Nur noch im Hintergrund durfte er schuften, musste Kisten füllen, auf Paletten stapeln, Säcke oder Körbe herantragen. Dann sollte er warten bis der Faulpelz vorne seine Sprüche geklopft und Geschenke verteilt hatte, so als ob der Rotbemäntelte derjenige ist, der die ganz Arbeit macht. Nun wollte er nicht mehr. Er saß in der Küche vor einem heißen Grog und reagierte auf alles Bitten, Auffordern, Schimpfen und Drohen nur noch mit Kopfschütteln. Knecht Ruprecht hatte es satt. Er streikte. Geschenke zu Weihnachten würde es dieses Jahr nicht geben.

Was für eine schöne Vorstellung.

Horst-Dieter Radke
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*) MMM = Moderne Mini-Märchen

Donnerstag, 23. Dezember 2010

Gänsebraten



„How, how, ist das heute wieder kalt“, dachte sich der Fuchs als er so im eisigen Wind über das Feld schlich. „Kalt, aber ganz hell , obwohl es doch schon Nacht ist. Das ist ganz komisch. Liegt wohl an dem großen, neuen Stern der am Himmel vor einigen Tagen aufgegangen und noch immer dort sichtbar ist.“ dachte er weiter. Seine Füße waren schon ziemlich verfroren. Aber was tut den ein Fuchs auch nachts im eisigem Wind auf einem Feld ? Na was schon ? Er sucht seine Weihnachtsgans. Füchse brauchen für ein gemütliches Fest eine Weihnachtsgans. Weihnachten ohne einen Gänsebraten, na hör mal, da kennst du die Füchse aber schlecht. So schlich der Fuchs dahin, aber nirgendwo hörte, roch oder sah er eine Gans.

„Sonderbar“ dachte er sich, sonst sind hier immer Gänse, was ist den bloß los? Ist heute Nacht alles irgendwie anders.“

Ein Fuchs ist ein schönes Tier. Sein leicht ins rötliche gehendes Fell ist weich und lang. Vorne hat er aber einen weißen Flecken. Das ärgert ihn manchmal, weil ihn die anderen so leicht im Dunkeln sehen können. Die Ohren taugen im Dunkeln besser. Der Fuchs kann gut hören und die Ohren sind ja schwarz, sehen kann er damit natürlich nicht, aber die werden auch nicht von anderen gesehen. Und riechen kann der Fuchs gut, vor allem Gänse oder Gänsebraten. Die Nase ist auch schwarz, so als wenn er sie einmal n eine Dose schwarzer Schuhcreme gesteckt hätte – bei Füchsen weiß man nie, wo die ihre Nase reinstecken. Und natürlich der Schwanz. Der ganze Stolz eines Fuchses. Rötlich wie das andere Fell mit einer weißen Spitze, schön dicht, und buschig, ein Stolz für den Fuchs. Wenn er sich schlafen legt, kann er seinen Schwanz um sich herum rollen, wie eine Decke und hält sich so schön warm. So ist das mit dem Fuchs.

*

Gar nicht weit entfernt von dem Feld, auf dem der Fuchs nach Gänse suchte, war ein Loch im Boden und das führte in die Wohnung des Dachses. Der Dachs ist schlau und läuft nicht wie der Fuchs in der eisigen Nacht herum, nein, der legt sich in sein warmes Loch und schläft den ganzen Winter über. Der neue Stern am Himmel da draußen konnte nicht sein Licht bis tief hinunter zum Dachs schicken. So wusste der nichts davon und träumte dafür etwas ganz schönes.

Der Stern war aber so hell, das alle andern Tiere sich wunderten und losgingen um zu schauen wo der Stern den so hell hinleuchtete. Alle Tiere gingen los, nur der Fuchs, der suchte noch immer seinen Gänsebraten und der Dachs lag in seiner Höhle und schlief. Als der Fuchs so dahinschlich schaute er mal wieder hoch zu diesem hellem Stern und, bautz, da übersah er doch den Eingang zu dem Dachsbau und fiel hinein. Holterdiepolter, rumpeldipum, kollerte er bis ganz nach unter. Mit einem ordentlichem Plumps landete er genau auf der Nasenspitze des Dachses. Da war aber was los. Der Dachs wachte aus seinen Träumen auf, konnte nichts sehen. Der Fuchs lag auf dem Dachs und so biss der ihn erst einmal ordentlich in den schönen Schwanz. Jaulend vor Schmerz sprang da der Fuchs auf und jagte so schnell er konnte den Gang hinauf, den er gerade heruntergefallen war. Der Dachs war nun aber schwer verärgert. Wer kann es wagen ihn in seinem Winterschlaf  zu stören? Na dem wird er aber eine Tracht Prügel geben, die der nicht vergisst. Und so jagte der Dachs hinter dem Fuchs her. Beide sprangen aus den Bau heraus aufs Feld und rannten einer hinter dem andern her.

Plötzlich standen sie vor einem Stall. Sie waren beide so verblüfft, das jeder den anderen vergaß und beide nur noch staunten. Durch die Türe sahen sie Maria und Josef an der Krippe stehen. Ein Schaf stand neben einem kleinem Esel. Ochse und Kuh schauten auf das Kind hinunter und ein anderer Esel schnaubte leise vor sich hin, damit es recht warm werde in dem Stall. Das also hatte der Stern angestrahlt. Ganz leise gingen der Dachs und der Fuchs nun hinein und schauten sich das Kind an.

Da vergaß der Fuchs seine Weihnachtsgans und der Dachs war froh das alles nicht verschlafen zu haben. Das Kind ist doch die Hauptsache an Weihnachten.

Sonntag, 19. Dezember 2010

Lautenvariationen

Bildquelle: Wikipedia

Im Kamin prasselte das Feuer und verzehrte langsam die Holzscheite. Draußen fiel der Schnee in dicken Flocken und hüllte alles, den Weg, die Bäume, die Häuser, die Gerätschaften, die draußen herum standen unter einer weißen Decke ein. In der dunklen, nur vom Kaminfeuer erhellten Stube saß der Lautenist und spielte Variationen über eine Melodie, die ihm den ganzen Tag schon durch den Kopf gegangen war. Als er inne hielt, weil ihm keine neue Variation einfiel, sagte die Frau, die still dabei gesessen hatte:
»Nun hast du alles gesagt. Lass gut sein und uns zu Bett gehen.«
Der Lautenspieler antwortete:
»Ich habe noch nicht einmal begonnen, etwas zu sagen. Alles, was ich spiele, alles, was ich komponieren sind nur Übungen, um mich dem anzunähern, was zu sagen wäre.«

Horst-Dieter Radke

Donnerstag, 16. Dezember 2010

Trumpf

Der Dichter Gleim ließ einst sich und seinen Freund, den Dichter Johann Georg Jakobi (gest. 1814) von einem Maler porträtiren. Als die Beiden in dieser Zeit einmal bei dem Domdechanten v. Spiegel zu Halberstadt zu Mittag waren, fragte dieser bei Tische: »Sie und Jacobi lassen sich malen, doch wohl in Lebensgröße?« – »Nein,« antwortete Gleim, »das ist nur für Ritter, um die Sporen sichtbar zu machen; bei uns ist der Kopf die Hauptsache!«

aus:
Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens,
Jahrgang 1881, Elfter Band, S. 256

Mittwoch, 15. Dezember 2010

... daß sich Leute in der Christnacht in Wölffe verwandeln

Bildquelle: Wikipedia


In den mitternächtigen Ländern, schreibt Olaus M. daß sich die Leute in der Christnacht in Wölffe verwandeln, und grossen Schaden thun, andere anfallen, zerreissen, und so gar der jungen Kinder nicht verschonen. In Teutschland hat man auch unterschiedliche Exempel, daß Hexen und Zauberer sich in Wölffe verwandelt haben, und wenn sie verwundet, oder daß ihnen eine Patten ab gehauen worden, hat sich befunden daß es Menschen Hände oder Füsse gewesen.

