Montag, 24. August 2015

Indische Fabeln von den zwei Raben


Ich hatte ihn bereits über eine Stunde mit all den Schnurren und Schwänken ergözt, die meine muntre Laune mir eingab, als sich zwey Aelstern auf die Bäume sezten, die uns beschatteten. Sie begannen ein so tösendes Gedatter, daß sie unsre Aufmerksamkeit auf sich zogen. Keifen wol gar die Vögel wie’s scheint? sagte der Herzog. Ich möchte wol wissen, worüber sie eigentlich streiten. Ew. Durchlaucht, sagt’ ich zu ihm, erinnern mich an eine Indische Fabel, die ich im Bilpay, oder in einem andern Fabler gelesen habe. Der Minister frug mich, was das für eine Fabel sei, und ich erzälte sie ihm auf folgende Art:

»Es herrschte ehmals in Persien ein guter Monarch, der, weil sein Verstand nicht ausgebreitet genug war, um seine Staaten selbst zu beherschen, dem Groswessir diese Sorge überlies. Dieser Minister Namens Atalmuc hatte einen sehr hervorragenden Gesit. Er trug die grosse Bürde dieses Reichs, ohne von selbiger niedergedrükt zu werden; er verbreitete druch selbiges den goldenen Frieden; verstand sogar die Kunst, die Königsgewalt so algeliebt als algefürchtet zu machen, und die Untertanen besassen in einem dem Fürsten biedertreuen Wessir eine huldreichen Vater.
Atalmuc hatte unter seinen Geheimschreibern einen jungen Kaschemirier, namens Zeangir, dem er gewogner war als allen übrigen. Er fand Behagen an seiner Unterhaltung, führte ihn mit sich auf die Jagd, und entdekte ihm die geheimsten Gedanken seiner Seele.
eines Tages, als sie mit einander in einem Gehölze jagten, ward der Wessir auf einem Baume zwei Raben gewahr, die mit einander krächzten, und sagte zu seinem Schreiber: Ich möchte wol wissen, was sich diese Vögel in ihrer Sprache sagten. Dein Wunsch kan erfült werden, Herr, hub der Kaschemirier an. Und wie das? rief Atalmuc. Weil ein in der Kabala wolerfarner Derwis mich die Sprache der Vögel gelehrete hat, versetzte Zeangir. Befielst’u, so will ich sie belauschen, und Dir von Wort zu Wort hinterbringen, was ich vernommen.
Der Wessir willigte darein. Der kaschemirier nahte sich den Raben, und schien ihnen ein aufmerksames Ohr zu liehen. nach einiger Zeit kam er wieder zum Minister zurük. Soltest’u’s wol glauben, Herr, sprach er, daß ihr Gespräch uns betrift? Nicht möglich! sagte der Persische Minister. Und was sagen sie von uns?
Der eine dort, versetzte der Geheimschreiber, sagte: Ha! a ist der grosse Wessir Atalmuc. Dieser alspähende Adler, der über Persien, als über sein Nest, seine schirmende Fittiche ausspreitet, und unabhlässig für dessen Erhaltung wacht. Zur Erquickung von seinen mühevollen Arbeiten jagt er in diesem Gehölz mit seinem treuen Zeangir. Wie glüklich dieser Schreiber, einem Herrn zu dienen,d er unendliche Güte für ihn hat! Nicht so rasch geurteilt! fiel ihm der andre Rab’ ein. Preise den Kaschemirier nicht so selig. Zwar spricht Atalmuc mit ihm wie der Freund zum Freunde, schüttet in seinen Busen seine geheimsten Gedanken aus, auch zweifl ich nicht, daß er des Vorhabens ist, ihn dereinst auf eine hohe Staffel der Ehre zu sezen, doch eh’ dies dereinst heranrükt, ist Zeangir Hungers gestorben. Der arme Unglükliche wont in einem kerkerähnlichen Kämmerlein, wo’s ihm am Allernotwendigsten gebricht. Mit Einem Worte, er lebt das elendeste aller Leben, obwol es keiner der Höflinge gewahret. Der Groswessir läßt sich’s nicht zu Sinne kommen, ihn zu fragen: Hast Du auch zu Deines Lebens Nahrung und Notdurft? sich gnügend, Wolwollen für ihn zu hegen, läßt er ihn einen Raub der Armut.

Hier endete ich meine Fabel, um zu sehn, wie der Herzog sie aufnemen würde. Dieser frug mich lächelnd, was diese Fabel auf Atalmuc für Eindruk gemacht, und ob der Groswessir die Künheit seines Schreibers nicht übelgenommen. Nein, Gnädiger Herr, versezt’ ich, durch diese Frage ein wenig betroffen, vielmehr sagt die Fabel, er habe ihn mit Woltaten überhäuft. Ein besonders Glük, versetzte der Herzog mit ernster Mine. Mancher Minister möchte dergleichen Winke nicht gut heissen. Doch, fuhr er fort, indem er den faden unsrer Unterredung plötzlich abris, und aufstand, ich glaube, der König wird bald aufstehn. meine Schuldigkeit ruft mich zu ihm. Mit diesen Worten eilte er starkes Schrittes nach dem Pallaste, ohne weiter mit mir zu reden, und wie’s schien, über meine Indische Fabel gar schlecht erbaut.

Gil Blas von Santillana,
von Alain-René le Sage
3. Band, Berlin 1779
Bey Christian Friedrich Himburg

S. 229 ff.

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