Sonntag, 20. Februar 2011

Der Dachs und das Eichhorn

Foto: Jeremias Radke

Dachs:
Wohin so eilig, kleines Thier?
Komm doch einmahl herein!

Eichhorn:
Kann ich dem Herrn zu Diensten seyn?
Sprich! was beliebet dir?

Dachs:
Ich seh dir oft aus meiner Wohnung zu,
Und wundre mich, wie unermüdet du
Von einem Zweig zum andern hüpfest,
Und durch die Nußgesträuche schlüpfest,
Und wie du keine Ruhe und Rast
Vom Morgen bis zum Abend hast;
Wie kannst du das in aller Welt ertragen?
Und noch so munter seyn, und so geschwind,
Als wenig and're Thiere sind?
Und ich muß mich mit meiner Trägheit plagen.

Eichhorn:
Mein lieber Dachs! das ist nicht schwer zu sagen
wenn ihr stets so in euern Löchern lauert,
Als wäret ihr lebendig eingemauert,
Und nur von euerm Fette zehrt,
Da ist es wohl noch fragenswerth,
Warum so gar das Gehen euch beschwert?
Ey, bey der übertriebnen Ruh
Nimmt eure Trägheit täglich zu;
Wer aber Fleiß und Arbeit liebt,
Wird immer mehr darin geübt.


Vaterländische Unterhaltungen
Ein belehrendes und unterhaltendes Lesebuch
zur Bildung des Verstandes, Veredlung des Herzens,
Beförderung der Vaterlandsliebe und gemeinnütziger Kenntnisse
für die Jugend Österreichs
von Leopold Chimani
Dritter Teil
Wien 1815, Im Verlage bey Anton Doll

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