Eine kraftvolle, herrliche Eiche wächst in der Mitte von vielen andern gewöhnlichen Bäumen. Die Menschen kommen und wollen sich Hütten bauen, sie hauen die gewöhnlichen Bäume nieder, und keiner möchte gern die Eiche verlieren, so bauen sie denn rund um die Eiche schlechte, baufällige Hütten. Die Eiche, die sich durch inneres Leben weit und mächtig ausbreitet, wußte gar nichts von den Hütten und wächst ruhig fort; die Menschen aber glauben, es wäre recht schön, wenn sie die herumstrebenden Äste der Eiche in ihre Häuser hinein verbauten, damit sie doch in ihrem toten Holze einen grünen Zweig hätten; und so muß nun die arme Eiche in dunkle Stuben, feuchte Gewölbe etc. hineinwachsen – sie vertrauert leise, ohne es zu wissen, sie folgt dem angewiesnen Wege. Ihre Krone nur spielt noch in der freien Luft, die einzelnen Äste verdorren, und die Menschen bauen immer näher heran, sie lehnen Überhänge und Altanen auf die Zweige. Da wächst sie unter dem herrlichen Lobe: »O die gute, herrliche Eiche!« gegen alles ihr Streben; endlich drängt sich gewaltsam ihre Kraft empor, sie strebt mit allem ihrem Leben zwischen den engen Hütten hinauf, die Sonne blickt auf sie, sie blüht heftig im Winter, treibt Frucht und Blüte und Samen mit Gewalt nebeneinander in die Höhe; dies ist die einzige Minute ihres eignen Lebens, und die letzte. Alles bricht an ihr herunter, alle die leichten Werke, auf sie gestützt, zertrümmern, und die Hütten senken sich traurig gegen die Mitte, wo sie war.
Clemens Brentano
Godwin, Erster Band
Godwin, Erster Band
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