Johann Nikolaus Pfitzer
(1634–1674?)

Montag, 13. Dezember 2010

Gellert am 13. Dezember

Am 13. Dezember  1769 starb Christian Fürchtegott Gellert in Leipzig.
 Von seinem Biographen J. A. Cramer wird übermittelt, wie erschüttert die Leipzigern bei seinem Tod waren:

»Die Betrübniß, welche sich mit dem anbrechenden Tage durch die Nachricht von seinem Tode in der ganzen Stadt verbreitete, war so allgemein und so groß, daß sie kaum mit Worten beschrieben werden kann … Mehr und aufrichtigere Thränen sind vielleicht auf kein Grab geflossen als auf das seinige.«

Sonntag, 12. Dezember 2010

Die Parabel von der Schneeflocke





»Ich lass mich fallen«, sagte der Wassertropfen in der Wolke. »Ich bin es Leid nur ein kleines Glied in dieser riesigen Ansammlung von Wasser zu sein. Ich sehne mich danach, ganz nur mir zu gehören und mein eigenes Leben von dem der anderen zu unterscheiden.«

Der Tropfen löste sich aus der Wolke und mit ihm viele andere, die das gleiche Begehren hatten. Da es kalt war, gefror der Tropfen zu einem wunderschönen Stern aus feinen Eiskristallen. Langsam schwebte die Schneeflocke der Erde entgegen, genoss dabei ihre Freiheit, nahm auch die anderen wahr, die mit ihm herabschwebten, grüßte die einen und ignorierte die anderen. Sie lies sich vom Wind treiben, meinte gerade, die endgültige, absolute Freiheit erreicht zu haben, da setzte sie auf dem Boden auf. Sie kam auf andere Schneeflocken zu liegen und wieder andere legten sich auf sie, bis alle in einer dicken Schneedecke einen festen Verbund bildeten.

Immer neue Flocken kamen, der Frost tat ein übriges, und so war bald keinen Raum mehr zwischen den einzelnen Flocken. Da sehnte sich die Schneeflocke nach der lockeren Wolke zurück, in der sie so viel mehr Freiheit hatte. Doch hier auf dem Boden in der Masse der anderen, unbeweglich und eingeklemmt verlor sie bald neben dem Gefühl für den Verlust der Freiheit auch das Gefühl für sich selbst.


Horst-Dieter Radke

Samstag, 11. Dezember 2010

Gellert am 11. Dezember

Am 11. Dezember 1760 rief König Friedrich II. den berühmten Dichter in das »Königshaus« am Leipziger Markt. Aus dem Dialog zwischen beiden,  der in einem Brief von Gellert an eine Freundin übermittelt ist, entstammen zwei berühmte Zitate:

Der König fragte: »Sind jetzt böse Zeiten?«
Gellert:  »Wenn ich König wäre, so hätten die Deutschen bald Frieden... Geben Sie uns nur Frieden, Sire!« 

Der König: »Hat er den Lafontaine nachgeahmt?« 
Gellert: »Nein, Sire, ich bin ein Original...«

Es war einmal





Es war einmal zur Winterszeit.
Wir saßen Hand in Hand.
Es schlang um uns der kleine Schelm
sein rosenfarbnes Band.
Er schlang es fest. Wir hielten still.
Wir ließen es geschehn.
Wir fühlten erst, wie fest das Band,
Beim Voneinandergehn.
Da blieben Herz und Hand bei dir.
Mir selbst ward ich entzweit.
Und dennoch in der Trennungsqual.
Welch reinste Seligkeit!
Es war einmal.

Albert Geiger
 (1886 - 1815)

Freitag, 10. Dezember 2010

Belohnte Kindesliebe



Vor ungefähr zweihundert Jahren lebte in der zwischen Inaba und Harima gelegenen Provinz Mino nahe beim Städtchen Tarni ein Holzhacker, der nur einen Sohn hatte. Beide waren sehr arm und mußten täglich ins Gebirge, um durch Holzhauen ihr Brot mühsam und spärlich zu verdienen. Solange beide gesund und kräftig waren, gelang es ihnen auch ihren Lebensunterhalt zu gewinnen. Aber der Vater wurde immer älter und immer steifer und ungelenkiger wurden seine Glieder, sodaß schließlich der Sohn allein in den Wald gehen mußte, während der Alte daheim blieb. Dem jungen Manne machte dies keine große Sorge; kräftig und rüstig, wie er war, arbeitete er umso fleißiger und war glücklich, wenn er außer der täglichen Nahrung noch einige Sen mehr verdient hatte, um seinem alten Vater ein Fläschchen Sake. kaufen zu können, den dieser leidenschaftlich gern trank und der ihm auch wohltat und ihn kräftigte.
Nun kam aber einmal ein sehr kalter Winter und der Schnee bedeckte bis spät in den Frühling Feld und Flur und machte die Wege ungangbar, sodaß der junge Holzhauer nur einen kärglichen Verdienst fand und daher oftmals seinem Vater nicht den gewohnten Sake kaufen konnte. Darüber war er natürlich sehr traurig und betete oft zu den Göttern, sie möchten doch dem harten Winter ein Ende machen oder ihm anderweit Hilfe senden. Eines Tages hatte er wieder nur eine ganz kleine Last Holz in die Stadt bringen können, und der Erlös reichte nicht einmal zu dem Nötigsten, geschweige denn zu einem Fläschchen Sake für den Vater. Obgleich ihm der Sakehändler gern auf Borg gegeben hätte, wollte der junge Mann davon nichts wissen, denn er gedachte des Sprichworts: »Schulden sind schlimmer als Motten im Pelz!«
So ging er denn betrübt heim und dachte während seines Weges nur darüber nach, wie er seinem Vater eine Stärkung verschaffen könnte. Am Fuße des Tagiyama angekommen, hockte er sich nieder um ein Weilchen auszuruhen, aber auch hier fand er keine Ruhe vor seinen Sorgen und so wandte er sich wieder in inbrünstigem Gebete zu den Göttern.
Da hörte er plötzlich ein seltsames Rauschen, Dampf stieg an der Seite des Berges auf und ein eigentümlicher Geruch, fast wie erwärmter Sake, erfüllte die Luft. Schnell war die Müdigkeit des jungen Mannes verschwunden, er sprang auf und eilte zur Stelle, wo der leichte Dampf aufstieg.

