Es lebte einmal auf dieser Insel eine arme Witwe, die einen einzigen Sohn hatte, namens Linggi. Es war dieser ein recht boshafter, unartiger Bube, der seiner Mutter gar viel
zu schaffen machte. Eines Tages, als sie am Webstuhl sass, quälte er sie wieder fortwährend, ja, nahm ihr sogar den Tropong (Schiessspuhl) mit dem er sich aus dem Staube machte.
Beim Spiele verletzte er sich mit demselben so sehr, dass er eine tiefe Wunde in der Stirn bekam. Die Wunde heilte bald, hinterliess aber ein breites Wundmal.
Als der Linggi das Jünglingsalter erreicht hatte , verliess er seine Mutter, und reiste nach fernen Gegenden. Jahre und Jahre vergingen, ohne dass die Witwe die geringste Nachricht von ihrem Sohne bekam. Schon war sie alt und grau geworden und noch immer kehrte der Linggi nicht heim.
Nach längerer Zeit endlich warf ein grosses Schiff den Anker vor Lantjak aus. Da zog Alt imd Jung zum Meeresufer, und als man den Djuragan (Schiffskapitän) sah, riefen Viele: „Seht,
da ist der Linggi heimgokommen ! Ja , gewiss , er ist es , seht nur die Narbe an seiner Stirn!” Und froh stolperte auch das alte Mütterchen herbei , ihren langersehnten Sohn zu bewillkommen. Der Linggi aber , stolz auf seine erworbenen Reichtümer , rief: „Ihr seid alle verrückt, ich habe euch niemals gesehen. Und die Alte da kenne ich auch nicht, sie ist keineswegs meine Mutter.”
Der armen Witwe drangen die Worte des entarteten Sohnes wie ein Dolch ins Herz, und empört schrie sie: „Bist du wirklich ein Fremder, so geh ’s dir wohl; hast du aber einmal
meine Milch getrunken, so sei verflucht, dann möge Allah’s Zorn dich treffen !”
Entsetzt hörten die Umstehenden dem Mutterfluch zu; der Sohn aber stand mit höhnischem Lachen auf dem Schiff, und befahl, den Anker zu lichten, um fortzusegeln.
Kaum aber war das Schiff in voller See, da sandte Allah einen tobenden Sturm, der Wand und Segel zerriss; haushoch türmten sich die Wogen, und überstürzten das Fahr-
zeug, sodass es zu sinken anfing.
„Mutter” rief Linggi in Todesnot, „Mutter ! Gnade, hilf mir, ich bin dein Kind.” Für ihn aber war die Gnadenfrist vorüber, allmählich sank das Schiff mit Mann und Maus, und
die Wellen schlossen sich über dem entarteten Sohn.
Und später, als das Meer sich von Borneo zurückgezogen hatte, da fand man das Schiff, versteinert wie es sich noch heute im stillen Thalgrunde des Rapuns befindet.
Volksdichtung aus Indonesien
Sagen, Tierfabeln und Märchen
Übersetzt von T. J. Bezemer
1904
Sagen, Tierfabeln und Märchen
Übersetzt von T. J. Bezemer
1904
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