Mittwoch, 20. Januar 2016

Der Baum



Er lies sich an dem mächtigen Baum am Fluss nieder, lehnte sich mit dem Rücken an. Was war das überhaupt für ein Baum? Eine Buche? Eine Linde? Ein Ahorn? Er hatte überhaupt keine Ahnung. Von Bäumen verstand er nicht viel. Also zog er sein Buch hervor und begann zu lesen, vom Ringeherrn, dem Auenland und dem Fangornwald. So vertieft war er in die Lektüre, dass er nicht merkte, wie langsam und leise knirschend sich zwei starke Äste herunterbogen, ihn umfassten, umklammerten und nach und nach den Druck erhöhten. Erst als das Atmen schwer wurde, merkte er auf. »Was? … Lass mich los!« Doch so sehr er sich mühte, er kam nicht mehr frei. Immer kräftiger drückten ihm die Äste die Brust und den Atem ab. »So soll es allen gehen«, wisperte es aus den Zweigen, »die aus meinen Brüdern schnödes Papier machen und dies mit Schwärze beschmutzen.«

Horst-Dieter Radke

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