Mittwoch, 28. September 2011

Die Raupe und der Regenwurm


Die Raupe.

wie schön ist doch die Welt für mich gebaute!
So weit mein scharfes Auge schauet,
Bewundert es, geschaffen mir zum Glück’,
Der großen Götter Meisterstück.
Für mich macht dieses warme Wetter
Die sonne, die so hell vom Himmel auf mich scheint;
Denn Kälte, weiß sie, ist mein Feind.
Für mich trägt dieser Baum so weiche, süße Blätter;
Denn wer genießt sie sonst, als ich?
Auch Blumen zeugte die Natur für mich.
Denn wenn ich einst verwandelt werde
Und mich vergöttert von der Erde
Erhebe, trink’ ich ihren Nektarsaft.
Ja, weil die dunkle Nacht mir kein Vergnügen schafft,
So geht die Sonne nie zur Ruh’,
sie schicke mir denn erst die glänzende Laterne,
Den Mond, und tausend blanke Sterne,
Wenn niemand wacht, als ich, zu meinem Dienste zu.
Sprich, Regenwürmchen, sind wir Raupen nicht beglückt?

Der Regenwurm.

Und Regenwürmer sind wol nichts, erhabne Made,
Als Ungeziefer? nicht? Es ist um dich doch Schade!
Du hättest dich zum Menschen gut geschickt.

Johann Gottlieb Willamov
(1736 - 1777)
aus: Dialogische Fabeln
Berlin, 1791

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