Was erblickte er da? Welches Wunder sahen seine Augen?
Dort, wo stets eine kahle Felsenstelle war, sprang jetzt ein munterer Quell hervor und hüpfte in lustigen Sprüngen dem Tale zu. Der junge Mann schöpfte in der hohlen Hand etwas Wasser, das warm war, und kostete es. Welch' eigentümlicher Geschmack! So etwas hatte er noch nie getrunken. »Das ist ein Geschenk von Euch, o Götter!« rief er aus und füllte, nachdem er ein Dankgebet verrichtet hatte, seine Reiseflasche mit dem kostbaren Naß.
Frohgemut und seiner Sorge ledig, eilte er nun seinem Heime zu, wo er seinem Vater den wundervollen Trank verabreichte. Es war aber auch wirklich ein Wundertrank, denn der alte Mann fühlte neue Kräfte in seinen Körper einziehen; ja, am nächsten Tage fühlte er sich schon so weit gekräftigt, daß er aufstehen und, auf seinen Sohn gestützt, zur Quelle wandern konnte. »Sollte diese Gabe der Götter nur zum Trinken sein?« fragte sich der Sohn und riet seinem Vater in dem warmen Wasser ein Bad zu nehmen, was dieser auch tat. Er merkte, daß nach dem Bade seine Gliederschmerzen nachließen.

Tagtäglich wanderten nun beide zu dem wunderbaren Quell und nach kurzer Zeit war der Alte so weit hergestellt, daß er seinen Sohn wieder in den Wald begleiten und bei seinem Tagwerke helfen konnte; infolgedessen waren beide von aller Sorge befreit und konnten zufrieden und glücklich leben.

Die Kunde von dieser wunderbaren Heilung verbreitete sich natürlich schnell und von fern und nah eilten Kranke und Gebrechliche herbei um Heilung ihrer Leiden zu suchen und zu finden. Selbst dem Kaiser wurde von dieser Heilquelle berichtet, der, nachdem er sich von der Richtigkeit überzeugt hatte, ihr den Namen Yoro. geben ließ, ja, er nannte sogar die Zeitepoche von der Entstehung der Quelle »Yoro-Zeit.«

Die Quelle – eine Mineralquelle – hat ihre Heilkraft bis auf den heutigen Tag behalten.
Karl Alberti
aus: Japanische Märchen

Mittwoch, 8. Dezember 2010

Der Sperling im Schnee


Knabe:
Vogel, wie ist es so kalt!
Sprich doch, erfrierst du nicht bald?

Sperling:
Bin noch ganz munter in dieser Zeit,
Hab‘ ein gar warmes Federkleid,
Fliege gar fröhlich her und hin,
Ist mir so warm als dir wohl drin

Kind, das dachte: »So ist schon gut,«
Fasste sich gleich einen frischen Mut,
Hatte ja auch sein warmes Kleid.
Lief und spielt‘ eine warme Zeit,
Fragte gar wenig nach Eis und Schnee,
Tat ihm drum doch keine Ader weh.

Wilhelm Hey

Dienstag, 7. Dezember 2010

Der Bauer und die Schlange (2)



Da die Welt in Frost und Eis lag, ließ ein Mann aus Güte sich dazu bewegen, eine Schlange in sein Haus aufzunehmen und sie den Winter hindurch zu ernähren. Als die kalten Jahreszeit vorüber ging, wurde die Schlange unbequem und begann, die Gegenstände mit ihrem Gift zu bespeien. Sie wollte sich nämlich möglichst schlecht aufführen, damit sie sich beim Abschied nicht für die Güte des Mannes erkenntlich zu zeigen brauchte.

Diese Fabel sollten sich alle Leute merken, die mit gutem Willen undankbare Leute unterstützen, durch welche sie, wenn sie schließlich fortgehen wollen, obendrein geschädigt werden.

Romulus (ca. 350 - 500 n.Chr.)

Montag, 6. Dezember 2010

Der Bauer und die Schlange (1)

Der sinnreiche Fabeldichter Aesopus berichtet in seiner 33. Fabel, wie nämlich ein Bauer bei kalter Winterszeit in dem Wald eine von der Kälte fast erstarrte und halbtodte Schlange im Schnee fand; über diese erbarmte er sich, trug sie nach Haus, und legte solche an einen warmen Ort, allwo sie wieder zu sich selbsten und also zu dem Leben kam. Als sich die Schlange nun wieder bewegen konnte, schlich sie dem Bauern heimlich nach, und versuchte, ob sie demselbigen nicht etwas von ihrem Gift beibringen und damit beschädigen möchte; als nun der Bauer solches merkte, erwischte er eine Hacke oder Axt, wehrte sich wider diesen undankbaren Gast, und gab ihm den wohlverdienten Lohn.

Abraham a Sancta Clara

Sonntag, 5. Dezember 2010

Auf Stippvisite


Foto: Mirjam Radke

Die Sonne strahlt. Der  Ostwind trägt die Rufe des Muezzin  von der Böckmannstraße bis zur Danziger. In den Auslagen der türkischen Gemüsehändler leuchten die satten Farben der Tomaten, Salatgurken, Auberginen, Apfelsinen und Granatäpfel.  Ein Mann in einem wallenden Gewand schleppt zwei tief gefrorene Fleischspieße auf den Schultern in das Restaurant Batman. Die Kehrbesenmaschine der Stadtreinigung fährt Schlangenlinien um die Zweitereiheparker am Straßenrand. Hupkonzert.  Der Autoverkehr staut sich auf dem Steindamm bis zum Phillips Hochhaus.
„Ich glaub wir sind falsch!“
Thadeus steckt seine Nase aus dem Regenwassersiel und schaut sich um. Seine Barthaare zittern. Er quetscht sich durch den Spalt zwischen zwei Stahlverstrebungen und schüttelt den grauen Pelz. Dicht hinter ihm folgt Louisa.
„Hilfe, ich steck fest!“
Thadeus dreht sich zu ihr um und schüttelt den Kopf.
„Meine Güte, atme aus und dann wird’s schon gehen.“
Louisa atmet aus und aus und aus. Endlich!
„Komisch, hört sich an wie in Istanbul, bloß saukalt ist es.“ 
Louisa schaudert. Sie hebt den Kopf und schnüffelt: 
„Und - hier gibt’s irgendwo Islim Kebabi.“
„Hä?“

