Samstag, 25. Juli 2009

Der Phönix und die Nachteule (Des fünften Buches erste Fabel)

Bildquelle: Wikipedia

Der Phönix, der ein Fürst der Feder-reichen Schaar
In dem Arabischen Gefild’, und zwar
Der erste dieses Namens, war:
Ein Ehrerbietiger Basal vom Sonnen-Licht’,
Hatt’ allezeit, so lang’ er auch gelebet,
Recht als ein Heiliger zu leben, sich bestrebet.
Es kannt das Flügel-Volck noch seines gleichen nicht.
Der fromme Vogel nun erreicht, nach tausend Jahren,
Des langen Lebens Ziel.
Da es dem Schicksal denn gefiel,
Da er auch endlich stürb’. Er hatt’ es kaum erfahren,
Als, ohne Gram um seine Herrlichkeit
Und ohne Klag’ und Hertzeleid,
Er seinen holz-Stoß selbst, der ihn verbrennen sollte,
Zusammen tragen wollte.

Nicht weit davon, in einem dürren Baum,
Saß eine Eul versteckt, die elend, grämisch, alt,
Verdrießlich, mager, ungestalt,
Und kalt, wie Eis und Stein; Sie rührete sich kaum;
Nur flucht’ und lästerte sie stets der Sonnen Licht,
Als deren warmen Lebens-Brand
sie nicht empfand.

Mein Bruder, sprach darauf der Heil’ge, fluche nicht!
Sey still, gedulde dich, stirb besser, als du lebtest!
Der Tod, vor welchem du stets zittertest und bebtest,
ist gar kein Uebel, glaub es mir.
Das glaub’ ein andrer dir,
Fing gleich die Eul’ hierauf verdrießlich an zu sagen:
Ich bin gewiß, daß es ein Uebel ist,
Und will so viel ich will, darüber klagen.
So lang’ ich frisch, that ich, was mir gelüstet:
Auf die Art bin ich auch zu sterben schlüssig,
Und dein Geschwätz ist überflüßig.
Du hast im übrigen gut predigen hierzu,
Du der du fast zugleich erschinest mit der Welt;
Dein Gott, die Sonne selbst, ist älter kaum, als du.
Was Wunder, daß es dir zu sterben einst gefällt?
Du solltest ja wol recht der Erde müde seyn,
Und, ihrer satt, das Leben hassen.
Hätt’ ich hier auch gesehn so manches Tages Schein;
So wollt’ ich auch mein Loch, mit mindern Gram, verlassen.

Was hättest du doch mehr gesehen?
Wandt’ hier Arabiens Apostel ein:
Das, was geschicht, ist allezeit geschehen;
ein Tag pflegt allezeit dem andern gleich zu seyn.
Wenn wir anitzt zu einer Zeit erkalten:
So haben wir gleich lang’ gelebt.
wie daß dein Hertz die Sonn’ nicht anzubeten strebt,
Von welcher du das Leben doch erhalten!
Auf! zeige, daß es dich gereuet,
Daß du sie allezeit gehasset und gescheuet.
Mein, sage mir, was war die Frucht
Von deiner ungerechten Flucht;
Als Elend, Jammer, Noht, Verdruß und Hertzeleid?
Alleing enug: es eilt die schnelle Zeit,
Und ich bin itzt zu sterben schon bereit.

Fahr wol! es mag dir wohl bekommen!
Versetzte die Eul’, ich hab mir vorgenommen,
Was mich betrifft, noch länger hier zu seyn:
Der Phönix sucht’ indeß den Vorsatz zu vollbringen,
Trägt vom Gewürtz und Holz den Stoß zu Hauf;
Facht in der Sonnen Strahl die Gluht an mit den Schwingen,
Und leget sich gelassen oben drauf.
Das Feuer unterdeß, getrieben durch den West,
Ergreift zugleich der Eulen Nest.
Man sieht den Heiligen auf seinem Holtz-Stoß sterben;
In seinem Loche muß das Ungeheur verderben.
Doch mit dem Unterscheid:
‘Der eine stirbt für allezeit,
Der andre kommt mit neuer Pracht und Zier,
Aus seiner Asch’ aufs neu’ herfür.

Unsterblichkeit ist des Gerechten Krone.
Die Bosheit hat den Tod, ja noch vielmehr, zum Lohne.
Nur ist es warhlich zu beklagen,
Daß man hiebey annoch muß eine Wahrheit sagen;
Der Phönix ist nur eintzeln und allein;
so wird es auch fast mit den Frommen seyn.

B.H.Brockes
Irdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten,
Erster Theil,
nebst einem Anhang etlicher übersetzten Fabeln
des Herrn de la Motte
(Original: Le Phoenix & le Hibou, Falbe I. Livre V.)

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