Montag, 6. Oktober 2008

Die frohe Lerche

Der Zustand einer Lerche war

Vergnügen halber wunderbar,

Sowohl als ihres Ehegatten

Und aller Kinder, die sie hatten;

Sie waren wegen reinen Bluts

Gesund und sämtlich frohen Muts;

Sie lebten ohne Nahrungssorgen,

Und Lust auf heut und Lust auf morgen,

Lust über Lust,
Freud’ über Freude,

War unaufhörlich ihre Weide.

»

Unmöglich ist es«, sprach die Alte,

»Dass ich noch länger mich enthalte,

Mein Wohlsein herzlich zu besingen;

Ich will mich in die Höhe schwingen.«

Gleich flog sie auf, und in dem Flug

Sang sie, doch sang sie nie genug.

Sie dacht’: Sind gleich die Nachtigallen

Die besten Sänger unter allen,

So soll die Lerche doch nicht schweigen,

Sie steht auch in der Sänger Reigen.



Sie schwang sich folgends von der Erden

So hoch ins Reich der Luft empor,

Als wollte sie im Himmelschor

Ein Mitglied jener Sänger werden.

Sie singt und singt sich endlich müde,

Und nach dem freudenvollen Liede

Sehnt sie sich nach der Ruhe wieder

Und sank zu ihren Jungen nieder,

Die durch ein lallendes Getöne

Die alte liebe Feldsirene

Mit voller Herzenslust

Die Lust in ihrer Mutter Brust

Zugleich mit neuer Lust versüßten.

Johann Ludwig Meyer von Knonau

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