Shakuntala mit Freundinnen
Ravi Varma (1848 - 1906)
Bildquelle: Wikipedia
Erste Parabel
1806
1806
Sakontala, die liebenswürdigste und geliebteste aller Königinnen, die jemals Indiens Thron zierten, die holde Gattin des edeln Fürsten Wikrama, feierte einstmal den fröhlichen Tag ihrer Geburt. Und die Freude erscholl in den Hütten und Pallästen des ganzen Landes, aber lebendiger und zarter tönete ihr Laut in jeglichem Herzen.
Denn das Antlitz der Königin war schön und sanft, und der Blick ihres Auges strahlte milde und lieblich, wie die Abendsonne, wenn sie hinter das Gebirge sich neiget, und den Thau und Kühlung hernieder sendet, und die Berg‘ und Thäler feuchtet von oben her.
Also war auch das Antlitz Sakontala. Darum schauten Indiens Bewohner kindlich zu der unvergleichlichen Fürstin empor mit Liebe und Dank, und brachten köstliche Gaben allerlei Art, die schönsten Gewächse des Landes, und Salben und Gold und Edelsteine; andere aber fleheten Segen von Brama.
Siehe, da trat zu der Feiernden, die sich in den Thoren der Fürstin versammelt hatten, auch ein Brame, der trug in seinen Händen ein Körblein von Binsen geflochten und einfaches Moos bedeckte den Rand des Körbleins.
Da sprachen die Diener des Hofes, die in den Hallen standen: Wird sich der Brame dem Glanz des Thrones nahn mit seinem Körblein von Binsen geflochten und mit kräuslichem Moose verbrämt? …
Aber der Brame nahete sich freimüthig und stellete das Körblein zu den Füßen Sakontala und sprach: Siehe du freundliche Herrscherin und Mutter deines Volkes, diese Binsen des Körbleins, und das zarte Moos der Hügel, und diese einfachen Blümchen sind jenem fernen Thale an der äußersten Gränze deines großen Gebiets entsprossen, wo dein Fuß wandelte, als noch der erste Lenz des Lebens dir lächelte.
Also redete der Brame, und das Körblein stand zu den Füßen Sakontala.
Da neigte die Königin ihr Antlitz und schaute auf das Körblein und auf die Blümchen, die es erfülleten. Und sie lächelte hernieder voll Anmuth auf die Blumen des Thales ihrer Jugend. –
Der Brame aber kehrte in das einsame Thal zurück und die Herrlichkeit des Feldes dünkt‘ ihm schöner. Denn er hatte das lächelnde Antlitz Sakontala gesehen.
Friedrich Adolph Krummacher
aus: Parabeln
aus: Parabeln
Essen, 1829
2 Kommentare:
schön und voll indischer Poesie, danke
Diese und die zwei folgenden Parabeln im angegebenen Buch hat der Dichter an Königin Luise gerichtet. Es sind "Zueignungsprabeln". Eigentlich gehört noch folgender Nachsatz dazu:
»Also wagt es der Dichter an den Ufern der Ruhr und des Rheinstroms, der allverehrten und allgeliebten Königin einige einfache Blümchen seines Geistes und Herzens zu weihen.
Denn entsprossen sie nicht dem Thale des treuherzigen Landes, wo Luise einst wandelte, und wo ein biederes Völkchen ihren Namen mit Liebe und Ehrfurcht nennt?
O möcht‘ auch Luisens Lächeln die kleine Gabe zum Körbchen des Bramen beiligen! «
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