Montag, 11. August 2008

Fabeln im Mittelalter

Die Äsopischen Fabeln (mhd. fabele, lat. fabula) waren in lateinischer Fassung (Vers- und Prosaform) überliefert und wurden in ganz Europa als lehrhafte Schullektüre benutzt. Wichtigste Vertreter mittelalterlicher Fabeldichtung waren der Stricker (1. Hälfte 13. Jh.), der Meistersinger Heinrich von Mügeln (um 1320 - um 1370), der Berner Dominikaner Ulrich Boner (nachgewiesen 1324 - 49, geb. vermutlich um 1280) sowie der Wiener Kaplan Ulrich von Pottenstein (um 1360 - um 1416). Im »Anonymus Neveleti« aus dem 12. Jahrhundert wurde das Tierepos zu einer komplexeren Erzählgattung weiterentwickelt. Der fränkische Dichter Hugo von Trimberg (1230 - nach 1313) integrierte Fabeln in sein mittelhochdeutsches Lehrgedicht »Der Renner« (zwischen 1290 - 1300).

Besondere Bedeutung erlangte der Fuchs, der die kurze Fabelerzählung sprengte und zu längeren Formen animierte. Bereits um 1040 entstand die lateinische Hexametererzählung »ecbasis captivi«, in der die äsopische Fabel vom Fuchs, Löwen und Wolf als Rahmenhandlung eingebaut ist. In Frankreich entwickelte der Dichter Pierre de Saint-Cloud durch die Aneinanderreihung verschiedener Tiererzählungen den »Roman de Renart« (zwischen 1170 und 1250), der die Tradition der Fabeln um Reineke Fuchs begründete, die bis zum Versepos »Reineke Fuchs« von Johann Wolfgang von Goethe reichte.

Die erste deutsche Fassung hieß noch »Reinhart Fuchs« und stammt von Heinrich der Glîchezære, was soviel wie »der Gleißner« (der Betrüger, Heuchler) bedeutete und irrtümlich vom Fuchs auf den Dichter übertragen wurde. Dieses mittelalterliche Stück aus dem 12. Jahrhundert ist als Fragment von ca. 2000 Versen in drei Handschriften überliefert und gilt als Grundstock für die deutschsprachige Tradition dieses Fabelromans. Aus »Reinhart« wurde dann in späteren Fassungen »Reineke«.

Horst-Dieter Radke

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