Freitag, 5. Dezember 2008

Von einer Tannen und von Dornen


Von der Welte Übermuote

ein tanne kam in übermuot
eis màls, als noch vil amnger tuot,
des man dik muoz entgelten
die dorne geriet si schelten,
dia dâ stuonden under ir.
ûf grôze hôchvart stuont ir gir.
Sie sprach: »ich bin lang unde breit,
und bin mit esten wol bekleit;
in den luft min told ûf gât;
grüen ist mîner esten wât.
mich lobent vrouwen unde man;
ân allez lop sicht man dich stân.
sicher, du bist ze niute guot
wan an ein viur. er ist nicht behuot,
wer dich anrüert: er wirt verwunt,
dîn strelen ist gar ungesunt.
dich ahzzent man und ouch diu wîp;
du sêrest manges menschen lîp.«
und dô diu tanne alsus gesprach
zem dorne, schiere daz beschach:
ein man gegangen kam zehant;
ein aks die truog er in der hant,
vil schier fluog er die tannen abe.
der dorn gestuont in guoter habe.
zu der tannen sprach der dorn:
»wie lîst du nu! wie hâst verlorn
dîn leben und dîn wirdekeit!
sò stân ich noch ân allez leit.
dîn schoeni dir geschadet hât,
dim ruome ist gesprochen mat.
dâ von du wàndelst sin genesen,
sich, daz ist dîn tôt gewesen.«
sus verlôr diu tanne gar
ir schoeni und ir grüenez hàr.

Nieman ze vil sich rüemen sol
sis libes: er ist gebresten vol,
und làt den menschen an der nôt;
so er leben sol, sô ist er tôt.
die wil er als die tanne stât
und lebt, vil hôhez lop er hât;
wenn er gevelt, sô velt ouch nider
gewalt und êre, und kunt nicht wider.
wer sol sich vröuwen in der zît,
dâ nicht wan kumer an gelit!
daz dâ hin ist, daz stiftet leit:
unstaet ist gegenwürtekeit.
wel zît noch künftig komen sol,
daz zît erkennte nieman wol.
dâ von sô lâz der vroiden schin,
sit nieman hiut mag fischer sin,
üb er morn in vröiden lebe
oder in dem tode strebe.
der dorn gestuont, diu tanne viel nider,
noch kraft noch schoeni was dâ wider.
er si stark, edel oder rich,
dem tôde ist alrmenlîch gelîch.

Ulrich Boner

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