DER MAGISTER. Als wer Verstand genug hat, in die Natur der Dinge zu dringen. Die Liebe ist eine Übereinstimmung zweener Willen zu gleichen Zwecken. Mich deucht, dies ist sehr adäquat. Oder soll ich Ihnen eine andere Beschreibung geben?
JULCHEN. Nein, ich habe mit dieser genug zu tun. Sagen Sie mir lieber die Fabel. Ich muß zu meiner Schwester.
DER MAGISTER. Ja, ja, die Fabel ist freilich nicht so schwer zu verstehen als eine Kausaldefinition. Sie ist kurz, und sie scheint mir mehr eine Allegorie als eine Fabel zu sein. Sie klingt also: Die Sonne verliebte sich, wie man erzählt, einstmals in den Mond. Sie entdeckte ihm ihre Wünsche auf das zärtlichste; allein der Mond blieb seiner Natur nach kalt und unempfindlich. Er verlachte alle die Gründe, womit ihn einige benachbarte Planeten zur Zärtlichkeit gegen die Sonne bewegen wollten. Ein heimlicher Stolz hieß ihn spröde tun, ob ihm die Liebe der Sonne gleich angenehm war. Er trotzte auf sein schönes und reines Gesicht, bis es eine Gottheit auf das Bitten der Sonne mit Flecken verunstaltete. Und dies sind die Flecken, die wir noch heutzutage in dem Gesichte des Mondes finden. Dies ist die Fabel. Was empfinden Sie dabei?
JULCHEN. Ich empfinde, daß sie mir nicht gefällt, und daß der Verfasser ihrer noch viel machen wird. Ich will doch nicht hoffen, daß Sie diese Erzählung im Ernste für artig halten.
DER MAGISTER. Freilich kann der Verstand bei witzigen Sachen seine Stärke nicht sehen lassen. Aber wie? wenn ich die Fabel selbst gemacht hätte?
JULCHEN. So würde ich glauben müssen, daß die Schuld an mir läge, warum sie mir nicht schön vorkommt.
Christian Fürchtegott Gellert
aus: Die zärtlichen Schwestern, Zweiter Aufzug
aus: Die zärtlichen Schwestern, Zweiter Aufzug
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