In jener schönern Zeit, wo noch die ganze Natur dem Menschen näher stand, wo jeder Baum, jede Blume lebte und selbst das zutraulichere Thier den Menschen mit sprechenden Augen ansah, in den Tagen, wo der Mensch noch ein harmloses Kind war, und unbefangen mit den ihn umgebenden Gegenständen spielte, in jener Zeit einer einfachen unschuldigen Sinnlichkeit entstand die Fabel. Kinder lieben das Erzählen, sie wollen im Sinnlichen das Geistige erschauen; ein Mährchen, eine Geschichte macht auf sie einen weit tiefern Eindruck als alle Ermahnungen und belehrende Vorlesungen; auch ziehen sie die moralischen Wurzeln leichter aus solchen erdichteten Vorfällen als aus selbsterlebten Ereignissen, mit denen sich Leidenschaft und Selbstbefangenheit vermischen, und wir werden leichter durch fremden Schaden klug als durch eignen. Dieß erkannten schon die ältesten Weisen; um eine Lehre, eine Moral, eine Maxime der Lebensklugheit zu veranschaulichen, gebrauchten sie ein Bild, ein Gleichniß, oder kleideten sie in das Gewand der Fabel …
Damen Conversations Lexikon
Band 4., 1835, S. 50-51.
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