Der Kormoran und der Eidervogel wollten beide Dunen (Daunen) haben; es war einem von ihnen angeboten, sie zu bekommen, und sie sollten sich selbst darüber einigen, wer von ihnen der sein sollte, der sie bekäme. Aber das war eine schwierige Sache, sich darüber zu verständigen, denn keiner wollte dem anderen nachgeben – beide wollten gleich gern Dunen haben. Damit nun dieser Streit zwischen ihnen ein Ende nehmen möchte und sie nicht beide die Dunen verlieren sollten, so dass sie keinem von ihnen zum Nutzen gereichten, kamen sie über den Beschluss überein, dass derjenige von ihnen, welcher am nächsten Morgen früher erwache und dem andern anzeige, wenn die Sonne über dem Meeresrand auftauche, der solle die Dunen haben, um sich damit zu wärmen. Beide, Kormoran und Eidervogel, setzten sich da an den steinigen Strand, einer neben dem andern, als der Abend dämmerte. Der Kormoran wusste wohl, dass er hart zu schlafen pflegte und schwer aufwachte, wenn er fest eingeschlafen war; aus Furcht davor, beim Sonnenaufgang nicht zu erwachen, gedachte er, die ganze Nacht nicht zu schlafen; dann, glaubte er, sei es zweifellos, dass er die Dunen erhielt, die wohl eine Nachtwache wert waren. Und nun setzte sich der Kormoran ganz stolz darüber, dass er, der sonst Schlafmütze hiess, die ganze Nacht nicht schlafen solle und den Eidervogel sah er in festem Schlafe neben sich sitzen. Den ersten Teil der Nacht ging es erträglich gut, aber als es länger dauerte, begann er schwer zu werden und musste mit dem Schlafe kämpfen, der ihn zu übermannen anfing. Doch sass er noch halbwach und natzte, als es vom Tage zu leuchten anfing; da rief er vor Freude über sich selbst: »Nun blaut es im Osten!« Über diesen Ruf erwachte der Eidervogel, der nun ausgeschlafen war; dagegen war der Kormoran so schläfrig, dass er die Augen nicht offen halten konnte und nun natzte, wo es am meisten darauf ankam, zu wachen. Als die Sonne aus dem Meer aufstieg, war der Eidervogel nicht faul, dem Kormoran anzusagen: »Tag im Meer! Tag im Meer!« So erhielt der Eidervogel die Dunen; der Kormoran musste noch mehr büßen; er verlor die Zunge, weil er nicht schweigen konnte, wo es galt zu schweigen, und das wendet man oft in der Rede an, wenn jemand plauderhaft ist, und fragt: »Warum ist der Kormoran ohne Zunge?«, damit er an seine eigene Zunge denken kann und in Bezug auf das, was nicht gesagt werden soll, ihr einen Riegel vorschiebt.
Jiriczek, Otto L.
Færöerische Märchen und Sagen
In: Zeitschrift für Volkskunde 2
(1892), Berlin
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