Freitag, 12. Dezember 2008

Was die Wissenschaft unendlich erschwert …

… Verzeihen mir Ew. Durchl. diesen vielleicht etwas zu kühnen und schnellen Flug. Aber wie der Hirsch und der Vogel sich an kein Territorium kehrt, sondern sich da äst und dahin fliegt, wo es ihn gelüstet, so, halt' ich davon, muß der Beobachter auch sein. Kein Berg sei ihm zu hoch, kein Meer zu tief. Da er die ganze Erde umschweben will, so sei er frei gesinnt wie die Luft, die Alles umgiebt. Weder Fabel noch Geschichte, weder Lehre noch Meinung halte ihn ab zu schauen. Er sondere sorgfältig das, was er gesehen hat, von dem, was er vermuthet oder schließt. Jede richtig aufgezeichnete Bemerkung ist unschätzbar für den Nachfolger, indem sie ihm von entfernten Dingen anschauende Begriffe gibt, die Summe seiner eigenen Erfahrungen vermehrt und aus mehreren Menschen endlich gleichsam ein Ganzes macht. Was die Wissenschaft, von der hier die Rede ist, unendlich erschwert, ist die unbestimmte Terminologie. …

J.W.v.Goethe
Aus einem Brief an:
Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha
1780

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