Sonntag, 30. September 2012

Das Eichhorn und der Leopard


45stes Bild

Auf einem Eichbaum sprang von Zweig zu Zweigen
Ein muntres Eichhorn hin und her,
Hinauf, hinab, die Kreuz und Quer:
Man weiß, Behendigkeit ist diesem Thierchen eigen
Doch ach! jetzt spring es fehlt und fällt
Auf einen Leopard, der Mittagsruhe hält.
Die Majestät erwacht, zürnt, reckt sich in die Höhe,
Und zeigt der Zähne fürchterliche Reihn
Das Eichhorn macht sich vor der Hoheit klein,
Fällt zitternd auf die Knie. Doch, wie es in der Nähe
Der Leopard beseh’n, spricht er: »Ich schenke dir
Das Leben, doch bedingt; das heißt du sagest mir,
Warum ihr Dingerchen beständig hüpft und springet,,
Und guter Laune sein, indeß in meinem Reich
Mich Langweile drückt?» – »Ja Herr, das will ich euch,
Weil ihr so gnädig mich empfinget
Aufrichtig sagen. Doch wer die Wahrheit spricht,
Muß höher steh’n, als wer sie höret.
Darf ich den Baum hinauf, von dem ich fiele?« - »Wer wehret
Es dir? Steig‘ auf!« – Es that’s und sprach: »Mit Zuversicht
kann ich von hier herab euch mein Geheimniß lehren.
Ihr möchtet gerne von mir hören,
Warum ich immer lustig bin: –
Die Unschuld gibt mir frohen Sinn;
Mein Wissen ist: nichts Böses wissen.
Herr, das untrügliche Recept
Zur Heiterkeit, ein gut Gewissen,
Fehlt euch, weil euch mit Natterbissen
Das eure quält. Bei Tag und Nacht schleppt
Ihr euch mit dem Gefühl der Ungerechtigkeiten,
Die ihr begingt der Grausamkeiten,
Die ihr verübt. Wie manches Reh zerreißt
Ihr, während ich zu meinen Brüdern eilte
Und eine Nuß mit ihnen theilte!
Ihr haßt; ich lieb‘! In diesen Worten ist
Viel Sinn, viel Wahrheit; glaubt es nur
Wie oft hört‘ ich in meiner Jugend
Aus meines Vaters Mund: Sohn, fließt dein Glück aus Tugend,
So wird dir Frohsinn zur Natur.«


Lebensweisheit in Fabeln für die Jugend
von
Friedrich Hoffmann,
Hofprediger in Ballenstedt
Mit hundert Bildern
Stuttgart, Hoffmann’sche Verlags-Buchhandlung, 1840

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