„Auberginen mit Lammfleisch.“
„Du denkst auch immer nur an das Eine!“
Louisa kichert und setzt vorsichtig eine Pfote vor die andere im Rinnstein der vierspurigen Straße. Ein Hagelkorn. Noch eins. Ganz viele. Thadeus und Louisa ziehen die Köpfe ein.
„Das gibt’s doch gar nicht. Die einzige Wolke da oben läuft Amok. “
Louisa stupst die Hagelkörner mit der Schnauze an. 
„Wie Wassereis. Fehlt nur ein bisschen Zucker, dann wär‘s gar nicht so übel.“
„Hätten wir bloß auf die Kollegen im Seeschiffcontainer gehört. Die haben am Burchardkai nebenan gleich wieder eingecheckt auf dem nächsten Bananendampfer zurück nach Costa Rica. Aber, die verehrte Louisa musste ja unbedingt diese silbernen Rieseneier beschnüffeln.“
Thadeus sieht zum Himmel auf. Von der Wolke fehlt jede Spur. 
„Meine Güte, Thadeus. Das sind die Faultürme der Kläranlage. Du stehst doch sonst so auf Hightech. Hat‘s dir da etwa nicht gefallen?“ 
„Doch schon, aber den kilometerlangen Marsch durch den maroden Untergrund hätten wir uns echt sparen können. Von den ganzen Zivilisationskrankheitsviren krieg ich Depressionen.“
Der fette Mann mit langem Bart, in einen roten Kapuzenmantel gekleidet, stürmt auf die beiden Weltenbummler zu. Er hält einen Stock in der erhobenen Hand. Der Stock fliegt durch die Luft, verfehlt Louise knapp.
„Scheiß Ratten!“
Louisa duckt sich. Ihre  Barthaare stoßen gegen den Rinnstein. So schnell sie kann, läuft sie dicht an den Steinen entlang und verschwindet um die nächste Ecke. Thadeus überholt sie. Louisa nimmt sein Schwanzende zwischen die Zähne und folgt ihm auf dem Fuße. Sie schlüpfen unter einen Pappkarton, der zwischen einer Batterie Papier- und Altglascontainern liegt. Es riecht streng nach Schnaps und Bier. Louisa würgt. Thadeus Stimme überschlägt sich:
„Fuck, was sind die aggressiv hier. Die ticken ja nicht richtig!“
Er setzt sich zu Louisa und schleckt ihr Fell ab. Louise schmiegt sich an Thadeus.
„Jetzt lass uns mal überlegen, wo wir sein könnten. Ich kenne nur ein Land, in dem Müll sklavisch getrennt wird. Wir sind doch richtig, Thadeus. Das ist Deutschland. Passt auch zu den schlechten Manieren.“
Louisa wackelt mit den Ohren. Thadeus lugt unter dem Pappkarton hervor.
„Geschenkt, Louisa. Zurück zum Thema. Wenn ich Mensch wäre, würde ich mich mal dringend drum kümmern, das Kanalisationssystem zu modernisieren. Die ollen Gemäuer stehen ja kurz vor dem Zerfall. Nicht auszudenken, wenn die Soße erst mal das Grundwasser verseucht hat.“
Louisa zieht mit den Zähnen an Thadeus Schwanz.
„Die Menschen sind zu blöd. Sei froh, dass du keiner bist, Thadeus!“
 Eine Böe erfasst die Pappschachtel und wirbelt sie durch die Luft.
„Mist, unser Versteck fliegt weg!“, schimpfen Thadeus und Louisa im Chor.
Im Windschatten der alten Jugendstilhäuser setzten sie ihren Weg fort. Louisa wie immer in Thadeus Schlepptau. Unrat soweit das Auge schauen kann. Na gut, gelogen, Louisa ist so kurzsichtig wie die Kollegen Maulwürfe. Dafür kann sie umso besser riechen: Hundekacke, Kotze, Ochsenschwanzsuppendose, Glühwein, Hackbällchen, Hustenbonsche, Pausenbrot mit Salami, Cornflakes, Pommes rot weiß, Pappbecher mit kaltem Kaffee, schimmeliges Toastbrot.
„Igitt, Menschenpisse!“, sagt Louisa und schnappt nach Luft.
Thadeus macht einen langen Hals und linst in den Kasten, einer architektonischen Missgeburt sondergleichen, der am Rande des schönen Platzes mit dem Brunnen und den alten Laternen überflüssig wie ein Krebsgeschwür ist. Der Mann im roten Kapuzenmantel steht breitbeinig vor einer Pinkelrinne und stopft seinen Penis in den Hosenschlitz.
„Lass uns abhauen, Louisa.“
Mehr sagt Thadeus nicht. Wozu Louisa unnötig aufregen?
„Ich find ja, Pisse riecht so schlecht nicht.“
„Sieh dich vor, Thadeus!“
Louisa beißt ihm in den Allerwertesten.
„Autsch!“
 Ein paar Tauben gurren. Sie zanken sich um ein Käsebrötchen und als die Ratten ihnen zu nahe kommen, nehmen sie Reißaus und flatterten davon.
„Oha, was sind das denn für arme Mädels? Die frieren sich ja tot, so nackig wie die rumlaufen?“, flüstert Thadeus.
Er bleibt wie angewurzelt stehen und Louisa kracht frontal in sein Hinterteil.
„Man, kannst du nicht Bescheid sagen!“
Sie reibt sich die Schnauze und atmet tief ein und langsam wieder aus.
„Fuck!“
Thadeus macht einen großen Bogen um eine Spritze im Gebüsch, an der angetrocknetes Blut klebt.
„Was denn für Mädels?“
Louise nimmt Witterung auf und horcht.
„Keine Ahnung, die stehen hier rum wie Falschgeld und warten auf den Bus oder so.“
Ein schwarzes Auto mit einem silbernen Stern vorne auf der Haube hält am Straßenrand. Die Scheibe der Beifahrertür surrt leise, während sie sich absenkt. Eins der Mädchen in einer verfilzten Wolljacke beugt sich zum Fenster hinunter, nickt und steigt ein. Louisa wackelt mit den Ohren und hält die Nase empor, schnuppert.
„Wenn das hier nicht so zum Himmel stinken würde, tät ich ja nichts Böses denken.“
Reifen quietschen. Eine fette Abgaswolke löst bei Louisa einen Hustenanfall aus. Das dauert, bis Louise wieder aufatmen kann.
„Wozu haben Menschen eigentlich Beine, Thadeus?“
„Weils besser aussieht.“
Louise wälzt sich im Dreck und zappelt mit den Pfoten in der Luft.
„Geil!“
„Ähm, ja … Wozu gibt’s überhaupt Menschen, Louisa?“
„Weil … Weil die so lecker kochen können.“
Zielsicher steuert Louisa auf einen angebissenen Cheeseburger zu, der mitten auf dem Weg herumliegt und knabbert dem angetrockneten Schmelzkäse einen Zickzackrand.
„Lass mal, Louisa, du wirst zu fett.“
Louisa lässt sich nicht stören und futtert für zwei. Thadeus schließt die Augen. Fast Food hat definitiv seine guten Seiten. Der Untergang des Abendlandes steht kurz bevor. Er kennt niemanden, der Menschen vermissen würde und Thadeus ist viel herum gekommen. Wanderratten sind keine Stubenhocker. 
„Kirchenallee und Deutsches Schauspielhaus“, liest Thadeus laut vor, während Louisa sich immer noch die Schnauze abschleckt.
 
„Ah, jetzt weiß ich, wo wir gelandet sind, Thadeus, in Hamburg, dem Tor zur Welt.“
Thadeus schüttelt den Kopf.
„Pah, Tor. Wo denn? Türchen zum Adventskalender von Klein Erna vielleicht. Das käme der Wahrheit näher.“
„Und die Kantine vom Schauspielhaus soll exquisite Extraklasse vom Feinsten sein.“
Sabber hängt Louisa am Schnauzenfell.
„Ich hab keinen Bock auf die Pfeffersäcke. Die sollen hier ne Rattenverordnung haben, ne Rattendatenbank, ne Ratten-Hotline, und Horden von Arbeitslosen werden zu Rattenkillern ausgebildet. Nee, das müssen wir uns nicht antun, Louisa, sonst fallen wir noch mal tot um!“
„Wo du recht hast, hast du recht, Thadeus, klügster und liebster aller meiner Schatzis!“
„Okay, dann mal zackzack ab in den Untergrund in Richtung  Hafen, Louise!“
Der Heilige Georg in Blattgold gehüllt zielt mit dem Schwert auf den Drachen. Ein Paar in extravaganten Lederhosen, die nackten Ärsche schauen daraus hervor wie rote Bäckchen, schlendern unterm Georg durch. Hand in Hand steuern sie auf die Bellini Bar zu. Men only steht quer über der Eingangstür in rosa Lettern. Der Autoverkehr quält sich von der Danziger Straße in Richtung Steindamm und der Wind trägt das Läuten der Glocken mit sich bis zur Böckmannstraße. Die Sonne steht tief im Westen. Lang sind die Schatten, die die Zwillingskirchtürme des Mariendoms auf den Platz vor der Caritas werfen. Brummbärtige Gestalten warten darauf, dass Schwester Hiltrud die Suppenküche öffnet: „Frohe Weihnachten!“

