Sonntag, 20. Dezember 2009

Die Lichtscheuen - Fünfte Fabel




Drei Nächte lang von Gram belastet,
Weil er so gröblich mißgetastet,
Einsiedelt auf dem Glockenstuhl
Der Oberuhu, stöhnt und fastet,
Beklemmt von Ahndungen und schwuhl.

Heil! trauter Oheim, frohe Zeitung
Von segensvoller Vorbedeutung!
(So, noch am Schallloch, girrt ihm zu
Sein Mühmchen Leichhuhn.) Hoffe du,
Durch gute Nachtgestirne Leitung,
Der Nachtreligion Verbreitung;
Und laß dein klägliches Wuwu!
Auf! lustig wiederum geschmauset,
Was dir der Vater Kellner mauset!

Der Uhu schaut im Dunkel gluh
Hochher, und ruft: Was bringest du?
Trost, ruft das Leichhuhn; Trost und Ruh’
Von allem was dich angegrauset,
Seit du in Schwermuth hier gehauset!
Mit Offnem Ohrbusch höre zu!
Der Hahn, der Erbfeind unserer Ruh’,
Des Morgenlichts verhaßter Schreier,
Der unsres Nachtchorales Feier
Duch Kikeri entweiht im Nu:
(Wohl schwerlich, Oheim, glaubtest du
Ein so befremdend Abentheuer;
Doch selbst, vom hohen Dach der Scheuer,
Sah ich dem neuen Wunder zu:)
Der Hahn, so stolz und selbstgenügsam,
Ward heute noch von Knabenhand
Mit Kreid’ am Schnabel fest gebannt;
Die Flügel spreizend, lag er fügsam,
und blickt’ auf seines Herren Bank
Die weiße Zauberschnur entlang.
Traun, kluger Lenkung folgt er biegsam,
Der Starrkopf, der Illuminat.
Und, wird nur ausgeführt mein Rath,
Er huldigt dir als Apostat!

Erwogen wird und abgesprochen
Der Vorschlag; und in wenig Wochen
ist ihm durch vorgestreuten Mohn
Der Kopf benebelt, und gebrochen
Sein Trotz durch List und manchen Lohn.
Kapaunenhaft, ohn’ alles Pochen
Der Mannheit, kommt er angekrochen,
Des Sonnenglaubens abgethan,
Der ehmals hochgesinnte Hahn.
Jetzt nach des Uhu’s Regel wacker,
So oft vom Scheuergiebel schrein
Des Leichenhuhns Nachttitanein,
Mischt er sein horenkrähn darein,
Mit alles Hennenvolks Gegacker,
Ja selber mit der Gänselein,
Des Entrichs und der Entelein
Herzhaftem Billigungsgegacker.
Und er, der lichtfroh ehmals sang,
Wann’s jetzo tagt, krächzt er wie krank,
Und kräht nur Sonnenuntergang,

Die Sonn’ ist ewig hingesunken!
Uhu’t der Uhu wonnetrunken:
Nun sing’ und predig’ ohne Scheu,
Nachtfrohe Münsterklerisei,
Der Nachtlehr’ ewig Einerlei!

Doch, trotz den Trugpropheten, sehet! 

Die hehre Himmelssonne gehet
Unwandelbar die große Bahn,
Sorglos, ob krächzet oder krähet
Auf seinem Mist ein Hühnerhahn.
Sie steigt mit Licht empor und Wärme,
Und weckt des Lebens frohe Schwärme,
Durch Luft und Land und Ocean.
Sie sinkt in Abendröthe nieder,
Daß neue Stärkung all’ empfahn;
Und steigt aus Morgenröthe wieder,
Im Jubelton der Lerechenlieder,
Und wandelt fort die große Bahn.

O weh! das Sonnenlicht, da naht es,
Da naht es doch! schreit ungestüm
Ds Münsterthurms Nachtungethüm:
Treuloser Hahn! O des Verrathes
Sei Rächer stracks der Geier ihm!

Schont seiner Unschuld! ruft der Gimpel
Vom Dome, wo er aufgesehn;

Das Räthsel löset sich ja simpel:
Nicht lehrt der Hahn die Sonn’ aufgehn;
Nein, Sonnenaufgang lehrt ihn krähn.



Johann Heinrich Voss

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