Freitag, 17. Juli 2009

Das Unglück der Weiber

In eine Stadt, mich deucht, sie lag in Griechenland,
Drang einst der Feind, von Wut entbrannt,
Und wollte, weil die Stadt mit Sturm erobert worden,
Die Bürger in der Raserei
Bis auf den letzten Mann ermorden.
O Himmel! welch ein Angstgeschrei
Erregten nicht der Weiber blasse Scharen!
Man stelle sich nur vor, wenn tausend Weiber schrein,
Was muß das für ein Lärmen sein!
Ich zittre schon, wenn zwei nur schrein.

Sie liefen mit zerstreuten Haaren,
Mit Augen, die von Tränen rot,
Mit Händen, die zerrungen waren,
Und warfen schon, vor Angst halb tot,
Sich vor den Feldherrn der Barbaren
Und flehten in gemeiner Not
Ihn insgesamt um ihrer Männer Leben.
So hat's von Tausenden nicht eine Frau gegeben,
Die sich gewünscht, des Mannes los zu sein?
Von Tausenden nicht eine? Nein.
Nun, das ist viel; da muß, bei meinem Leben!
Noch gute Zeit gewesen sein.

So hart als auch der Feldherr war:
So konnt' er doch dem zauberischen Flehen
Der Weiber nicht ganz widerstehen.
Denn welchen Mann, er sei auch zehnmal ein Barbar,
Weiß nicht ein Weib durch Tränen zu bewegen?
Mein ganzes Herz fängt sich hier an zu regen.
Ich hätte nicht der General sein mögen,
Vor dem der Weiber Schar so kläglich sich vereint;
Ich hätte wie ein Kind geweint
Und ohne Geld den Männern gleich das Leben
Und jeder Frau zu ihrer Ruh'
Den Mann und einen noch dazu,
Wenn sie's von mir verlangt, gegeben.

Allein so gar gelind war dieser Feldherr nicht.
»Ihr Schönen!« fängt er an und spricht –
Ihr Schönen? Dieses glaub' ich nicht:
Ein harter General wird nicht so liebreich sprechen.
Was willst du dir den Kopf zerbrechen?
Genug! er hat's gesagt. Ein alter General
Hat, dächt' ich, doch wohl wissen können,
Daß man die Weiber allemal,
Sie sei'n es oder nicht, kann meine Schönen nennen.

»Ihr Schönen«, sprach der General,
»Ich schenk' euch eurer Männer Leben;
Doch jede muß für den Gemahl
Mir gleich ihr ganz Geschmeide geben;
Und die ein Stück zurück behält,
Verliert den Mann vor diesem Zelt.«
Wie? Fingen nicht die Weiber an zu beben?
Ihr ganz Geschmeide hinzugeben?
Den ganzen Schmuck für einen Mann?
Gewiß, der General war dennoch ein Tyrann.
Was half's, daß er »ihr Schönen!« sagte,
Da er die Schönen doch so plagte?
Doch weit gefehlt, daß auch nur eine zagte:
So holten sie vielmehr mit Freuden ihren Schmuck.
Dem General war dies noch nicht genug.
Er ließ nicht eh' nach ihren Männern schicken,
Als bis sie einen Eid gethan,
(Der General war selbst ein Ehemann)
Bis, sag' ich, sie den Eid gethan,
Den Männern nie die Wohltat vorzurücken,
Noch einen neuen Schmuck den Männern abzudrücken.
Drauf kriegte jede Frau den Mann.
O welche Wollust! Welch Entzücken!
Vergebens wünsch' ich's auszudrücken,
Mit welcher Brünstigkeit die Frau den Mann umfing!
Mit was für sehnsuchtsvollen Blicken
Ihr Aug' an seinem Auge hing!

Der Feind verließ die Stadt. Die Weiber blieben stehen,
Um ihren Feinden nachzusehen;
Alsdann flog jede froh mit ihrem Mann ins Haus.
Ist die Geschichte denn nun aus?
Noch nicht, mein Freund! Nach wenig Tagen
Entfiel den Weibern aller Mut.
Sie grämten sich und durften's doch nicht sagen.
Wer wird's, den Eid zu brechen, wagen?
Genug, der Kummer trat ins Blut.
Sie legten sich; drauf starben in zehn Tagen,
Des Lebens müd' und satt, neunhundert an der Zahl.
Der alte böse General!

Christian Fürchtegott Gellert

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