Samstag, 4. Dezember 2010

Nr. 12: Der Sturm und die Schneeflocke



Der Sturm brach hier und dort einen Ast von den Bäumen, aber da er nachließ, fiel ohne ein Lüftchen, ein Schnee, dessen kleine Flocken tausend Äste von den Bäumen brachen, gegen einen, den der Sturm abriß. Es ist ein altes Sprichwort: Stille Wasser fressen auch Grund. Darum verachte die klein scheinende Kraft nicht; der Regentropfen, der von der Rinne fällt, durchlöchert den Felsen.


Heinrich Pestalozzi

Freitag, 3. Dezember 2010

Der Winter



Winter:
Bin ich denn etwa freudenleer?
Meinst du, mein Kind? O, nimmermehr!

Ich lass’ dich schlitten, lass’ dich schleifen,

Und willst du meinen Schnee angreifen,

So ist er wohl ein bischen kalt,
Doch findest sicherlich du bald,
Daß sich ein Männchen, weiß und fest,
Ganz herrlich daraus bauen läßt.

Kind:
Wie kannst du auch so artig sprechen!
Doch was du sagst, ist Alles wahr.
Laß nur kein Bein mich bei dir brechen;

Denn allzu leicht bringst du Gefahr!



Winter:
Nur nicht verwegen, liebes Kind,
Dann bleib’ ich freundlich dir gesinnt!

Wilhelm August Corrodi
aus: Fünfzig Fabeln und Bilder aus der Jugendwelt

Donnerstag, 2. Dezember 2010

Die beiden Knaben



Ein jüngrer und ein ältrer Bube,
Die der noch frühe Lenz aus der betrübten Stube
Vom Buche zu dem Garten rief,
Vielleicht weil gleich ihr Informator schlief,
Geriethen beid an eine Grube,
In der der Schnee noch nicht zerlief.
Ach Bruder, sprach der kleine Bube,
Was meynst du, ist das Loch wohl tief?
Ich hätte Lust - - Was? Lust hinein zu springen?
Du mußt doch ausgelassen seyn.
Versuch es nicht und spring hinein,
Du könntest dich ums Leben bringen.
Wir können uns ja sonst noch wohl erfreun,
Als daß wir uns und unsern Kleidern schaden,
Und kindsch Schnee und Eis durchwaden.
und kömmst du drauf zum Vater naß hinein:
So hast dus da erst auszubaden.
Doch keine Redekunst nahm unsern Knaben ein.
»Wer wird im Schnee denn gleich ersaufen?“
Und kurz und gut, er sprang hinein,
Und ließ sichs wohl in seiner Grube seyn;
Doch kaum war er vor Kälte fortgelaufen:
So sprang der Philosoph so gut, wie er, hinein.

***

Dieß ist die Kunst der strengen Moralisten.
Bekannt mit dem System, und von Grundsätzen voll,
Beweisen sie das, was man lassen soll,
so froh, als ob sie nichts von den begierden wüßten.
Sie sind von besserm Ton als wir.
Sie bändigen ihr Herz durch die Gewalt der Schlüsse.
Uns Armen ist die Thorheit süße;
doch ihnen eckelt nur dafür.
Wir lassen sie, wenn wir sie unternehmen,
Aus gutem Herzen andern sehn,
Und denken nicht daran, daß wir uns so vergehn.
Sie aber, die gelehrt sich aller Thorheit schämen,
Begehn die That, die sie uns übel nehmen,
Aus Tugend eher nicht, als bis wir es nicht sehn.

Christian Fürchtegott Gellert

Mittwoch, 1. Dezember 2010

Die Krähen





Bei den Krähen war große Versammlung angesagt. Ein Bote des Ältestenrates hatte alle erwachsenen Krähen auf die Schloßwiese eingeladen. Der einsame, verfallene Schuppen sollte der Treffplatz sein.
Der Winter war überaus kalt; dicker Schnee bedeckte die Erde; es war eine schwere Zeit für alles Lebendige und für die Vögel besonders.
Deshalb hatte der Ältestenrat die Versammlung angesagt. Zur festgesetzten Zeit erschienen sie in großen Schwärmen; Hunger und Langeweile, Not und Neugier hatten sie hergetrieben. Da gab es graue und schwarze Krähen, plumpe und zierliche, junge Gelbschnäbel und erfahrene Urgroßväter. Alle ließen sich erwartungsvoll um den alten Schuppen nieder.
Eine dickköpfige weise Krähe meldete sich zum Wort. »Meine geliebten Freunde,« krächzte sie, »ihr kennt die Not, die uns hier zusammenführt. Wir können unser tägliches Brot in dieser schweren Zeit nicht mehr finden, und schon mancher ist Hungers gestorben in unsern Feldern. Viele sind so matt, daß sie kaum noch fliegen können. Daran ist vor allem der Schnee schuld, diese Himmelsplage, die keinen Zweck weiter hat, als uns Krähen das Leben zu erschweren. Wenn er nicht wäre, könnte man immer noch das Nötigste finden.«
»In langen schlaflosen Nächten habe ich mir das klar gemacht und beschlossen, euch folgenden Vorschlag zu unterbreiten. Wir müssen den Schnee fortschaffen und das Land freilegen; alle müssen an dem Rettungswerk mitarbeiten. Seid ihr damit einverstanden?« »Ja, ja,« rief das Volk mit hoffnungsvollem Gekrächz, nur eine Einzelstimme fragte: »Aber wie?«
»Das werdet ihr gleich hören,« sagte die weise Krähe, und während sie ihren Schnabel putzte und sich aufplusterte, fuhr sie mit gewichtiger Miene fort: »Es ist keine leichte Arbeit, die ich euch zumute, es gilt nämlich, den Schnee fortzutragen. Jeder nimmt auf Rücken und Flügel soviel er vermag, und so tragen wir ihn auf einen Berg zusammen, bis das Land frei ist.«
Einige Alte schüttelten bei diesem Vorschlage bedenklich die Köpfe; aber die Mehrheit jubelte der Rednerin zu, und am nächsten Tage begann das große Werk.
Die Krähen waren fleißig wie noch nie, fast über ihre Kräfte, und doch war nach acht Tagen erst eine einzige Ackerfurche freigelegt. Und was sie da an Nahrung fanden, reichte kaum für zehn hungrige Schnäbel. Da ermüdeten schon viele und ließen ihre Genossen im Stich; und nach abermals acht Tagen war kein Arbeiter mehr zur Stelle.
Der Schnee fiel wieder in dichten Flocken, als sich die Krähen aufs neue versammelten. Diesmal waren sie noch bekümmerter, und ein lautes Krächzen und Schreien verriet ihre Erregung.
Eine vornehme Krähe schrie, man solle die Spatzen zwingen, Brot herbeizuschaffen, die hätten List und Frechheit genug, die Menschen zu bestehlen. Aber der Antrag wurde mit Empörung zurückgewiesen.
Eine junge Krähe schlug vor, es den Schwalben und Störchen nachzumachen und in warme Länder auszuwandern. Aber als man sie nach dem Wege fragte, wußte sie ihn nicht; sie hatte bloß gehört, daß er übers Meer ginge. Da schrien alle: »Nein, nein, lieber hier verhungern, als in die unbekannte Fremde fliegen und noch dazu übers Meer!«
»Fliegt in die Häuser der Menschen,« meinte eine zahme Krähe, »die sind gut und füttern euch; ich brauche mir schon seit Jahren im Winter kein Körnchen mehr zu suchen.« Aber da gab es ein furchtbares Gekrächz: »I, so geh doch, geh doch zu deinen Menschen, laß dir die Flügel beschneiden, mach Grimassen und Kunststücke! Wir andern sind nicht zu Knechten und Narren geboren!« Und die zahme Krähe wurde mit Biß und Hieb fortgejagt.
Nachdem sich die Versammlung wieder beruhigt hatte, sagte eine weitgereiste Krähe mit nachdenklichem Flügelschlagen: »Wir könnten es einmal mit Auftauen versuchen, wie die Menschen es zuweilen machen.«
Da niemand einen bessern Vorschlag hatte, stimmte das Krähenvolk schweigend zu.
Am andern Morgen hockten sich Tausende von Krähen in den frischgefallnen Schnee. Unter den warmen Vogelleibern zeigten sich kleine Wasserlachen. Viele erstarrten bei dieser furchtbaren Arbeit, aber neue Ankömmlinge nahmen ihre Plätze ein. So hofften und harrten sie auf Erfüllung und duldeten alle Mühsal.
Da kam nach ein paar Tagen die Sonne; und was die vielen tausend Seelchen in hundert Jahren nicht fertig gebracht hätten, vermochte die Tochter des Himmels in ein paar Stunden. Der schlimme Schnee zerschmolz zusehends, das Land wurde frei und fruchtbar, und die Vögel hatten vollauf zu essen.
Aber fragt einmal die Krähen: die glauben fest, daß ohne sie die Sonne nichts hätte ausrichten können, ja, daß ihnen der größte Teil der Arbeit zugefallen sei!
Belauscht sie nur einmal auf den Feldern; da könnt ihr hören, wie sie sich ihrer Kraft und Weisheit rühmen!
Die Sonne aber leuchtet und schweigt und läßt dem Krähenvolk seinen Spaß!

