Samstag, 18. April 2015

Der Esel in der Löwenhaut

Wie sehr betrügt sich der, der nur dem Scheine traut!
Ein Esel prangt‘ einmal in einer Löwenhaut,
Und dachte; Wunder, wer er wäre.
In diese Haut hatt‘ ihn der Dörfer Moliere,
Der, was er spielte, selbst erfand,
Ein Held im Aberwitz, ein zweyter Reibehand,
Zu einem Schauspiel eingenäht,
Den Pöbel zu erfreun, der sich bey Possen freuet,
Der gern um seines gleichen steht.

Wenn er Hannswursten seiht, den Groschen nicht bereuet,
Sich nur zu Puppenspielern drängt,
Und, wo ein Roch entzückt, die Köpfe schläfrig hängt.

Hier möcht ich allzuweit in meinem Eifer gehn,
Und vielen Deutschen nicht verheelen,
Die, weil sie vornehm sind, sich blähn,
Sie wären auch sodann dem Pöbel zuzuzählen,
So weit sie sich auch über ihn erhöhn,
Und also fahr ich fort, vom Esel zu erzählen.

Er war dem Herrn entwischt. Um auch einmal zu schrecken,
Eilt er in einen Wald, der bey dem Dorfe liegt;
Und seine Löwenhaut betrügt.
Gleich liefen Reh und Hirsch, sich furchtsam zu verstecken;
Und selbst das wilde Schwein vergaß den Ungestüm,
Sah ihn mit Ehrfurcht an, und zitterte vor ihm.

Verstellung kann ja wohl im Anfang leicht berücken.
Doch kleinen Geistern laßt sie noch so trefflich glücken!
Die Eitelkeit wird bald durch plötzliches Entzücken
An ihnen zur Verrätherinn.
Den Esel riß die Freude hin.
Gleich hatte sich die ganze Furcht verloren.
Die Thiere sahen ihn mit Spott und Lachen an,
Sobald sie aus des Löwen Ohren
Die langen Ohren kommen sahn.

Ein Thor, den hohe Würden schmücken,
Vermag uns öfters zu berücken.
Er scheint uns wirklich groß zu seyn.
Jedoch er mag sich nur, um Ehrfurcht zu erwecken,
In seine Löwenhaut verstecken,
Es werden ihn die Ohren bald entdecken,
Und er wird wieder klein.


Johann Adolf Schlegels
Fabeln und Erzählungen
Zum Druck befördert von Carl Christian Gärtner
Leipzig, in der Dyckischen Buchhandlung, 1769

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