Montag, 5. Oktober 2009

Der frühe Ruhm dieser Indischen Fabeln

… Denn der frühe Ruhm dieser Indischen Fabeln in Persien, die Menge von Sittensprüchen in Versen aus den verschiedensten Dichterwerken den prosaischen Erzählungen eingeflochten beweisen, nach dem Urtheile eines Kenners das frühere Dasein einer reichen dichterischen Literatur, und jene antiken Fabel-Werke sind in Indien nur erst durch das jüngere Fabelbuch, das unter dem Namen des Hitopadesa bekannt ist, außer Umlauf gebracht. Auf demselben Wege sind die unterhaltenden Erzählungen, die unter den Namen der Sieben weisen Meister, der Tausend und eine Nacht u.a. über Persien und Arabien, als Uebersetzungen und Umarbeitungen (nach v. Hammer) mannigfaltigster Art, nur mit verändertem Schauplatz und historischen Namen, aber immer denselben Character und Inhalt beibehaltend, in jener Periode in die Literatur der Levante und der Westvölker übergingen, unstreitig Indischer Herkunft, so daß v. Schlegel z.B. bemerkte, man werde in den meisten Fällen im letztgenannten Werke nicht fehlen, statt des bei Arabern gefierten Namens Harun als Raschid, den des Indischen Vikramadityas … zu lesen. Daher dies in dieser mittelalterlichen Zeit mit der Indischen Literatur ging, wie im höhern Alterthum mit den Waaren; man hat die fremden Erzeugnisse lange genossen, ohne das Land zu kennen woher sie kamen. Hier wird es hinreichen, bei dem was schon oben über Weltstellung gesagt ist … , darauf hinzuweisen, daß es in derselben Zeit eben so mit den Wissenschaften ging, it Arithmetik, Algebra, Astronomie, Medicin, Chemie, worin Araber und Perser die Schüler der Indier waren, die Europäer wieder die der Araber wurden, wodurch der Gang einer merkwürdigen Tradition sich kund giebt, die zwischen dem wahren Orient und Occident der alten Welt, wenn auch getrennt, doch niemals ganz unterbrochen war. Wir wiederholen hier nur was von Andern schon bewiesen ist; das decimale System unserer Ziffern ist ganz Indisch, und die Araber sagen es ganz ohne Hehl, daß sie es von den Indiern gelernt ebenso die Algebra, und eins der drei Indischen Systeme der Astronomie, die vom Khalif Mansur (754 - 775) bis zur Zeit Mamuns (813 n. Chr. Geb.) bekannt wurden. Die zwölf Zeichen im Thierkreise bei Aegyptern, Chaldäern, Indiern gehen auf eine vorgeschichtliche Mittheilung unter den nachher sich fremd gewordenen Völkern zurück, oder auf die Herleitung aus einer gemeinsamen Quelle. Die Bearbeitung der Metalle und Steine muß in Indien uralt seyn, wenn auch keine Geschichte darüber Aufschluß giebt, wie sich die damit beschäftigten Künste weiter über die Erde verbreitet haben. außer dem Zinn, dessen wir oben gedachten, ist Indisches Eisen nach den römischen Pandecten zollbare Waare, bei Arabischen Dichtern ist das Schwert von Indischem Stahl (Mohannadon) wie bei Ktesias berühmt. Messing, eine Art Corinthisches Erz (im Sanskr. Kansasthi), schon dem Pseudo Aristoteles bekannt; die Verarbeitung des getriebenen Kupfers bei den Indischen Tempeln frühzeitig allgemein, und im Sanskritischen Namen des Schwefels liegt schon der Gebrauch desselben bei der Scheidung des Kupfers aus seinen Erzen, da er Sulvari im Sanskrit, d.i. Feind des Kupfers heißt, daher das lateinische Sulphur seinen Ursprung erhielt, und Blei in der Provinz Malwa oder Mulva gewonnen, heißt im Hindostanischen noch Mulva, woraus sein bedeutungsloser griechischer Name μόλνβος, μόλνβδος herzuleiten seyn mag. Malwa ist durch die vielen Metallidole seines großen Tempels berühmt, der im Jahre 1227 bei dessen erster Entdeckung und Eroberung von Udschyini (Ozene) zerstört ward. Auch in der Arzneiwissenschaft lernten Araber aus medicinischen Werken der Sanskrit-Literatur wie der Griechischen; Indische Heilverfahren in mancherlei Krankheiten haben sich weit über den Westen verbreitet, und die Kunst der Zubereitung der Arzneimittel, der Farbstoffe, der destillirten Getränke, der Essenzen, kurz der Chemie und vielerlei Gewerbearten, sind zugleich aus Indien in jenen Zeiten, wie die Waaren, mit nach Vorderasien und Süd-Europa übergegangen, ehe noch dieses Land durch Sultan Mahmud (997), Marco Polo (1290), Vasco de Gama (1498) und ihren Nachfolgern von neuem betreten wurde.

Carl Ritter
aus: Die Erdkunde von Asien
Band IV. Erste Abtheilung
Die indische Welt, Berlin 1835

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