Dienstag, 30. November 2010

Mit der Pest gewonnen

»Jemanden die Pest an den Hals wünschen« ist ein unguter Fluch aus vergangener Zeit. Das heute mit der Pest auch gewonnen werden kann ist derzeit im Bücher-Wiki zu sehen. Mein Beitrag zur »Pest in der Literatur« kam auf den zweiten Platz.

Horst-Dieter Radke

Politische Fabeln zum Revolutionsjahr 1848 (3)

In diesem Momente entstanden jene Fabeln, welche der Leser hier vor Augen hat. Erschrocken, empört über die furchtbare Enttäuschung, erfüllt von Besorgniß um sein geliebtes Oesterreich, nicht bloß todesmuthig, sondern lebensüberdrüßig nach dem entheiligten Idole, das er von der Freiheit eines edlen und großen Volkes im Busen getragen und in den geheimsten Winkeln seines Herzens gehegt, stürzte sich der Verfasser gleichsam in die Speichen des Rades der Revolution - allein, verlassen von allen, verhöhnt und selbst mit dem Tode bedroht - unbekümmert, ob es ihn zermalme, nicht erst überlegend oder berechnend, ob ein so kleiner und geringer Widerstand Erfolg haben könne. Er dachte nur an seine Pflicht! Die 76. und 81. Fabel drückt seine Gedanken aus.
LXXVI.
Ich rechnete nicht.

Ein Tempelritter hatte drei Stücke Metall vor sich liegen. »Wählet,« sagte er, »was soll aus euch werden?«
»Ich,« sprach das eine trotzig, »bin spröd und spießig - Speer möcht‘ ich sein im Turnier und Streit.«
»Ich,« bath demüthig das andere, »bin hart und fest; Dir, o Herr, möcht‘ ich dienen als Schild.«
»Und ich,« wedelte das dritte Stück, »bin geschmeidig - lass‘ mich zur Zier deines Helmes gedeihen!«
Der Tempelritter ließ aus dem ersten Stück einen Speer, aus dem zweiten einen Schild, aus dem dritten die stolze Zier seines Helmes schmieden.
So kam der Speer beim nächsten Turniere in die Hand eines Gegners, während der Schild im Kampfe die Brust des guten Herrn also deckte, daß der wohlgezielte Spieß zersplitterte, aber auch Er eine Schramme bekam. Da rief die schimmernde Zier vom Helm herunter: »Thörichter Schild, nun magst du in der finstern Eisenkammer vom Rost zerfressen werden? Warum hattest du nicht Geschmeidigkeit zur Tugend gewählt? Sieh‘, wie allein ich hoch oben glänz‘ und eine Zukunft errang!«
Ihm aber der Schild: »Das Herz meines Herrn schlägt noch, und jener Speer, dessen Stoß ihm gegolten, liegt in Splittern vor uns. Andres hab‘ ich niemals verlangt. Wer Schild sein wollte, rechnete nicht.«
*
Sprecht nicht von »Mitte halten,« von »Geschmeidigkeit,« ihr Klugen! Daß die äußerste Rechte unmöglich macht, weiß der ehrliche Mann. Aber antworten kann er, wie jener Schild: »Ich rechnete nicht.«

Politische Fabeln von J.S. Ebersberg, 1849

Montag, 29. November 2010

Politische Fabeln zum Revolutionsjahr 1848 (2)

Wie nach den Märztagen in Folge der Unthätigkeit und Schwäche einer ganz rathlosen Regierung, die nie handelte, sondern sich nur durch die Ereignisse fortstoßen ließ, durch die Wühlereien fremder Emissäre und meistentheils jüdischer Schrifsteller, *) durch die Uebergriffe und Anmaßung einer künstlich erregten und mißbrauchten Jugend die Lage des Vaterlandes immer trauriger und hoffnungsloser ward: weiß wohl Jeder, welcher diese Zeit miterlebt hat, wo das Rad der Geschichte so rasch rollte, daß, was vor einer Stunde Weltereigniß war, in der nächsten schon wieder von Neuem, Unerwartetem, Ungeahntem überholt und fast vergessen wurde. Alles stand auf dem Spiele. Der Kaiser war aus Wien entflohen, wo man mit Bajonetten, Krampe und Schaufeln Zugeständnisse abgetrotzt und die am 15. März und 25. April von Seiner Herzensgüte gewährte Constitution vernichtet hatte; die Mißachtung der Gesetze, die Verfolgung der Priester, womit selbst der ehrwürdige und greise Erzbischof Wiens nicht verschont blieb; die Störungen der Abendruhe durch Katzenmusiken, die Verletzung des häuslichen Asyls und Gewaltthätigkeiten aller Art hatten die Haupt- und Residenzstadt mit Bangigkeit, ja mit entsetzen erfüllt. Der furchtbarste Mißbrauch der Preßfreiheit hatte durch Lüge, Verläumdung und unablässiges erhitzen der Leidenschaften die Gutmüthigkeit des Volkes und sein gesundes Urtheil umgewandelt - Land, Stadt und Menschen waren nicht mehr zu erkennen, und allgemeines Verderbniß stand vor den Augen der Bessergesinnten, deren Zahl freilich nicht gering, deren Muth aber eben so klein und thatenlos war, als die Schlechten und Aufrührerischen, welche in dem allgemeinen Umsturz zu gewinnen hofften, sich rührig und gewandt bewiesen.
VI.
Die Lichtmacher

Ein armer Mann, der unschuldig viele Jahre in einem dunkeln Kerker gesessen, wurde freigesprochen. Aber da zeigte sich, daß seine Angst durch die immerwährende Dunkelheit des Gefängnisses blöde geworden und er beinah erblindet sei. Der Arzt erklärte, daß frei eLuft und Licht seine Augen nur heilen könnten. Anfänglich zuckte der Patient schmerzlich, als das helle Sonnenlicht auf sein leidendes Antlitz fiel, aber von Tag zu Tag besserte sich das Uebel. Da meinte ein thörichter Mensch, wenn Licht solche Besserung erzweckte, müsse vermehrtes künstliches Licht die schnellste Heilung bewirken. Er stellte daher den Blödsichtigen an das Fenster, hält ihm gegenüber einen Spiegel, und wirft mit Einer Wendung in der Schnelligkeit des Blitzes den schneidenden Abglanz des Sonnenstrahls auf das kranke Auge. Aber mit einem Schrei des Entsetzens stürzt der Getroffene zu Boden, und mit seinen Augen stand’s schlimmer als jemals.
*
Einen solchen Spiegellichtmacher erkenne ich in dem radikalen Schriftsteller. Licht ist Wohlthat, Licht ist Segen für jedes äußere, wie für das Seelenauge. Aber wer lange im Finstern getappt, sollte von verständigen Führer **) erst an die freie Tageshelle mit Sorgfalt gewöhnt werden, um richtig zu sehen, um sich der Wunder der Schöpfung in ihrer Klarheit und Würde zu freuen. Aber leidige Spiegelfechterei vor seinen Augen treiben, heißt sein Gesicht trüben für immer; und wer das reine Seelenauge tödtet, übt ein schrecklicheres Verbrechen, als jener teuflische Bettler, der geraubte Kinder aus Habgier mit glühendem Drahte blendet!

J.S.Ebersberg: Politische Fabeln … (1849)

*) ein Beispiel dafür, wie sehr der Antisemitismus im 19. Jahrhundert alle gesellschaftlichen Schichten durchdrungen hatte.
**) Kaum hundert Jahre später entpuppt sich ein Führer als der große Blindmacher überhaupt.

Samstag, 27. November 2010

Politische Fabeln zum Revolutionsjahr 1848


Bild des Autors aus dem Buch

Vorrede

Die Fabeln, wie sie hier dem Publikum vorgelegt werden, sind ein Denkmal der wichtigsten Tage, welche die Oesterreichische Monarchie erlebt. Sie entstanden nach denMärztagen des ewig denkwürdigen Jahres 1848, in einer trüben und gesetzlosen Zeit.

Mit pochendem Herzen, mit unbeschreiblicher Freude und die Seele voll froher Hoffnungen hat der Fabeldichter die Ereignisse des 13. und die Gabe des 15. März 1848 begrüßt. Wenn Jemand für wahre Freiheit empfänglich war, so war Er’s; wenn Jemand den wahnwitzigen und grausamen Druck des Geistes, wie ihn Graf Sedlnitzky und seine Werkzeuge über Oesterreich gebracht und bis zur Unerträglichkeit gesteigert hatten, gehaßt und verwünscht hat: so war Er’s; wenn Jemand die Mißbräuche des alten und verkrusteten Systems geändert und geheilt, gewisse Privilegien vernichtet, die Menschenwürde überall anerkannt, und Bruderliebe, unter Nationen wie von Einzelnen, geübt wissen wollte: so war Er’s. Aber entsetzlicher wurden noch nie die Erwartungen und Hoffnungen getäuscht, welche der Freund wahrer Freiheit, der seinem Vaterland und Kaiser treue Sohne Oesterreichs mit klopfendem Pulse gehegt!



I.
Seid gewarnt!

Am Ufer der silberglänzenden Donau lag ein Schiff angekettet. Ein günstiges Lüftchen wehte, der helle blaue Himmel sammt seiner leuchtenden Sonne spiegelte sich schön in den Wogen, und Welle um Welle schlüfte lustig dahin und lockte murmelnd das Schiff, zu folgen in freier Fahrt - aber es war ja gefesselt! Da murrten die Leute auf dem Fahrzeug, die lange genug auf Einer Stelle gestanden, und die Muthigsten rissen im edlen Grimm die Kette durch und durch. Frei flog das Schiff, von seinem Ruder gelenkt, hin auf dem silbernen Rücken der Flut. Diese Freiheit gefiele Anfangs den Schiffenden, bis Einer auf das Ruder weiset und spricht: »Was nennt Ihr unser Schiff frei! Seht Ihr nicht hier seinen Gebieter und Herrn, der den Lauf vorzeichnet und in die bestimmte Bahn es drängt?« - »Ja, noch viel freier soll unser Fahrzeug sein!« riefen die trunkenen Schiffer und warfen das Ruder stracks über Bord. Aber das war eine böse Freiheit! Sie und ihr Boot rannten dem Strudel zu; an seinen Klippen zerscholl das rathlose Fahrzeug, und das schöne Schiff sank mit Mann und Maus kläglich in die unerforschten Tiefen hinab.

Ich brauch‘ Euch die Moral nicht zu erklären. Ihr habt dem staatlichen Schiffe Oesterreich, in dessen mit doppel- und dreifarbigen Flaggen geschmückten Raaen ein lustiger Wind seine lockenden Freiheitssprüche bläst, die dickgeschmiedete, aber rostdurchfressene Kette zerrissen. Und mit Recht jubelt Ihr, denn frei ist das Schiff. Doch, Freunde, hütet Euch, im trunkenen Taumel, um es freier als frei zu machen, auch das Ruder über die Flanken zu werfen: ich brauch‘ es Euch nicht zu deuten - ein anderer Name heißt es Gesetz!

Politische Fabeln
Erinnerungen an die
stürmischen Tage des Revolutions-Jahres 1848
von J. S. Ebersberg
Wien, 1849
Im Comptoire des „Wiener Buschauers.“
(Dorotheergasse, Nr. 1108.)

Donnerstag, 25. November 2010

Das Licht und die Laterne


Ein Licht, das über die Straße in einer Laterne getragen ward, beschwerte sich: daß diese letztere einen großen Theil seines Glanzes verdunkle.

Das ist wohl möglich; antwortete dieselbe: und gleichwohl bist du mir Dank schuldig; denn ich schüzze dich vor den Anfällen der freien Luft und des Windzuges. Ich allein erhalte dein Dasein gegen mancherlei Gefahren.

Ertrage daher immer geduldig eine kleine Ungemächlichkeit, des weit größern Vortheils willen!

A.G. Meißners
Fabeln in VIII Büchern
Neue, vom Verfasser selbst besorgte Ausgabe
Theil I. 1s bis 4s Buch
Berlin, in der Fröhlich’schen Buchhandlung 1807

Mittwoch, 24. November 2010

Die Ringelblumen


Schöne Blumen, laßt euch pflücken,
Ihr müsst meinen Hals jetzt schmücken,
Eine Kette sollt ihr werden,
Nicht so sitzen in der Erden!
Also sprach die kleine Liese,
Hüpfte durch die ganze Wiese,
Hörte nicht die Bienlein summen,
Sieht nur nach den Ringelblumen,
Macht sich eine hübsche Kette -
Keine Königin, ich wette,
Kann in ihrem Perlenschein
Glücklicher als Lieschen sein.

Wilhelm Corrodi
aus: Fünfzig Fabeln und Bilder aus der Jugendwelt
Zürich, 1876

Samstag, 20. November 2010

ein esel vant eins louwen hût …

I.

Ein esel vant eins louwen hût und zôch si an.
er sprach „mich hât gelucke brâcht ûf dese ban:
mîns herren gunst hân ich mich gar erwegen.
Die kleinen tir gemein und ouch der herre sîn
die leden alle vor im grôze pîn.
dô er des louwen sprunge solde phlegen,
Wie tump dô was sîn eselî!
sîn obermut in grôzem zorne brante.
die ôren ûz der hûte fri
im worden: dâbî in der herre kante.
er gab im einen kûlen slac:
er sprach „du esel woldest mich betrigen!“
er bant im weder ûf den sac:
dô muste er sich in grôzen schanden smigen.
kint, gere valscher lêre nicht nâch eselischer wise.
du salt anzien dîns vater wât,
das ist mîn rât.
nicht trit ûf fremdes lobes zil, sô stêt din êre in prîse.

Heinrich von Müglin
Göttingen, 1847
(auch: Heinrich von Mügeln)

Freitag, 19. November 2010

Endlich bahnt die Fabel den Weg zum Denken

Endlich bahnt die Fabel den Weg zum Denken. Lessing zeigt mehrere Wege, wie man die Fabel, die schon vor uns liegt, eben so nützlich als angenehm studiren kann. 1. Jetzt gebe der Lehrer den Unterricht, sie zu verkürzen; 2. jetzt zu verlängern; 3. jetzt ändere er einzelne Umstände; 4. oder er nehme den wichtigsten heraus, und baue eine neue; 5. man suche manch Mahl eine edlere Moral; man mache die einfache zur zusammengesetzten, oder dichte aus einer Fabel eine Reihe anderer.
Diese Art von Studium ist ungemein erheiternd, und weckt den Geist. Man geht vom allgemeinen zum Besondern, vom Besondern zum Allgemeinen; so muß der Knabe Genie werden, fährt Lessing fort, oder man kann nichts in der Welt werden.

Fabulae Aesopiae
Phädrus in deutschen Reimen
von Xaver Weinzierl
Wien und Triest, 1817
aus der Vorrede

Montag, 15. November 2010

Der Hirsch, der sich über sein Schicksal beklagte

Muß ich denn, sprach ein Hirsch, allein

Ein Raub der Hund’ und Menschen seyn?

Vor stündlichen Gefahren beben?

Und länger noch als Andre leben?
Natur! so rief er jämmerlich,
Natur! o warum schufst du mich?



Ein Hase lief bey ihm vorbey.

„Du kleines Thier lebst sorgenfrey.

Wie leicht, wenn Jager uns entdecken,
Kann solch ein Würmchen sich verstecken!“
Wo kam denn jüngst mein Weibchen hin,

Sprach dieser, wenn ich sicher bin?



Indessen trabt ein großer Bär

Tiefsinnig seinen Holzweg her.
Wär’ ich so stark, rief er von neuen,
Wie sollten sich die Jäger scheuen!

Dich zog das Gluck uns allen vor. –

Ja! sprach der Bär, das weiß mein Ohr.

Ein Rebhuhnflug schoß schwirrend auf.
Was hilft mir, sprach der Hirsch, mein Lauf?
O könnt’ ich als ein Rebhuhn fliegen! 
...
Thor! siehst du nicht den Spürhund liegen?

Rief eines fliehend: flieh, wie wir;

Der Jager zielt nach uns und dir.
 
Ein Schuß geschah: der Hirsch entflieht.
Wenn nichts sich der Gefahr entzieht,

Was will ich denn durch stätes Grämen

Mir vor der Zeit das Lehen nehmen?

So sprach der Hirsch. – Mich selber däucht,
Was alle trifft, erträgt man leicht.

Karl Wilhelm Ramler

Samstag, 13. November 2010

Indras Irrtum auf der BuchBasel 2010


Foto: Fritz Frey

Auf der BuchBasel 2010 ist das Andruckexemplar von Indras Irrtum auf dem Stand des IL-Verlags schon zu sehen und in die Hand zu nehmen. Nächste Woche kommt die erste Auflage der Indischen Novellen aus der Druckerei, und spätestens in der Woche drauf sollte das Buch auch überall im Handel zu haben sein. Vorbestellt werden kann es schon jetzt beim Verlag. Wer es mit Widmung möchte, schickt mir eine Mail.

Horst-Dieter Radke

Freitag, 12. November 2010

Wahrer Ruhm des Reichen



Es sagte Jemand zu einem sehr angesehenen und reichen Manne, man wundere sich in der Stadt, warum er als ein gemeiner Mann lebe, da er doch reich sey. »Ich tue diese,« sprach er, »weil es rühmlich ist, beim Überflusse mäßig und eingezogen zu seyn, und alsdann seinen Lüsten nicht nachzuhängen, wenn man es am leichtesten Thun könnte.«


Vaterländische Unterhaltungen
Ein belehrendes und unterhaltendes Lesebuch zur
Bildung des Verstandes, Veredlung des Herzens,
Beförderung der Vaterlandsliebe und gemeinnütziger Kenntnisse
für die Jugend Österreichs von Leopold Chimani
Vierter Teil ,Wien 1815' Im Verlage bey Anton Doll

Donnerstag, 11. November 2010

Das Pfefferkorn und die Pille


Zur Pille sprach ein Pfefferkorn,
Aus Eifersucht und voller Zorn:
Du magst dich noch so schön verhüllen,
Man schluckt dich doch mit Widerwillen.
Mich nimmt man mit Vergnügen ein,
Und möcht ich auch noch schwärzer seyn;
Man braucht mich der Gesundheit wegen,
ich muß den kranken Magen fegen.

Die Pille sprach: just umgewandt;
Ich bin bey Höfen doch bekannt,
Dich thut der Baur in Finkeljochen,
Du mußt in grober Grütze kochen;
Du wirst vom Höcker nur geehrt,
Mir giebt ein Doctor meinen Wehrt.

Die Wollust gleicht den bittern Pillen,
Die sich in Gold und Silber hüllen;
Der Sünden Anbiß glänzet schön,
Läßt man ihn ins Geblüte gehn,
So bleibt sein Gift im Körper sitzen,
Denn hilft kein Vomitiv noch Schwitzen;
Wird auch der Körper gleich gesund,
So bleibt die Seele doch verwundt.

Neue Fabeln und Erzehlungen in gebundener Schreibart
Hamburg, verlegts Conrad König, 1749