Montag, 5. Oktober 2015

Der Holzwurm

Ein Holzwurm suchte seine Speis
In alten Bücherschränken.
Und lang beschäftigte sein Fleiß
Sich blos mit morschen Bänken.

Auf einmal aber fiel ihm bey,
An Bücher sich zu wagen;
Er fande daß es besser sey
Alß Bretter zu benagen.

Ein Alter schmutziger Roman,
War seine erste Beute
Dann fiel er den Menantes an,
Und Stegfrieds Helden Streite.

Nach diesen, weil ihm ungestört
Hier sein Gewerbe bliebe:
Nagt er ein Buch von großem Wehrt
Mit schadenfrohem Triebe.

Als drauf der Herr nach langer Zeit
Zu seinen Büchern nahte:
So schimpft’ er voll von Zorn und Neid
Auf die verwünschte Made.

»Du Frevler kannst dich unterstehn
Mir dieses Buch zu schänden.
Und schonend mit ihm umzugehn,
Hat ichs selbst nie in Händen!«

Mit spöttischem Gelächter schrie
der Wurm aus seinen Rizen:
»Du nüzest diese Buch ja nie,
Und darum wollt ichs nüzen!«

***

Ihr Kinder seht euch fleißig vor
Vor einem solchen Streite.
Sonst sagt der Holzwurm euch ins Ohr,
Ihr seyet faule Leute!

Belustigung für die Jugend in Fabeln und Erzählungen
von Christian Gottlieb Göz
Stuttgart, bey Christoph Friedrich Cotta, 1779

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