Sonntag, 23. September 2012

Der Krieg zwischen den Leoparden und Tygern

Aus Brehms-Tierleben
Quelle: Wikipedia

Im Anfange des Monats Miriak ward im Walde ein sehr hohes Fest dem Waldgotte, Pan, zu Ehren , gefeyert. Auf diesem Feste fanden sich alle Arten der Thiere ein. Die Vornehmsten unter dieser versammleten Schaar waren ein Leopard und ein Tyger; jeder von ihnen war das Haupt seiner Nation. Beyde waren an diesem Tage in tiefer Trauer; denn der Leopard hatte seine Frau, der Tyger aber seinen Sohn verloren. Mitten unter der größten Feyerlichkeit ward die Sonne verfinstert. Da man dieses gewahr ward, und die anwesenden Thiere sehr darüber erschracken, bat sie der Tyger, nur alle Furcht, wegen eine bevorstehenden Unglücks, auf die Seite zu setzen; denn, sagte er: Die Sonne trauert über den Tod meines Sohnes, und weiter bedeutet diese Finsterniß nichts. Der Leopard hingegen meynte: diese Finsterniß geschähe wegen des Todesfalles, der in seinem Hause vorgegangen war. Dieses konnte der Tyger nicht leiden, und daher fragte er den Leoparden, was er sich wohl einbildete? Der Leopard, der eine eben so niederträchtige Ambition besaß, blieb auf seiner Meynung, und gab eine harte Gegenantwort. Kurz: Ein Wort gab das andere, bis endlich alles dadurch in Feuer und Flammen gerieth. Die ganze Schaar der Thiere nahm die Flucht, und die streitenden Partheyen droheten einander mit einem offenbaren Kriege, welcher sich auch sofort anfieng.

Menge von allerhand Thieren erhielt Befehl, im Felde zu erscheinen, oder sie ward auch gegen Besoldung angeworben. Die Vögel hingegen wollten sich in diese Sache nicht mischen denn, obschon der Adler von beyden Partheyen um Beystanmd ersucht ward, so wollte er doch keinem Vogel erlauben, sich zu der einen oder zu der andern Parthey zu schlagen; er erklärte sich also im Namen der ganzen fliegenden Nation, neutral zu bleiben. Von denen kriechenden Thieren wollten die Fischotter und der Seehund auch nichts damit zu thun haben; denn da der Krieg blos zu Lande geführt ward, diese sich aber meistens im Wasser aufhielten, so sagten sie: sie gehörten unter den See-Stat. Nachdem der Krieg eine Zeitlang mit grosser Hitze war geführt worden, ward endlich nach vielem Blutvergiessen der Friede folgendergestalt geschlossen: Eine jede derer streitenden Partheyen sollte bey ihrer Meynung bleiben, und alles sollte wieder in den Stand gesetzet werden, in welchem es vor dem Kriege war.

Diese Fabel lehret, daß die heftigsten Zwistigkeiten oft aus Kleinigkeiten entstehen, an denen gar nichts gelegen ist; ingleichen, daß die blutigsten Kriege, die unter denen Menschen geführet werden, auf eben diese Art geendigt werden. man führet also Krieg blos darum, um Krieg zu führen.


Moralische Fabeln
mit beygefügten Erklärungen einer jeden Fabel
Aus dem Dänischen des Herrn Barons von Holberg übersetzt durch J.A.S.K.D.
Kopenahgen: Mumme, 1761


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