5. §. Von der Indianer *) Weisheit hat uns Sendebar, oder Sandhaber, denn man findet ihn verschiedentlich geschrieben, ein Buch hinterlassen, davon ich einen alten Druck in lateinischer Sprache besitze. Der Titel heißt: DIRECTORIUM HUMANÆ VITÆ, ALIAS PARABOLÆ ANTIQUORUM SAPIENTUM: dieser ist sonder Ort und Namen des Druckers, ohne Zahlen der Blätter und Seiten, mit alten Holzschnitten in Fol. gedruckt. In der Vorrede steht, daß es eigentlich Belile ve Dimne **) heiße, aus dem Indianischen ins Persische, sodann ins Arabische, hernach ins Hebräische, und endlich ins Lateinische übersetzet worden. Dieser letztere Uebersetzer Johannes DE CAPUA, richtet seine Zueignungsschrift an den Cardinal Matthäus, in einem sehr barbarischen Lateine: so, wie es um die Erfindung der Buchdruckerkunst üblich war. Der Inhalt aber besteht in XVIII. Capiteln, aus lauter Fabeln, die der König Anastres Casri, durch seinen Leibarzt Berozias, aus Indien bekommen, als er ihn hingeschicket hatte, auf den Bergen Kräuter zu sammlen, womit man Todte auferwecken könnte. Als dieser sie nun gesammlet und zubereitet hatte, die Todten aber doch nicht auferwecken konnte; erfuhr er von den indianischen Weisen: daß man durch die Berge die weisen Männer, durch die Kräuter aber die Weisheit, wie durch die Todten die Thoren, verstehen müßte; und bekam von ihnen das Buch der Weisheit, welches er ins Persische übersetzte, und seinem Könige brachte. Diesem nun gefiel es überaus, daher er es gemein zu machen befahl. Starke hat es von neuem lateinisch übersetzet; der weise Herzog zu Würtemberg Eberhard aber, soll es ins Deutsche gebracht haben. Eine sehr alte deutsche Dollmetschung in Fol. habe ich zu Wien in einer Privatbibliothek gesehen; die aber ungemein selten gefunden wird.
Johann Christoph Gottsched
Versuch einer critischen Dichtkunst
Des I. Abschnitts II. Hauptstück
*) mit »Indianer« meint Gottsched »Inder«
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