Elf oder zwölf Hühner saßen auf den Mist, blinzelten in der Sonne und kratzten sich. Es war heiß, und keines hatte Lust nach Würmern zu suchen oder Eier zu legen.
Sie gackelten aber zusammen.
»Wißt ihr, daß wir Hühner von heute an öffentlich dasselbe Recht haben sollen wie die Hähne?« fragte eine schöne, stolze Henne und reckte sich dabei, daß sie gleich um eine Handbreite höher schien. Die Hühner öffneten die rotgeränderten, verblüfften Augen.
»So,« sagte eines. Dann lauste es sich behaglicher als vorher.
»Mir ist das einerlei,« gackelte ein anderes, das elf Kücken um sich versammelt hatte, und jetzt noch spektakelte zur Erinnerung an die 15 Eier, welche es nacheinander gelegt. »Was geht mich die Politik an? Ich verstehe nichts davon.«
»Es ist nicht nur wegen der Politik,« sagte die schöne Henne. »Wir sollen auch sonst mitreden dürfen, zum Beispiel, wenn eine neue Pute für die Schule gewählt wird.«
Das interessierte nun die Hühner alle, denn die meisten hatten Kücken.
»Das ist sicher, daß ich die Bronzepute nicht wieder wähle,« kreischte ein dickes Huhn mit einem Federbusch zwischen jeder Zehe. »Sie hat allen meinen Kücken schlechte Zeugnisse gegeben.«
»Ich wähle sie auch nicht,« piepste das Perlhuhn. Es sah aus wie ein uraltes Jüngferchen mit einem weißpunktierten Schal, aus dem das kleine, nackte, neugierige Köpfchen hervorschaute.
»Ich wähle sie auch nicht.«
»Warum nicht,« fragte die schöne Henne.
»Weil sie in der Schule den Kücken gesagt hat, alle Hühner hätten ein Herz und eine Lunge und eine Leber, und andere unappetitlichen Sachen. Dafür schicke ich meine Jungen nicht zur Schule, daß sie solche Dinge lernen.«
»Da hast du recht,« stimmte auch eine Rouen-Ente bei, die so stark war, daß sie ihren Leib auf der Erde nachschleifen mußte. »Traurig ist das. Wir sind auf einen Punkt der sogenannten Aufklärung gekommen, den man schon, den man schon –»
»Unmoral nennen könnte,« half das Perlhuhn nach, und drehte sein unbedeutendes Köpfchen beifallheischend nach allen Seiten.
»Und die Poesie? Wo bleibt die, wenn unmündige Kücken schon wissen, was Hahn und Hühner inwendig haben? Nein, die Bronzepute wähle ich nicht,« schnatterte die Rouen-Ente.
»Ich auch nicht,« meinte eine bräunliche Laufente, die eilig und aufrecht angewatschelt kam, »was kann sie unsere Jungen lehren? Sie weiß selber nicht, was sich für Puten gehört. Sie legt sich ja nicht einmal platt auf die Erde, wenn der Truthahn vorüberrauscht, wie es sich für Puten schickt, sie sieht ihn herausfordernd an und bleibt stehen.«
»Usch,« riefen alle Hühner entsetzt und pluderten sich. Eine Weile schwiegen sie, drehten sich nach allen Seiten nachdenklich im Sand und schüttelten die Federn.
»Also, wen wählen wir?« begann darauf wieder eine. Es war eine weiße Henne, der Liebling des Hahns.
»Ich wähle die graue Pute,« sagte die Dicke mit den Federbüschen entschlossen, »wenn ich der Haber schicke, so macht sie allen meinen Hühnchen und Hähnchen gute Zeugnisse.«
»Sie ist häßlich, sie wird nie jemandem gefallen,« gackerte zufrieden die weiße Henne. »Ich wähle sie.«
»Sie weiß selber nicht, ob die Hühner Milz und Leber im Leib haben« piepste das Perlhuhn, »also kann sie die Kücken nichts Unanständiges lehren, wie es jetzt Mode ist. Ich wähle sie.« Es trippelte davon.
»Sie kann sich im Eierlegen bei weitem nicht mit mir messen, man wird sie mir nie vorziehen,« dachte die Laufente. »Ich wähle sie auch, warum nicht?«
»Schwimmen kann sie nicht wie ich,« prahlte die Rouen-Ente, »mir ist sie also recht.«
»Das alles geht die Schule gar nichts an,« rief unwillig das schöne Huhn.
»Aber uns,« kreischte die Dicke, »uns, meine Liebe, uns! Übrigens kann ich morgen nicht zur Wahl kommen. Ich lege von 11-1 Uhr.«
»Und ich fange morgen mit Brüten an,« gackerte eines.
»Und ich führe meine Jungen zum ersten Mal aus«, rief ein anderes.
»Ich gehe mit dem Gockel spazieren«, brüstete sich die Weiße, und riß einen Regenwurm, der sich verzweifelt wehrte, aus der Erde.
»Du kannst morgen nicht mit dem Gockel spazieren,« verwies sie das schöne Huhn. »Der Gockel geht morgen zur Wahl.«
»Ich kann auch nicht kommen,« rief die Rouen-Ente mit dem dicken Leib wichtig. »Ich werde morgen gebraten.«
Sie wußte nicht recht, war das ein angenehmes oder ein unangenehmes Ding, aber jedenfalls war es interessanter als das Wählen einer Schulpute.
»Und ich gehe und wähle,« rief das schöne Huhn, »und wenn ich ganz allein gehen muß.«
Und richtig, am nächsten Morgen war sie die einzige, die sich aufmachte, um die neue Pute für die Kückenschule zu wählen. Der Hahn war wahrhaftig mit dem weißen Huhn spazieren gegangen.
Da niemand da war, der der grauen Pute die Stimme hätte geben können, so wurde die Bronzene einstimmig gewählt.
»Es ist ein unerhörtes Unrecht,« sagten die Hühner des Hühnerhofes nachher zornig. »Was haben wir davon, daß wir wählen dürfen, wenn doch nicht die gewählt werden, die wir wollen?«
Sie steckten die Köpfe unter die Flügel, plusterten sich auf, und hielten ihr Mittagsschläfchen ab.
Lisa Wenger (1858 - 1941)
Amoralische Fabeln
Zürich, 1920
Amoralische Fabeln
Zürich, 1920
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