Samstag, 9. August 2008

Wer klüglich Fabeln schreibt …

Wer klüglich Fabeln schreibt, der folgt Aesopus Spur,
Er bessert durch ein Bild, und lehrt durch die Natur,
Singt von unglaublichen und nie gescheh’nen Dingen,
Um, was wir täglich sehn, im Gleichniß vorzubringen,
Er greift das Laster an, und schont der Thorheit nicht,
Macht diese lächerlich, straft jenes ins Gesicht.

Er geht von Stand zu Stand, warnt beiderlei Geschlechte,
Steigt zu den Fürsten auf, und nieder zu dem Knechte,
Er lehret Kind und Greis, den Bürger und den Held,
Schätz Klugheit Kronen gleich, die Tugend über Geld,
Und manche Wahrheit wird von ihm ans Licht gezogen,
Die alle längst gewußt, und keiner recht erwogen.

Die Muse, die ihn führt, haßt Stolz und Niedrigkeit,
Strotzt nicht von Flittergold, und trägt kein Lumpenkleid,
Sie flieht der Fürsten Pracht, und meidet Frost und Blöße,
Sie lärmt und donnert nicht, tritt nicht in Riesen Größe,
Jedoch als Göttin auf, und läßt die Thoren gehn,
Die ohne Phöbus Geist sich stolz als Dichter blähn,
Und bald von kindischen und eiteln Märchen träumen,
Bald Meistersängern gleich nur eine Rede reimen.

Magnus Gottfried Lichtwer

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