Montag, 10. August 2009

Der Seidenwurm und die Spinne


Der Raupen edelste, die Weberinn der Seide,
Spann sich ihr Grab zu eines Fürsten Kleide;
Nicht weit von ihr hing an der schwarzen Wand
Die Künstlerin, die Pallas überwand.
Noch war von ihr nicht ganz der alte Stolz entwichen,
Sie hatte sich Minerven einst verglichen,
So hielt sie unter sich jetzt Raupen weit entfernt:
Wo hast du armer Wurm dein Spinnen wohl gelernt?
Dein Faden ist zu grob, und viel zu derb gewunden.
Bewundre meine Kunst, wie zart sie Fäden zieht;
Die Fliege findet sich gebunden,
Noch eh' sie das Gewebe sieht;
Mit minderm Stoff, als da dein Ey umhüllt,
Wird eine Wand von mir erfüllt;
Zwar du bist blind: mit so viel Kunst zu weben,
Sind von der Götter Huld acht Augen mir gegeben.
Den Vorzug, der dich ziert, hast du mir g'nug erklärt,
Doch wirst du, sprach der Wurm, die Antwort auch vergönnen:
Acht Augen, die nur Mücken kennen,
Sind wenig mehr, als meine Blindheit werth:
Und wenn sich mein Gespinnst auf Throne darf erheben,
So lern' ich wohl von dir nicht Fliegennetze weben.

Abstrakte Logiker, merkt euch den Unterricht,
Euklides lernt von euch des Denkens Regeln nicht.

Abraham Gotthelf Kästner

Keine Kommentare: