Einst zog, wie ein Histörchen uns berichtet
(Und ist's nicht wahr, so ist's doch gut erdichtet),
Des Sultans Abgesandter, der beim Kaiser war,
Des Sultans Macht der kaiserlichen vor.
Die Worte trafen eines Deutschen Ohr,
Der fand des Türken Meinung anfechtbar.
Er sagte: »Unser Herrscher hat Vasallen,
Die reich und mächtig sind wie er;
Jeder von ihnen könnte nach Gefallen
Besolden ein gewaltig Heer.«
Des Sultans Untertan, ein kluger Mann,
Entgegnete: »Gewiß, wohl hörte ich,
Daß jeder Kurfürst Truppen rüsten kann.
An einen Traum gemahnte dieses mich.
Ich war an sicherm Ort, als jenseits hoher Hecken
Die hundert Köpfe einer Hydra drohten.
Mich überfiel ein kalter Schrecken,
Ich zählte mich schon zu den Toten,
Doch kam ich mit dem Schrecken fort;
Der Drache konnte keine Öffnung finden,
Um durch die hohe Hecke dort
Die vielen Köpfe glatt hindurchzuwinden.
Noch sann ich nach dem Abenteuer,
Da zeigte sich am selben Ort
Ein andres Ungeheuer;
Das hatte nur ein einzig Haupt,
Doch mehr als einen Schwanz am Leibe.
Entsetzlich kam es angeschnaubt –
Unmöglich, daß ich's Euch beschreibe.
Der Kopf schlüpft mühlos durch mit Brust und Bauch,
Und hinterher die Schwänze alle auch;
Nichts hindert sie, leicht ist's vollbracht,
Da eins dem andern Platz gemacht.
Und seht – dies ist der Sache Kern –
So steht's mit Eurem, so mit unserm Herrn.«
Jean de Lafontaine
aus: Fabeln. Berlin 1923
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen