Mittwoch, 1. Februar 2012

Der Krieg der Tiere


Die Raubtiere hatten mit den Raubvögeln einen heftigen Streit, der dazu führte, dass der Löwe, der König der Vierfüßler, dem Adler, dem Beherrscher der Lüfte, den Krieg erklärte.
Boten mussten im ganzen Tierreich alle Streitkräfte zusammenrufen. Die frei lebenden Tiere folgten auch willig dem Aufgebot. Die Haustiere aber erklärten, dass sie sich dem Heerzug nicht anschließen könnten, weil sie nicht gegen ihre Kameraden, die Hühner, Gänse und Enten, kämpfen wollten, die sicher auf der Seite des Adlers stehen würden, wenn die Haustiere für den Löwen Partei ergreifen. Außerdem aber seien sie bisher von den Raubtieren stets verfolgt und verachtet worden, sodass sie gar keinen Grund sähen, sich für die egoistischen Interessen der Raubtiere einzusetzen.
Als dem Löwen dies hinterbracht wurde, hielt er im Kreise der Raubtiere eine große Rede und setzte auseinander, dass es sich bei dem bevorstehenden Kampf nicht um Raubtierinteressen handle. Es gehe vielmehr um die höchsten Tierheitsideale, ja, um Sein oder Nichtsein des ganzen Tierreichs. Und er schloss mit dem großmütigen Satz:
„Angesichts dieses schweren Ringens kenne ich keine Raubtiere und keine Haustiere mehr. Ich kenne nur noch Tiere!“
Das blieb nicht ohne Wirkung auf die Haustiere. Sie machten sich in ihrer Mehrzahl die Gedankengänge des Löwen zu Eigen und glaubten jetzt wirklich, dass es nicht um die selbstsüchtigen Interessen Einzelner gehe. Sie erklärten, ihre hohe Vierfüßlerkultur sei von der niedrigen Kultur der Raubvögel bedroht. Da müssten sie alles Trennende zurückstellen und wahr machen, was sie immer gesagt hatten: „In der Stunde der Not lassen wir das Tierreich nicht im Stich!“
Und so kam es, dass die Haustiere zusammen mit ihren schlimmsten Verfolgern, dem Löwen und den übrigen Raubtieren, gegen ihre bisherigen Kameraden, die Hühner, Gänse und Enten, kämpften, die sich dem Heer der Raubvögel angeschlossen hatten.
Als der Krieg zu Ende war, erinnerten die Haustiere den Löwen an sein Versprechen, dass er keinen Unterschied mehr machen wolle zwischen Raubtieren und Haustieren. Aber der Löwe und seine Räte lachten die Abgesandten der Haustiere ob ihrer Naivität weidlich aus und erklärten, dass dieses Versprechen nur für die Zeit der Not Geltung gehabt habe. Sie dächten gar nicht daran, ihre bevorzugte Stellung im Tierreich aufzugeben. „Übrigens“, so erklärten die Raubtiere zum Schluss, „wenn wir Hunger haben, werden wir euch, wie vor dem Krieg, wieder auffressen!“ Und so geschah es auch.

Geboren 1894 in Bad Mergentheim. Sekretär des bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner (1918-19). Auf Grund eines Willkürurteils 1922 - 1924 Zuchthaus. 1925 - 29 tätig für verschiedene Verlage und Zeitungen, leitete seit 1929 die Detmolder SPD-Zeitung. 1933 beim Transport in ein KZ ermordet.

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