Sonntag, 12. April 2015

Die gekränkten Schafe

Die Schafe kamen einst zusammen, um Klage zu führen gegen die Menschen. Besonders heftige Stimmen erhoben sich bei den jungen Schafen dagegen, daß die Menschen immer wieder aufs neue den ehrlichen Namen der Schafe schänden, indem sie ihn in beschimpfender Absicht gebrauchen, wenn sie jemand als dumm bezeichnen wollen. Darin sahen alle Schafe eine schwere Kränkung. Sie wählten deshalb eine Abordnung, die von den Menschen verlangen sollte, daß sie in Zukunft den Schafsnamen nicht mehr als Schimpfwort gebrauchen. Wenn aber die Menschen in ihren Beleidigungen fortfahren würden, dann wollten sich die Schafe von den Schändern ihres Namens nicht mehr die Wolle abscheren lassen.

Die jungen Schafe verlangten, daß ein junger Widder die Abordnung führen sollte. Aber die Alten machten dagegen die Besorgnis geltend, der junge Widder könne durch sein wildes Ungestüm und sein jugendliches Feuer bei den Verhandlungen mit den Menschen alles verderben. Daraufhin entschied die Mehrheit der Versammlung, daß ein alter, erfahrener Hammel die Führung der Abordnung zu übernehmen habe.

Nach einiger Zeit versammelten sich die Schafe wieder. Sie wollten hören, wie sich die Menschen zu ihrer Forderung stellten.

Der alte, erfahrene Hammel, der die Verhandlungen geführt hatte, hielt eine große Rede, worin er die wichtigsten Punkte vortrug: Die Menschen hätten versichert, daß sie den Namen der Schafe überhaupt nicht in beschimpfender oder kränkender Absicht gebrauchen. Im Gegenteil! Sie würden nur solche Menschen mit dem Schafsnamen auszeichnen, die die größte Tugend der Schafe – die Sanftmut – in besonders hohem Grade besitzen. Er, der Hammel, habe den Eindruck sich die letzte Versammlung von denJungen ohne Grund habe aufwiegeln lassen. Nach seiner Meinung liege kein Anlaß vor, sich gekränkt zu fühlen; er empfehle deshalb den Schafen, daß sie, wie bisher, sich auch in der Zukunft von den Menschen scheren lassen sollten.

Die jungen Schafe protestierten. Die Mehrheit der Versammlung blökte ein zustimmendes »Baäh!«. Und es blieb alles, wie es war.

Felix Fechenbach

Geboren 1894 in Bad Mergentheim. Sekretär des bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner (1918-19). Auf Grund eines Willkürurteils 1922 - 1924 Zuchthaus. 1925 - 29 tätig für verschiedene Verlage und Zeitungen, leitete seit 1929 die Detmolder SPD-Zeitung. 1933 beim Transport in ein KZ ermordet.

Felix Fechenbachs schriftstellerische Arbeit, bedingt durch sein kurzes Leben nicht sehr umfangreich, wird kaum noch wahrgenommen. Um so erfreulicher ist es, dass im westfälischen Aisthesis-Verlag ein Taschenbuch mit einer Auswahl aus seinem Werk preisgünstig zu bekommen ist.



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